Schnorr, Randolf, Die Gemeinschaft nach Bruchteilen (§§ 741-758 BGB). (= Jus privatum 88). Mohr (Siebeck), Tübingen 2004. XXIV, 430 S.

 

1. Bisweilen scheint es, die jüngeren Vertreter der Neuen Historischen Schule säßen zwischen allen Stühlen. Geschichtliche Kompetenz (nicht nur für das 19. Jahrhundert) scheint in einzelnen Kapiteln, Passagen, Fußnoten auf, mündet aber selten in ganze Monographien (oder gar veniae legendi); die strenge Orientierung am Gesetz, an Wortlaut und System wird oft weder von ökonomisch oder soziologisch inspirierter Seite noch seitens klassisch-funktionalistischer Rechtsvergleichung noch seitens einer nicht dogmatisch ansetzenden Rechtsgeschichte recht gewürdigt. Das beruht möglicherweise auch auf der allgemeinen Tendenz zur Vernachlässigung des Bürgerlichen Rechts gegenüber drittmittelträchtigen Sonderentwicklungen, so als könnte man diese ohne Grundlagen wieder auf allgemeine Regeln zurückführen und dadurch dogmatisch bewältigen. Und doch: Was das Bürgerliche Gesetzbuch leisten kann, was man an ihm lernen kann, das wissen wir nicht zuletzt dank Werner Flume und seiner Schule mit ihrem strengen Beharren auf dem Gesetz und auf der Privatautonomie, bisweilen stärker historisch ausgeprägt, bisweilen stärker systematisch – worin sich zugleich das Grunddilemma der Pandektenwissenschaft spiegelt. Aus diesem Kreis ist eine Habilitationsschrift anzuzeigen, die sich den Blick auf die römischen Quellen weithin versagt und eben durch Konzentration auf das geltende Recht eine historisch geprägte Grundsatzfrage stellt, welche die herrschende Meinung zum BGB nicht schlüssig beantworten kann.

 

2. Randolf Schnorr spricht über die Bruchteilsgemeinschaft in ihrer heutigen Form. Wie hat man sich Berechtigung Mehrerer an einem Objekt konstruktiv vorzustellen, und welche Konstruktionen lösen die bekannten Anwendungsprobleme (Anwendungsbereich von Verwaltungsregelungen, Bindung Eintretender an Mehrheitsbeschlüsse, Ausgleichsansprüche usw.) am besten? An diesem Thema hat die Romanistik sich festgebissen. Sie hat versucht, in den antiken Quellen eine einheitliche theoretische Konzeption zu finden, und ist mit diesem Versuch nicht weit gekommen – wie man die Dinge bei gründlicher Analyse sehen kann und wo die Aporien liegen, zeigt vorzüglich Mario Bretones „Servus communis“ von 1958. Diesen Faden nimmt Schnorr nicht auf. Er beginnt vielmehr mit Widersprüchen in der herrschenden Lehre von der obligatorisch-dinglichen Doppelnatur der communio des BGB; dagegen setzt er eine gut pandektistische, sozusagen systematisiert römische Konzeption der Gemeinschaft: sie sei, im engeren Sinne, nur dinglich; das Schuldrechtliche sei Beiwerk, das BGB entsprechend zu deuten. „Die Teilhaberrechte in der Bruchteilsgemeinschaft sind auf die alte Selbstherrlichkeit der vorherigen Alleineigentümer zurückführbar, welche auch im Innenverhältnis der Miteigentümer zueinander nicht völlig untergeht, sondern lediglich modifiziert wird“ (S. 1). Es geht Schnorr mithin darum, die „Trennungstheorie“ der h. M., also die Unterscheidung von dinglich konzipiertem ideellem Anteil und schuldrechtlich begriffenem Verhältnis der Teilhaber untereinander, grundsätzlich nach der dinglichen Seite hin zu überwinden, Trennungs- und Spezialitätsprinzip (S. 2, 7ff. u. ö.) uneingeschränkt durchzusetzen, ebenso den Publizitätsmechanismus des Grundbuchs. Dazu entwickelt er ein „dingliches Einheitsmodell der Gemeinschaft (...), nach dem es sich bei den Benutzungs-, Verwaltungs- und Aufhebungsrechten um mit dinglichen Ansprüchen verbundene Befugnisse handelt“; schuldrechtliche Positionen (etwa nach § 748 BGB) könnten diese Befugnisse lediglich ergänzen, weil sie erst aus Handlungen resultierten, die zum Gemeinschaftsverhältnis hinzuträten (S. 70). Die Konstruktion dahinter lautet (S. 86): „Der ideelle Anteil ist eine Erscheinungsform des Vollrechts, bei dem jedoch die dinglichen Ansprüche im Innenverhältnis der Teilhaber relativiert sind“; damit meint Schnorr keine schuldrechtliche Beschränkung, sondern ein „Austarieren durch Teilverzicht“.

