Müller-Hogrebe, Cordula, Der rheinische Jurist Joseph Bauerband. Die Lehre des rheinischen Rechts im Spannungsfeld deutscher und französischer Rechtstraditionen (= Europäische Hochschulschriften 2, 4170). Lang, Frankfurt am Main 2005. 413 S., 2 Abb.

 

Obwohl die Rheinprovinz das größte deutsche Geltungsgebiet des französischen Rechts darstellte, erhielt die Universität Bonn erst zum Sommersemester 1844 einen Lehrstuhl für das rheinisch-französische Recht. Allerdings hatten bereits bei der Gründung der Bonner Universität von 1819 an kontinuierlich Vorlesungen zum französischen Recht stattgefunden (S. 49ff.). Über Joseph Bauerband (1800-1878), den ersten Inhaber des rheinischrechtlichen Lehrstuhls, existierte bislang keine biographische und werkgeschichtliche Studie, was damit zusammenhängen dürfte, dass von ihm als Veröffentlichung im wesentlichen nur die auf den ersten Blick wenig reizvollen „Institutionen des französischen Civilrechtes“ (306 S.) vorliegen. Es ist das Verdienst Cordula Müller-Hogrebes, herausgearbeitet zu haben, dass die „Institutionen“ Bauerbands im Zusammenhang mit seinen Vorlesungen für die rheinische Rechtspraxis von nicht unerheblicher Bedeutung waren. Die Verfasserin geht zunächst kurz auf Bauerbands Lebensstationen ein (S. 15ff.) und behandelt anschließend dessen beruflichen Werdegang (S. 31ff.). Nach dem Rechtsstudium in Heidelberg und Bonn durchlief er die preußische Auskultator- und Referendarausbildung. Nach kurzer Tätigkeit als Friedensrichter ließ er sich 1828 als Advokatanwalt am Rheinischen Appellationsgerichtshof in Köln nieder, wo er alsbald zu einem der gefragtesten Parteivertreter wurde. 1840 übernahm er die Mitredaktion des „Rheinischen Archivs“. 1843 verlangte der Rheinische Provinziallandtag die Errichtung eines Lehrstuhls für Rheinisches Recht an der Universität Bonn in einer Petition, die zur Einrichtung des genannten Lehrstuhls und nach schwierigen Verhandlungen im April 1844 zur Berufung Bauerbands führte – gleichzeitig verlieh im die dortige Rechtsfakultät die Ehrendoktorwürde. Bauerband hat, wie die „Tabelle der Vorlesungen im Rheinischen Recht“ (S. 407ff.) zeigt, zwischen 1844 und dem Sommersemester 1878 kontinuierlich Vorlesungen zum rheinischen Zivil-, Handels-, Zivilprozess- und Strafprozessrecht gehalten. 1848 war Bauerband Bonner Abgeordneter in der Preußischen Nationalversammlung und hier als konservativer Katholik dem rechten Zentrum zuzurechnen. Hervorzuheben ist insbesondere seine Mitwirkung an dem amtlichen Verfassungsentwurf und in der Verfassungskommission, auf welche die sog. Charte Waldeck zurückgeht. Hier trug er maßgeblich dazu bei, dass die der rheinischen Rechtsordnung zugrunde liegenden Verfassungsprinzipien der Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche für ganz Preußen maßgebend wurden. Als Mitglied des Herrenhauses (seit 1854) setzte er sich zwischen 1859 und 1861 gegen die Mehrheit für die Einführung der obligatorischen Zivilehe ein, eine Position, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Zentrum vehement ablehnte. 1861 erstattete er auf Bitten des Berliner Justizministeriums ein Gutachten über den Entwurf des Bonner Landgerichtsrats Ignaz Bürgers (1860) zur Reform des rheinischen Hypothekenrechts. Die Vorschläge Bauerbands (S. 359ff.) orientierten sich am belgischen Hypothekengesetz von 1851 und waren auf Einführung des Publizitäts- und Spezialitätsprinzips gerichtet (jedoch Ablehnung eines Gutglaubenserwerbs, des Realfoliensystems und des Legalitätsprinzips), nicht aber auf eine „revolutionäre“ Neugestaltung des Immobiliarrechts, wie sie sich für Preußen zu dieser Zeit allenfalls in ihren ersten Umrissen abzeichnete (hierzu Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht III, Grundbuchordnung, S. 5ff.) und erst 1885 auf das Rheinland übertragen wurde.

