Jüdische Gemeinden und ihr christlicher Kontext in kulturräumlich vergleichender Betrachtung von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Cluse, Christoph/Haverkamp, Alfred/Yuval, Israel J. (= Forschungen zur Geschichte der Juden, Abteilung A Abhandlungen 13). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2003. IX, 569 S.

 

Die Beiträge des hier vorliegenden Sammelbands gehen auf eine viel beachtete internationale Konferenz zurück, die im Oktober 1999 an der Universität Trier stattgefunden hatte. Nicht zum ersten Mal ist die Geschichte jüdischer Gemeinden einer derartigen Analyse unterzogen worden. Fünf Jahre vorher gab es eine ähnliche Tagung in Stuttgart-Hohenheim, veranstaltet von der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden (Tagungsband: Robert Jütte/Abraham P. Kustermann, Hgg., Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, Wien u. a. 1996 = ASCHKENAS Beiheft 3). Doch wurden jetzt noch mehr als in letztgenanntem Band übergreifende Probleme angesprochen und vergleichende Analysen angestellt. Für den Rechtshistoriker besonders erfreulich erscheint, dass die Einzelanalysen nicht nur durch Orts- und Personenregister, sondern auch durch ein Sachregister erschlossen wurden. Wenn hier Begriffe wie „Allmende“, „Amtseinsetzung“, Ansiedlungsrecht“, „Aufenthaltsrecht“, „Bann“, „Bürgerrecht“, „communitas iudaeorum“, „Ehe“, „Familie“, „Gästerecht“, „Gemeinde“, „Gericht“, „Gerichtsbarkeit über Juden“, „Judengericht“, „Judenherrschaft“, „Judenordnung“, „Judenregal“, Judenschutz“, „Judenrat“, „Nutzungsgenossenschaft“, „Parnas (Gemeindevorsteher)“, „Rabbinat“, „Recht, jüdisches“, „Reichsrabbiner“, „Responsen“, „Selbstverwaltung“, „Synagogengemeinde“, „Takkanah“ und „Weiderechte“ mit jeweils zahlreichen Nachweisen auftauchen, so ist allein dies schon ein Beleg dafür, welch reichhaltiger Ertrag dieser Band für den Rechtshistoriker erwarten lässt.

 

Dennoch kann für die Zwecke dieser Zeitschrift nicht jeder der Beiträge gewürdigt werden. Es soll nur das angesprochen werden, was von besonderer rechts- und verfassungshistorischer Relevanz erscheint. Der Rezensent, der selbst die Tagung an Ort und Stelle mitgemacht hat, weiß natürlich, dass sich auch bei denjenigen Referaten, die sich mit auf den ersten Blick rechtshistorisch unergiebigen Themen beschäftigt haben, in der nachfolgenden Diskussion überraschende Bezüge zutage treten konnten. Doch kann hier im Folgenden nur auf die zentralen Punkte hingewiesen werden.

 