 

3. Über alles Folgende mag man streiten. Aber es ist konsequent, es ist gut und es ist systemorientiert geschrieben; einzelne Flüchtigkeiten trüben diesen Gesamteindruck nicht. Namentlich trägt Schnorr dazu bei, den naiven Glauben an die Identität von innerem und äußerem System zu zerstören: Daß etwas im Buch 2 steht, hat mit seiner schuld- oder sachenrechtlichen Natur wenig zu tun. Natürlich, sagt der Romanist: actio in rem und actio in personam werden sich am Ende gegen die Kreuzeinteilung des BGB durchsetzen, so „schädlich“ die römische Dichotomie Windscheid auch erschienen sein mag, der eben Pandektist war, nicht Antikrechtler (Die Actio des römischen Zivilrechts, Düssseldorf 1856, S. 19). Oder, wie Gierke es mit Zielrichtung gerade gegen das römische Aktionensystem faßte: Durch Regelung an unpassender Stelle wird die Gemeinschaft nicht zum Schuldverhältnis (vgl. Schnorr S. 21f.). Schuldrechtlicher Natur war für Gierke lediglich die Gemeinschaft an einem schuldrechtlichen Objekt, nämlich an einer Forderung. Aber das alles soll hier nicht ausgeführt werden, ebensowenig wie Details zu Streitfragen des geltenden Rechts, welche Schnorr ausführlich diskutiert; vielmehr seien lediglich die wesentlichen Ergebnisse der Habilitationsschrift besprochen.

 

4. Die Ergebnisse (zusammengefaßt S. 415-419) beginnen mit der lex ferenda: Es bedürfe eines umfassenden Rechts der dinglichen Vermögenszuordnung, das auch die Forderungsabtretung und beschränkte Rechte an Forderungen umfasse. De lege lata gehörten die Teilhaberrechte deshalb nicht ins Schuldrecht, weil eine lediglich dingliche Konzeption die Privatautonomie weniger einschränke. Damit muß Schnorr die Vorstellung einer Vollrechtskonkurrenz überwinden, wozu ihm eine „verbesserte Theorie der Rechtsvervielfältigung“ dient: Es „gelang, diese Theorie als eine Theorie nicht-quantitativer, ideeller Rechtsteilung zu formulieren, indem nachgewiesen werden konnte, dass Rechtsmehrheit in Bezug auf ein einheitliches, ideell gedachtes Mutterrecht eine Form der Teilung ist“ (S. 416f.). Historisch näher begründet wird dieser qualitative Charakter der Teilung (S. 85-90) im wesentlichen philosophisch und punktuell mit Zitaten zum servus communis: einem von Ulpian (D. 45,3,5; Ulp. 48. Sab.) und einem des Boethius (indirekt nachgewiesen). Nun gerät die Verbindung römischer Dogmatik mit griechischer Philosophie, wie auch Schnorr sieht (S. 89), gern spekulativ – die römischen Praktiker pflegten in aller Regel philosophischen Synkretismus und entschieden ihre Fälle nach dem inneren System der juristischen Debatte. So gibt es (jedenfalls nach in der Romanistik ganz herrschender Auffassung) kaum Bereiche, in denen eine juristische Entscheidung einigermaßen zuverlässig auf philosophische Dogmen zurückgeführt werden kann. Selbst wenn Schnorr also für das frühe 6. Jahrhundert richtig liegen sollte, wäre für die Klassik wohl doch die dogmengeschichtliche Entwicklung aufzugreifen, am besten auf den Spuren Bretones; ob dabei ein einheitliches Konzept aufscheinen wird, ist eine weitere Frage. Unabhängig von alldem bereichert jedenfalls der vorgeschlagene Teilungsbegriff die Debatte zum geltenden Recht. Das zeigt sich an den diversen Anwendungsfällen der Gemeinschaft: Für den Besitz begreift Schnorr § 866 als abschließende dingliche Regelung, bei der Forderung verlangt er eine „dingliche Dimension“, und beim Unternehmen stellt er auf die einzelnen Objekte ab. Das ist konsequent an den Vorstellungen vom Rechtsobjekt orientiert, die das BGB prägen. Die eigentliche Nagelprobe für die Leistungsfähigkeit der Theorie liegt bei der Abgrenzung von Gesellschaft und Gemeinschaft; hier lehnt Schnorr wiederum konsequent das Zweckkriterium ab und hebt stattdessen auf das Fehlen eines Schuldverhältnisses bei der Bruchteilsgemeinschaft ab. Entsprechend werden die Benutzungs-, Verwaltungs- und Aufhebungsrechte dinglich interpretiert; folgerichtig bezieht der Verfasser auch die bekannten Probleme des dinglichen Anspruchs auf die Gemeinschaft, etwa seine Abtretbarkeit: Es sollen nur Einziehungsermächtigung und Überlassung zur Ausübung in Betracht kommen, S. 201f., 392ff. Der Kern der gesamten Konzeption liegt im Einsatz der „statischen“ Natur des Sachenrechts zur Freiheitssicherung: Dingliche Rechte bringen gegenständlich eingegrenzte Pflichten mit sich, aber keine weitergehenden Bindungen der Person. Diese Grundunterscheidung von actio in rem und actio in personam läßt sich in die materielle Anspruchssystematik des BGB übersetzen, und hierum geht es Schnorr. Er denkt einen römischen Ansatz zu Ende, von dem wir nicht wissen, wie weit die Römer in ihrer Neigung zu pragmatischer Kasuistik ihn gerade für die communio gedacht haben; das ist in einem pandektistischen System legitim, soweit es systematisch konsequent geschieht, und solche Konsequenz darf dem Werk uneingeschränkt bescheinigt werden.