 

Rechtsgeschichtlich am bedeutsamsten waren Bauerbands Vorlesungen über das rheinisch-französische Recht, zu dem allerdings nur eine Vorlesungsnachschrift von L. Voshege über „Kirchliches und bürgerliches Eherecht“ (Sommersemester 1870) vorliegt. Es handelt sich hierbei um eine der nicht wenigen Spezialvorlesungen Bauerbands, der sich mit seinen Vertiefungsvorlesungen „als Vorreiter einer im modernen Sinne wissenschaftlichen Universitätsausbildung“ erweist (S. 95). Entgegen der in Frankreich üblichen exegetischen Vorgehensweise bezweckte das Lehrkonzept Bauerbands eine Verwissenschaftlichung und zugleich Didaktisierung des rheinischen Privatrechts. Bauerband ging es um eine systematische Stoffvermittlung unter Verzicht auf zu ausgedehntes Spezialwissen und um das wissenschaftliche Grundverständnis des rheinischen Rechts. Im Mittelpunkt des Hauptteils des Werkes steht die Analyse des Institutionenlehrbuchs von Bauerband (S. 155-358). Zunächst stellt die Verfasserin heraus, dass dieses Lehrbuch zu der im 19. Jahrhundert für Deutschland wiederbelebten Literaturgattung der Anfängerlehrbücher gehört, welche den Rechtsstoff auf weitgehend theoretischer Grundlage in ihren Grundprinzipien systematisch erschließen. Dem Werk Bauerbands waren vorausgegangen die systematischen Darstellungen Wilhelm Behaghels und Stabels, welche die Verfasserin durchgehend zum Vergleich mit dem Werk von Bauerband heranzieht. Ferner zieht die Verfasserin fortlaufend heran das Standardwerk Zachariaes zum französischen Zivilrecht (5. Aufl. von 1853, bearbeitet mit B. von Anschütz), die Werke von Ch. Aubry/Ch. Rau, von G. Massé/Vergé, von Toullier, von Marcadé, Valette, Laurent und Acollas, ferner Savignys „System“ und Puchtas „Cursus der Institutionen“ (S. 186f.). Im Gegensatz zu Zachariae und Thibaut (in seinem Lehrbuch des französischen Zivilrechts von 1841) gliedert Bauerband sein Lehrbuch nach der durch den Code civil bestimmten Ordnung. Jedoch ist den einzelnen Lehrbuchabschnitten meist eine Einleitung vorangestellt, in welcher er die allgemeinen Prinzipien des jeweiligen Rechtsinstituts darlegt. Die Verfasserin weist hin auf die didaktische Aufbereitung des Rechts als Kern des Konzepts Bauerbands, den Vorrang der Rechtsdogmen, die Unvollständigkeit, den – wenn überhaupt – nur kurzen Aufriss von Problemen, die geringen Zitate sowie die regelmäßig rechtsgeschichtliche Einführung, die bis auf das römische Recht und die vorrevolutionäre Zeit zurückgeht. Damit schließt sich Bauerband an die von Savigny begründete Wissenschaftstheorie an.

 