In den fünf Abschnitten des Bandes – 1 Orientierungen; 2 Wandlungsprozesse in Spätantike und Frühmittelalter; 3 Regionale Kontexte im europäischen Mittelalter; 4 Mittelalterliche Judengemeinden in lokalen Kontexten; 5 Jüdische Organisationsformen im hohen und späten Mittelalter; 6 Jüdische Organisationsformen in der Frühneuzeit – versuchen die Thematik des Bandes zeitlich, geographisch und thematisch einigermaßen sinnvoll zu ordnen. Dass dabei auf vorhandene Kompetenzen der Referenten Rücksicht genommen werden musste, versteht sich von selbst. Der zeitliche Schwerpunkt des Bandes liegt allerdings ganz im Mittelalter, während die Spätantike und die Frühneuzeit eher wie Prolog und Epilog wirken, die der Vollständigkeit halber einbezogen wurden. Der Abschnitt „Orientierungen“ übernimmt offensichtlich die Funktion einer Einleitung und Hinführung auf die wichtigsten Themen des Bandes: In Alfred Haverkamps Beitrag (Jüdische Gemeinden und ihr christlicher Kontext: Konzeptionen und Aspekte) überblickshaft und zugleich programmatisch, in Israel J. Yuvals Beitrag „Christliche Zeit und jüdische Zeit: Das Paradox einer Übereinstimmung“ durch Aufdeckung der Querbezüge und Beeinflussungen zwischen jüdischer und christlicher Kultur und schließlich in David Nirenbergs Beitrag „Das Konzept von Rasse in der Forschung über mittelalterlichern iberischen Antijudaismus“ durch eine Anbindung an moderne Forschungskonzepte über den Begriff von Rasse. Im zweiten Abschnitt, hier weniger interessierend, um die Funktion der „Priesterschaft“ in der spätantiken jüdischen Gemeinde (Oded Irshai) und Grabinschriften als Zeugnisse jüdischen Lebens im lateinischen Westen (Friedrich Lotter). Der dritte Abschnitt geht über das Thema der eigentlichen Gemeinden weit hinaus: Wenn von den herrschaftlichen Bezügen der Juden in der Champagne in der Zeit vom 11. bis zum 14. Jahrhundert die Rede ist (Sonja Benner und Alexander Reverchon), wenn mit den „juderías“, den „burgos“ und den Pfarrgemeinden die Kolonisierung und die städtische Entwicklung im Königreich Navarra in der Zeit von 1076 bis 1328 angesprochen wird (Juan Carrasco), wenn die jüdische Siedlung und Gemeindebildung im mittelalterlichen Polen vorgestellt wird (Jürgen Heyde), wenn die Organisation und königliche Disziplinierung der englischen jüdischen Gemeinschaft im Mittelalter untersucht wird (Robin R. Mundill) und wenn schließlich das Verhältnis von jüdischer Familie zur Gemeinde in Ober- und Mittelitalien während des 14. und 15. Jahrhunderts einer Analyse unterzogen wird (Alessandra Veronese). Wie in diesem Abschnitt geraten auch im vierten Abschnitt des Bandes (Mittelalterliche Judengemeinden in lokalen Kontexten) verfassungs- und rechtshistorische Gesichtspunkte zunehmend in den Blick der Beiträger: Bei der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen jüdischer und christlicher Gemeinde im Kölner Kirchspiel S. Laurenz (Matthias Schmandt) ebenso wie im spätmittelalterlichen Köln (Gerold Bönnen), auch bei der Stellung und Geschichte der Prager Judengemeinde im Zeitalter der Hussiten in den Jahren 1389 bis 1485 (Frantisek Smahel) und schließlich bei Thematisierung der Beziehungen zwischen Stadt und Judengemeinde in Regensburg, hier besonders hinsichtlich des ‚Judengerichts’ im Schulhof (Christoph Cluse). Im letztgenannten Beispiel, in dem die zunehmende Abhängigkeit der jüdischen Gemeinde von der städtischen Obrigkeit deutlich wird, werden zugleich allgemeiner diskutierte rechtshistorische Fragestellungen aufgegriffen, nämlich nach dem Verhältnis von Rechtstraditionen zu rationalisierenden Entwicklungen.

 

Die beiden letzten Abschnitte zu den Organisationsformen jüdischer Gemeinden in der vormodernen Zeit sind verfassungshistorisch äußerst ergiebig. Rainer Barzen stellt die „Kehillot Schum“, eine bis ins 13. Jahrhundert hinein bestehende Verbindung der drei Gemeinden Mainz, Worms und Speyer vor, die weniger politisch gedacht war, vielmehr eher einen geistigen und disziplinierenden Führungsanspruch über die anderen aschkenasischen Gemeinden bedeutete. Yacov Guggenheim stellt unter dem Titel „A suis paribus et non aliis iudicentur“ die jüdische Gerichtsbarkeit des Spätmittelalters, deren Kontrolle durch die christliche Herrschaft und die Funktion des obersten Rabbiners der Gemeinen Judenschaft im Heiligen Römischen Reich vor. Joseph Shatzmiller macht auf die übergemeindlichen Organisationsformen in der mittelalterlichen Provence aufmerksam. Das Fortleben und Neuerstehen jüdischer Gemeinden in den „Medinot Aschkenas“, den deutschen Regionen, vom Spätmittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg ist Gegenstand eines weiteren Beitrags Stefan Rohrbachers. Jüdische Gemeindeordnungen des französischen Sprachraums spricht Simon Schwarzfuchs an (Über das Wesen der Takkonaus,der jüdischen Gemeindeordnungen. Von der Provence bis Metz, 13.-17. Jahrhundert, mit Editionsteil und Übertragungen ins Deutsche). Gemeindeordnungen in Ostmitteleuropa, hier besonders Krakau, sind auch Gegenstand des folgenden Beitrags von Heidemarie Petersen (Selbstverständnis einer polnischen Judengemeinde des 16. Jahrhunderts: Die Taqanot Qraqa aus dem Jahr 1595). In beiden Fällen geht es um die Selbstbehauptung gegenüber der christlichen Umwelt. – Lediglich der Beitrag Rolf Kießlings und Sabine Ullmanns über „Christlich-jüdische ‚Doppelgemeinden’ in den Dörfern der Markgrafschaft Burgau während des 17./18. Jahrhunderts“ greift über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hinaus. Hier werden ländliche Verhältnisse geschildert, die durch enge Nachbarschaften zwischen Christen und Juden geprägt sind, so dass man – wie bei gemeinsamen Allmendnutzungen – nicht ohne Berechtigung sogar von „Doppelgemeinden“ sprechen könnte. Das soziale und rechtliche Gefälle zwischen beiden Partnern sollte jedoch nicht übersehen werden.

 

Darmstadt                                                                                          J. Friedrich Battenberg