Möller, Caren, Medizinalpolizei. Die Theorie des staatlichen Gesundheitswesens im 18. und 19. Jahrhundert (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft). Klostermann, Fankfurt am Main 2005. XI, 376 S.

 

Die Vorsorge für die Erhaltung der Gesundheit und das Leben der Unterthanen, ist eine der allerwichtigsten und ersten Pflichten eines Regenten, schrieb Johann Heinrich Bergius 1771 in seinem in Frankfurt am Main herausgegebenen Policey- und Cameral-Magazin. Mit diesem Zitat charakterisiert die Verfasserin eine sich in der politischen Theorie in Deutschland seit der Mitte des 18. Jahrhunderts durchsetzende Kampagne, die den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung kritisierte und zu seiner Besserung ein staatliches Gesundheitswesen forderte. Der sich damit befassenden Literatur widmet sich die von Diethelm Klippel betreute Bayreuther Dissertation.

 

Nach Schilderung von Fragestellung, Quellen, Methode und Forschungsstand, bei der nicht besonders überraschend das Fehlen einer umfassenden rechtshistorischen Analyse des theoretischen Diskurses über die Medizinalpolizei im 18. und 19. Jahrhundert und dessen Entwicklung im Kontext der Staatszweckdiskussion festgestellt wird, beginnt die Verfasserin ihre in sieben Kapitel geteilte Untersuchung mit der Entwicklung der medizinalpolizeilichen Literatur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ohne die bereits im 16. Jahrhundert auftretenden Vorläufer völlig zu übergehen. Umfangreichste Schrift zur Theorie des öffentlichen Gesundheitswesens dieser Zeit ist Johann Peter Franks sechsbändiges System einer vollständigen medicinischen Polizey (1771ff.). In ihm werden menschliche Fortpflanzung, Ehe und Schwangerschaft, unehelicher Geschlechtsverkehr, Hygiene der Kinder, Ernährung, Kleidung, Erholung, Wohnung, Sicherheitsanstalten, Scheintod, Luftverunreinigung, Beerdigung und medizinische Ausbildung nacheinander dargestellt, woraus sich als Aufgabenspektrum der Medizinalpolizei die medizinische Versorgung der Bevölkerung unter besonderer Berücksichtigung der Prävention und der Sorge um Kinder und Jugendliche, Sterbende und soziale Randgruppen gewinnen lässt.

 

Diese Medizinalpolizei verfolgt die Verfasserin danach im Dienste des Staates und seiner Bevölkerung und in der politischen Theorie des aufgeklärten Absolutismus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dringt demgegenüber allerdings entsprechend der allgemeinen Entwicklung ein liberales Modell vor, das die Gesundheit als Aufgabe des Einzelnen ansieht, dem zum Trotz die staatliche Gesundheitspolitik weitergeführt wird, obgleich die Staatsintervention als Gegnerin der Gewerbefreiheit angesehen wird.

 

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wird eine Neugestaltung des Gesundheitswesens versucht. Bei ihr wird das Recht des Einzelnen auf Gesundheit als Grundlage des öffentlichen Gesundheitswesens angesehen. Zugleich geht es vielen Autoren aber auch um eine einflussreichere Stellung der Ärzteschaft innerhalb der Gesamtgesellschaft.

 

Zutreffend weist die Verfasserin am Ende ihrer schlüssigen Untersuchung nochmals besonders darauf hin, dass die medizinalpolizeilichen Forderungen ihres Untersuchungszeitraums nicht nur durch die jeweils herrschende Staatstheorie, sondern auch durch wirtschaftspolitische und bevölkerungspolitische Ziele bestimmt sind. Erst die spätere Verdrängung der Polizeiwissenschaft durch das Verwaltungsrecht bewirkt eine zunehmende Ausblendung politischer und ökonomischer Fragestellungen. Gleichwohl, so schließt die Verfasserin überzeugend ihre auf eine breite Quellengrundlage gestützte Arbeit, bleiben einige der im Kontext der Medizinalpolizei diskutierte Materien auch innerhalb des Verwaltungsrechts ein Motiv für die gesamte Staatstätigkeit.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler