Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), begründet von Stammler Wolfgang/Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, hg. v. Cordes, Albrecht, Lück, Heiner und Werkmüller, Dieter unter philologischer Mitarbeit von Schmidt-Wiegand Ruth, Lieferung 1 (Aachen-Anarchismus). Erich Schmidt, Berlin 2004. XV S., 1-224 Spalten.

 

Mit dem in Ort und Zeit im Einzelnen unbekannten Werden des Rechts begann seine Geschichte. Soweit die Erinnerung zurückreichte, war diese Geschichtlichkeit dem Menschen auch vielfach bewusst. Jenseits von bloßen, de origine handelnden Ahnenreihen fand diese Geschichtlichkeit eine eigene Darstellung aber erst vor weniger als 500 Jahren.

 

Im deutschen Sprachraum ist dieser Erkenntnisfortschritt mit Hermann Conrings (1606-1681) De origine iuris Germanici von 1643 verbunden. Seine Helmstedter Spur setzt bekanntlich Georg Beyer (1665-1714) in Wittenberg viele Jahrzehnte später mit der posthum veröffentlichten Delineatio iuris Germanici (1718) fort. Von hier aus breitet sich die Vorstellung allmählich aus, so dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die historia iuris oder auch die historia iuris Germanici an mehr und mehr Universitäten Gegenstand der Unterrichtung wird.

 

Mit dem Wechsel der Unterrichtssprache wird daraus die deutsche Rechtsgeschichte. Deswegen kann zunächst einfach die übersetzte historia iuris Germanici (etwa Selchows) dem Vortrag zugrundegelegt werden. Dass dieser förmliche Wechsel aber doch auch inhaltliche Folgen hat, zeigt die genau zu dieser Zeit von Karl Friedrich Eichhorn (1781-1854) nach seiner Göttinger Privatdozentenzeit in Frankfurt an der Oder verfasste deutsche Staats- und Rechtsgeschichte (1808).

 

Gerade zu dieser Zeit erhebt Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) das geschichtliche Verständnis des Rechts zum wesentlichen Grundsatz. In bisher unübertroffener Meisterschaft legt er von Berlin aus seit 1815 die Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter dar. Unter seiner Führung setzt sich die historische Rechtsschule, als deren Sprachorgan er 1815 mit Eichhorn die Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft gründet, im deutschen Sprachraum durch und wird weit darüber hinaus beachtet.

 

Den damit verbundenen Aufschwung zeigen die deutschen Rechtsgeschichten des späteren 19. Jahrhunderts. Heinrich Brunner (1840-1915) dringt mit seiner deutschen Rechtsgeschichte (1887ff.) so sehr in die Tiefe, dass er über die Anfänge nicht mehr wirklich hinauszugelangen vermag. Richard Schröder (1838-1917) widersteht zwar dieser Versuchung stärker, doch findet sich nach seinem Tode niemand mehr, der die mit den Erfolgen der historischen Rechtsschule verbundenen Erkenntnisfortschritte in einer Person zu vereinigen vermag.

 

Zu weit ist das riesige Feld. Zu groß ist die Zahl seiner als Doktoranden, Assistenten, Dozenten, Professoren oder auch Privatgelehrten wirkenden Bearbeiter und der von ihnen emsig und unaufhörlich erzeugten Früchte. Zu widrig sind auch die von Krieg und Zwang geprägten Zeitläufte.

 

Angesichts dessen kann der Versuch eines großen Lehrbuchs der deutschen Rechtsgeschichte eines Einzelnen kaum gelingen. Eine Alternative ist der Grundriss, wie ihn Heinrich Mitteis (1889-1952) von München aus seit 1949 zum Erfolg führt, bis der Verlag einem späten, mit der Behauptung der Fälschung als Prinzip hervorgetretenen Schüler die angestrebte Fortsetzung verweigert. Eine andere Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mehrerer an einem einheitlichen Werk, die freilich an der Individualität der Beteiligten scheitern kann.

 

In dieser schwierigen Lage wurde von dem Germanisten Wolfgang Stammler (1886-1965), Sohn eines bekannten Juristen und erfolgreicher Organisator verschiedener Sammelwerke (Reallexikon der der deutschen Literaturgeschichte 1925ff., Die deutsche Literatur des Mittelalters 1933ff.) um 1960 die Idee eines Hilfsmittels in Form eines einerseits die germanistischen Elemente in der Rechtsgeschichte Deutschlands, andererseits im weiteren Sinne jedoch die gesamte in Deutschland entfaltete Rechtsgeschichte, mithin auch die Romanisierung des Rechts, umfassenden rechtsgeschichtlichen Sammelwerks aller Interessierten geboren. Adalbert Erler (1904-1992), von Kiel über Heidelberg, Berlin, Greifswald, die Reichsfinanzverwaltung, Frankfurt am Main, Straßburg, Mainz 1950 (wieder) nach Frankfurt am Main gelangt, griff sie auf. Unter seiner Führung erschien seit 1964, beginnend mit Aachen, das alphabetisch geordnete Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, zu dessen Erstellung im Grunde die gesamte Fachwelt eingeladen war und an dessen erstem, 1971 abgeschlossenem Band sich insgesamt 150 Verfasser mit Beiträgen beteiligten.