Im Einzelnen untersucht die Verfasserin die rechtstheoretischen und methodischen Einflüsse der Pandektistik auf die Begrifflichkeit und Interpretationstechnik in den „Institutionen“ von Bauerband für das Eigentum, die Privatautonomie, das Vermögen, die Ehe (Ehebegriff; Ehescheidung), die Stellung der Frau und das Verbot der Vaterschaftsklage (Art. 340 C.c.). Das Eigentum wird nicht etatistisch, sondern entsprechend den auf der Philosophie Kants aufbauenden Lehren Savignys subjektiv-liberal gedeutet, die Privatautonomie stellt sich als subjektiv-individualistisch dar; der Vermögensbegriff wird als systembildende Kategorie des Rechts herausgearbeitet. Für das Eherecht folgt Bauerband nicht in vollem Umfang dem von der deutschen Rechtswissenschaft im Anschluss an Hegel und Savigny herausgebildeten institutionellen Ehebegriff. Vielmehr betont er das Prinzip der Religionsfreiheit und gesteht den Ehepartnern zumindest ein geringes Maß an Dispositionsfreiheit zu (einverständliche Scheidung; obligatorische Zivilehe). Der strenge Patriarchalismus wird von Bauerband mit dem von ihm befürworteten deutschen bürgerlichen patriarchalischen Familienmodell der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebilligt. Zwar lehnt er die degradierenden Begründungen des französischen Gesetzgebers für die Minderung der rechtlichen Handlungsfähigkeit der Ehefrau ab, rechtfertigt jedoch in weitem Umfang die rechtlichen Einschränkungen mit dem Nutzen des Mannes und der Familie. Die Verteidigung des Recherche-Verbots (Art. 340 C.c.) liegt im Wesentlichen auf der Linie des scharfen preußischen Unehelichengesetzes von 1854. Mit seiner Stellungnahme dürfte Bauerband auch die rigorose rheinische, später vom Reichsgericht übernommene, von der französischen Rechtsprechung abweichende Judikatur zum Nichtehelichenrecht beeinflusst haben. Im Anschluss an die Detailanalysen erschließt die Verfasserin die dogmatische und methodische Arbeitsweise Bauerbands anhand weiterer Beispiele aus dem Lehrbuch im Zusammenhang. Mit seiner Anknüpfung an das pandektistische Rechts- und Systemverständnis und dessen Terminologie verbindet Bauerband die historische, philosophische und systematische Methode miteinander. Die Verfasserin analysiert die an Savigny ausgerichteten Auslegungskriterien und belegt im Einzelnen, dass Bauerband dem Code civil keineswegs kritiklos gegenüberstand und auch rechtsvergleichend arbeitete. Abschließend stellt sie fest: „Bauerband ist es in seinem Werk gelungen, die pandektistischen Lehren adäquat mit dem Code civil zu verbinden. Seine wissenschaftliche Bearbeitung des französischen Rechtsstoffes fügt sich nahtlos in die deutsche Privatrechtswissenschaft ein. Seine Erläuterungen befinden sich sämtlich auf dem aktuellen Wissenschaftsstand der Pandektistik. Er stellt die Auslegung bereits in Kontext zu Verfassung und Rechtsstaat. Ferner berücksichtigt er die Interessengegensätze bzw. Zwecke. Dadurch geht seine Interpretationstechnik über die Entwicklungsstufe der Rechtsquellen- und Auslegungslehre Savignys hinaus“ (S. 358). Insgesamt handelt es sich bei Bauerband um eine Übertragung der pandektistischen Lehren auf die französische Zivilrechtskodifikation. In der Konsequenz, mit der dieses Ziel verfolgte, übertrifft Bauerband die Lehrbücher von Behaghel und Stabel. Insgesamt kann man von einer eigenständigen, aber nicht nationalistisch verengten deutschen Dogmatik des französischen Zivilrechts sprechen, die weit über die von Zachariae begründete Tradition hinausgeht und in der partiell eigenständigen deutschen Rechtssprechungsvariante zum Code civil in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Parallele hat.

 

Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist auch die Tradition deutscher Gesamtdarstellungen des französischen Zivilrechts (zuletzt durch Crome 1894/95) für lange Zeit erloschen und erst durch Ferid 1971 wieder aufgenommen worden. Die Verdrängung des rheinischen Rechts durch das BGB hat bislang die Beschäftigung mit der deutschen Literatur zum französischen Recht insbesondere aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die kaum weiterführende wissenschaftliche Erkenntnisse zum französischen Recht vermittelt, als wenig reizvoll erscheinen lassen. Mit ihrer allerdings mitunter recht breiten Darstellung hat Müller-Hogrebe der Rechtsgeschichte einen neuen Zugang zu dieser Literatur eröffnet. Sie hat erstmals eine Detailanalyse eines deutschen Lehrwerks zum Code civil aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts unternommen und dabei vor allem die wissenschafts- und bildungsgeschichtliche Bedeutung der deutschen Rechtsliteratur zum französischen Recht und speziell des Werkes Bauerbands herausgearbeitet. Da dessen „Institutionen“ insbesondere im rheinischen Raum gut verbreitet gewesen sein dürften – hinzu kommt noch die Vermittlung des französischen Rechts durch seine Bonner Vorlesungen –, dürften der Einfluss der Methodik Bauerbands und seine inhaltliche Darstellung des französischen Zivilrechts auch auf die rheinische Gerichts- und Anwaltspraxis nicht gering gewesen sein. Insgesamt hat Müller-Hogrebe mit ihrem Werk über die Verwissenschaftlichung des französischen Rechts durch die Integrierung pandektistischer Systematik und Begrifflichkeit einen gewichtigen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Code civil in Deutschland vorgelegt.

 

Kiel

Werner Schubert