Landwehr, Götz, Das Seerecht der Hanse (1365-1614). Vom Schiffsordnungsrecht zum Seehandelsrecht (= Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V: Hamburg 21 [2003], Heft 1). Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften in Kommission beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Hamburg 2003. 164 S.

 

Die lange Reihe von Veröffentlichungen des führenden deutschen Experten zur Seerechtsgeschichte wird mit dieser Schrift um einen wichtigen Baustein ergänzt. Seit einiger Zeit schon ist die Rede von einer in Vorbereitung befindlichen umfassenden Monographie zur Rechtsgeschichte des Seehandels, doch im Grunde ergänzen sich Götz Landwehrs einschlägige, leider etwas verstreut veröffentlichte Publikationen (Nachweise S. 161f.) bereits ein gutes Stück weit zu einer solchen Gesamtdarstellung.

 

Das hier anzuzeigende Heft, ein ausgearbeiteter Vortrag in einer wissenschaftlichen Sitzung der Hamburger Joachim Jungius-Gesellschaft, hat Übersichtscharakter. Es geht um eine Gesamtdarstellung der zweieinhalb Jahrhunderte hansischen Seerechts zwischen dem ersten damit befassten Hanserezess von 1365 und dem letzten und umfangreichsten hansischen Gesetzgebungswerk, „Der ehrbaren Hanse-Städte Schiffs-Ordnung und See-Recht“ von 1614. Dies ist in etwa die Epoche zwischen dem Stralsunder Frieden, der als Höhepunkt hansischer Machtentfaltung gilt, und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges, als die Hanse nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Bedeutungsverlust und Anstieg der gesetzgeberischen Aktivität verhalten sich also reziprok zueinander. Man könnte versucht sein, diese Tendenzen in Beziehung zu setzen – bemühte die Hanse sich etwa, der zunehmenden Verdrängung durch die Territorialstaaten zu begegnen, indem sie deren Herrschaftsinstrumentarien übernahm, so gut ein Städtebündnis das eben konnte? Doch solche übergreifenden Fragen gehören nicht zu der Aufgabe, die Landwehr sich gestellt hat.

 

Der Untersuchungszeitraum überbrückt die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit. Bei so angelegten Längsschnitten würde man auf vielen Rechtsgebieten die Einflüsse des gelehrten Rechts erkennen. Wie steht es damit im Seerecht, das doch traditionell als ein davon eher unberührter Bereich internationalen Kaufmannsrechts (evtl. gar einer Lex mercatoria?) gilt? Die Einzelfallregelungen, auf die sich die Hansestädte auf ihren spätmittelalterlichen Tagfahrten einigten und die dann in den Hanserezessen protokolliert wurden, sind eher von den alltägliche Problemen und Gefahren geprägt, die sich seit der antiken Lex Rhodia de iactu nicht alle fundamental geändert hatten. Geordnet waren sie rein chronologisch, und auch in den Schifferordnungen des 16. Jahrhunderts gibt es lediglich Anfänge einer Systematik nach Lebenssachverhalten. Erst die nach Rechtsverhältnissen systematisierende umfassende Darstellungsweise des Seerechts von 1614, die ihm bereits den Charakter einer Kodifikation verleihen, trägt die Handschrift eines studierten Juristen. Sie war das Werk des hansischen Syndikus Dr. Johannes Doman.

 

Das hansische Seerecht stand zwischen den im Hanseraum schon früh einflussreichen westfranzösischen und niederländischen Seegewohnheitsrechten (Rôles d’Oléron, Vonnesse van Damme, Ordinancie der Zuiderzee-Städte) einerseits und den vom hansischen Seerecht zu unterscheidenden hansestädtischen (also insbesondere hamburgischen und lübischen) Regelungen andererseits. Diese drei Rechtskreise beeinflussten sich gegenseitig in schwankender und höchst komplizierter Weise. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die klare Statutentheorie des Ius Commune fand hier nicht ohne weiteres Anwendung. Das Seerecht von 1614 galt in Hansestädten ohne eigenes Seerecht unangefochten als primäre Rechtsquelle, verdrängte in den Städten lübischen Rechts das dort geltende Seerecht, war aber in den Städten hamburgischen Rechts seinerseits nur subsidiär. Eine solche verwirrende Vielfalt ließe sich in einer von gelehrter Systematik geprägten Rechtswelt kaum vorstellen. Einen Weg durch diesen Dschungel von Statuten zu weisen ist nicht das geringste Verdienst von Landwehrs Schrift.

 

Er geht dabei folgendermaßen vor: Die Kapitel A-D beschreiben im Sinne einer äußeren Rechtsgeschichte die Textschichten der seerechtlichen Bestimmungen der Hanserezesse von 1365 bis 1447, deren Geltung zeitlich beschränkt war und die daher immer wieder von neuem wiederholt werden mussten. Es folgen die Schifferordnungen von 1482 bis 1591, die dem in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer energischer vorgetragenen Bedürfnis nach einer dauerhaften Regelung entsprachen, sowie schließlich die genannte Kodifikation von 1614. Das dort an die ältere Bezeichnung „Schifferordnung“ (bzw. 1519 „Schiffsordnung“) angefügte Titelwort „Seerecht“ ist kein bloße Tautologie, sondern steht für eine inhaltliche Erweiterung über die Regelung der Rechtsverhältnisse der an Bord befindlichen Personen hinaus auf ein Seehandelsrecht im modernen Sinne. Dieses Gesetz, beeinflusst von den kurz zuvor revidierten Stadtrechten von Lübeck (1586) und Hamburg (1603), aber auch von dem niederländischen Seerecht in der Ordonnanz Philipps II. (1563), wird dann in Kapitel E, das die ganze zweite Hälfte der Schrift umfasst, im Sinne einer inneren Rechtsgeschichte inhaltlich analysiert und kommentiert. Es erweist sich dabei in seiner modernen, nicht mehr von Lebenssachverhalten, sondern juristischen Zusammenhängen bestimmten Systematik als ein Meilenstein, der dann seinerseits zusammen mit den schwedischen und französischen Seegesetzen der zweiten Jahrhunderthälfte das Seerecht und insbesondere das wichtige preußische Seerecht von 1727 beeinflusst hat. Dem 19. Jahrhundert, insbesondere der Rechtsprechung des Oberappellationsgerichts der Vier Freien Städte zu Lübeck, diente es dann zusammen mit diesen anderen Quellen als ein Baustein zur Feststellung eines gemeinen deutschen Seerechts, das man sogar in ein gesamteuropäisches Seehandelsrecht zu integrieren versuchte.

 

Ein kurzes, aber wichtiges Zwischenkapitel (S. 27-33) macht die Forschungen von Ernst Pitz (Bürgereinung und Städteeinung, 2001) für die Rechtsgeschichte nutzbar und erläutert, wie die Beschlüsse der Hansetage als verkappte Mehrheitsentscheidungen zustande kamen und dann indirekt zu unmittelbar geltendem Recht für die Bürger der einzelnen Städte wurden, sobald sie ihnen eigens oder beim nächsten Schwörtag verkündet wurden; hierzu waren alle, auch die nicht auf den Hansetagen vertretenen Städte verpflichtet.

 

Das interessierte Publikum darf den nächsten seerechtliche Werkstücken aus der Feder Götz Landwehrs mit Spannung entgegensehen.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Albrecht Cordes