 

5. Freilich kennt das römische Recht ein spezifisches Problem, das gerade bei der Gemeinschaft nicht unerwähnt bleiben darf: die prozessuale Sondernatur der Teilungsklagen. Prozessual ist die Unterscheidung zwischen persönlicher und dinglicher Klage – auf erstere muß man sich einlassen, letzterer kann man entgehen, indem man die Sache freigibt. Just diese Unterscheidung aber findet ihre Grenze bei den iudicia divisoria. Das sind eben die allgemeine Auflösungsklage (actio communi dividundo) und diejenige auf Auflösung der Erbengemeinschaft (actio familiae erciscundae); weiterhin finden wir die Grenzbereinigungsklage (actio finium regundorum). Alle Probleme der Abgrenzung und Anwendung dieser Klagen beiseitegelassen (vgl. nur Thomas Drosdowski, Das Verhältnis von actio pro socio und actio communi dividundo im klassischen römischen Recht, Berlin 1998; Franz Stefan Meissel, Societas, Frankfurt a.M. u. a. 2004; wichtig: die actio communi dividundo erfaßt eigentumsfähige körperliche Sachen: D. 10,3,4pr., Ulp. 19. ed.): Was sie im Kern kennzeichnet, ist in Rom zunächst ein prozessuales Moment. Der Richter hat erweiterte Befugnisse, er kann sowohl über dingliche Zuordnung als auch über schuldrechtlichen Ausgleich entscheiden. Daher sind diese Klagen mixtae (vgl. Inst. 4,6,20 und zuletzt María Salazar Revuelta, Análisis de la copropiedad romana a través de las acciones divisorias, in: AA.VV., Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato, Napoli 2003, S. 305-373, 334-344). Dieses Modell läßt sich auf das im BGB realisierte System materieller Ansprüche deshalb nicht übertragen, weil dort entschieden werden muß, ob der Anspruch nun schuldrechtlich oder dinglich sei. Alle römischen Teilungsklagen finden sich unter dem Pandektensystem, in den Büchern 2 und 3 aufgebaut nach der Natur der materiellen Ansprüche, in einem Prokrustesbett wieder. So widerspricht es dem römischen Befund nicht, wenn die herrschende Auffassung der Gemeinschaft jene Doppelnatur zuschreibt, die Schnorr bekämpft. Der römische Befund erzwingt eine solche Konstruktion aber auch nicht. Im Gegenteil neigt ein pandektistisches Gesetz dazu, das Quellenmaterial systematisch zu überformen, um die technische Leistungsfähigkeit der Regelung zu stärken. Je breiter die Grauzone zwischen Obligation und dinglicher Herrschaft wird, desto schlechter wird das Gesetz. Diese Sorge hat die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts beschäftigt, und sie hat auch auf die historische Rechtsromanistik ausgestrahlt, wie sich an den zeitgenössischen Versuchen ablesen läßt, servus communis, fundus communis und sonstige römische Standardprobleme für Rom rückwirkend einheitlich zu konstruieren. In dieselbe Richtung stößt für die Gegenwart Schnorr, und er beruft sich dafür auf die Gesetzgebungsgeschichte. Von hier aus muß also der geltendrechtliche Befund doch noch einmal an die Pandektistik rückgebunden werden: Was wollte der historische Gesetzgeber des BGB genau? Wie weit lassen seine Vorstellungen Raum für jene Radikalisierung römischen Objektsdenkens, die Schnorr der Sache nach betreibt?

 

6. Seine Ausführungen zur Vorgeschichte des BGB leitet der Verfasser mit dem bereits erwähnten Postulat eines „zu einem Recht der dinglichen Vermögenszuordnung erweiterten Sachenrecht[s]“ ein (S. 30, nach Larenz und Wieacker, aber wohl von zeitbedingten Prämissen ablösbar). Dafür läßt sich jedenfalls die möglicherweise größere systematische Leistungsfähigkeit eines solchen Ansatzes anführen. Sodann wird der Entstehungsprozeß des Gesetzes nachvollzogen: Johow, der (im wesentlichen mit Blick auf die Forderung als Objekt der Rechtsgemeinschaft) schließlich zu einer Qualifikation als obligatorisch kam; die Motive, die hieran anknüpfen, aber die Tür zu einer dinglichen Einordnung offenlassen; die prägende Rolle der Zufallsgemeinschaft, welche eben nicht auf rechtsgeschäftlichem Wege entsteht (S. 31ff., 34f., 42ff.). Es bleibt ein diffuses Bild, das einer konsequent am dinglichen Moment orientierten systematischen Auslegung jedenfalls nicht entgegensteht; die historische Interpretation im engeren Sinne, als Orientierung am „Willen des historischen Gesetzgebers“, erweist sich wiederum als nur ein Ausschnitt des Erkenntnispotentials, das die Rechtsgeschichte insgesamt bereithält (hierauf ist an anderer Stelle zurückzukommen).

 

7. So stellt die Arbeit sich aus jeder historischen Perspektive anders dar: Sie interpretiert das geltende Recht kontrovers, aber konsequent. Sie läßt für die Antike ein entscheidendes prozessuales Moment beiseite und gewinnt durch diesen Kunstgriff die Freiheit zu radikaler systematischer Trennung der römischen Bausteine in persönlich und dinglich – eben die Freiheit, zu welcher der historische Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts sich nicht durchringen konnte, wie Schnorr überzeugend ausführt, aufgrund eines systematischen Fehlschlusses nicht. Der Verfasser ist wohl nicht römischer als die Römer, aber sicher ist er pandektistischer als die Pandektisten, und er nimmt das Gesetz ernst, gerade in seinen zeitbedingten Prägungen. Diese Haltung ist in Zeiten methodologischen Relativismus uneingeschränkt zu begrüßen, gerade im Felde der Rechtsobjekte, deren System kaum eine europäische Rechtsordnung derzeit präzise zu gestalten weiß (vgl. nur die Beiträge in: Juristische Vorlesungen und Prüfungen in Europa, hg. v. Baldus, Christian/Wacke, Andreas. Ein praktischer Vergleich am Beispiel des Rechtsobjekts, Stuttgart u. a. 2002). Sie bringt keine neue historische Erkenntnis mit sich, wohl aber neue Optionen für die Leistungsfähigkeit des Rechts, das auf römisch-pandektistischer Grundlage entstanden ist; und in der Schaffung solcher Optionen liegt ein durchaus legitimer Gebrauch des historischen Arguments. Man muß sich nur stets vor Augen halten, daß es sich eben um einen gegenwartsbezogenen Gebrauch handelt. Wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, daß historisches Denken, Systemdenken und Mut zum Experiment sich nicht ausschließen (und all dies nicht mit prägnanter Sprache): Schnorr liefert ihn. Man muß ihm nicht glauben. Aber er hat Argumente, solche, die man auch bei der anstehenden Europäisierung des Sachenrechts nicht vergessen sollte.

 

Heidelberg                                                                                                     Christian Baldus