 

Zwar durfte Adalbert Erler trotz allen persönlichen Einsatzes den Abschluss nicht mehr erleben. Unter seinem von Anfang an als Mitherausgeber beteiligten Schüler Ekkehard Kaufmann in Marburg, der seinerseits selbstlos von Dieter Werkmüller unterstützt wurde, konnte das große, nach Wolfgang Stammlers Tod von Ruth Schmidt-Wiegand philologisch beratene Werk aber erfreulicherweise 1997 mit seiner 40., bis Zycha reichenden Lieferung vollendet werden. Es ist ein auf drei Bände angelegter, durch mehr als 10000 Spalten oder mehr als 5000 Seiten in fünf Bänden dokumentierter Erfolg.

 

Da es das Eisen zu schmieden gilt, solange es heiß ist, setzten bereits im Zeitpunkt des Abschlusses der ersten Auflage die Überlegungen für eine zweite Auflage ein. Freilich waren vom ersten Plan bis zur vollständigen Verwirklichung des Handwörterbuches fast vierzig Jahre vergangen. Wer als junger Gelehrter an den Anfängen mitgewirkt hatte, stand nun am Ende seiner beruflichen Laufbahn.

 

Deswegen waren neben Dieter Werkmüller und Ruth Schmidt-Wiegand neue Herausgeber zu finden. Dabei lag es nahe, für die größte deutsche Rechtsgeschichte Adalbert Erlers Frankfurter Nachfolger als (bisher) größten deutschen Rechtsgeschichtler zu gewinnen. Auch die Einbeziehung der Ursprungsgebiete der Wissenschaft von der deutschen Rechtsgeschichte in der Person Heiner Lücks und der damit verbundenen Mittel der Stiftung Rechtsstaat Sachsen-Anhalt bot sich zwanglos an.

 

Anders als 1964 liegt die rechtsgeschichtliche Landschaft an der Wende zum dritten Jahrtausend lexikologisch aber nicht mehr brach, sondern ist mit der ersten Auflage besetzt. Da eine Neuauflage nicht hinter der Vorauflage zurückbleiben darf, müssen Verbesserungen angestrebt werden. Für sie ist mit der Erweiterung des Umfangs auf sechs Bände ausreichender Raum geschaffen.

 

Er soll in erster Linie für die Ergänzungen genützt werden, die sich schon während der Bearbeitung der ersten Auflage als wünschenswert erwiesen haben. Dazu gehören vor allem die stärkere Öffnung des Werkes für die letzten beiden Jahrhunderte und für die Geschichte des öffentlichen Rechts, der Verfassung und Verwaltung. Zur unveränderten Thematisierung auch der Romanisierung und zum fortgeführten Bekenntnis zur Kanonistik kommen zum beibehaltenen Sachstand der ersten Auflage in der Planung der neuen Herausgeber neu hinzu die eigene Geschichte der rechtsgeschichtlichen Wissenschaft, die in einer Reihe wissenschaftsgeschichtlicher, insbesondere biographischer Artikel Ausdruck finden soll, und die auf Grund der allmählichen Einigung Europas erwachsende Notwendigkeit der Erweiterung des rechtshistorischen Horizontes über die nationalen Grenzen hinaus, der, obwohl ein Lexikon zur gesamten europäischen Rechtsgeschichte für die Herausgeber zum jetzigen Zeitpunkt noch ausscheidet, durch die systematische Aufnahme von Übersichtsartikeln zu den einzelnen europäischen Ländern Rechnung getragen werden soll.

 

Demnach wird sinnvollerweise auf der ersten Auflage, zu der Karl Siegfried Bader 1967 meinte, es wird allerlei kritisch zu bemerken geben, aber auch vieles dankbar anzuerkennen sein, und immerhin 1980 anerkannte, vor allem ist an die Stelle von Plänen, über deren Ausgang sicht nichts sagen lässt, die Verwirklichung getreten, aufgebaut. Alle ihre Artikel werden überarbeitet, in erster Linie von den Autoren selbst. Wenn diese das nicht mehr tun wollen oder können, liegt die wissenschaftliche Verantwortung bei der neuen Autorin oder dem neuen Autor. Diese entscheiden, ob sie den alten Artikel nur überarbeiten und ihren Namen dem des Erstbearbeiters hinzufügen oder ob sie den Artikel ganz neu verfassen und allein unterzeichnen.

 

Betrachtet man auf dieser theoretischen Grundlage die tatsächliche Umsetzung an Hand des erfreulicherweise bereits nach sechsjähriger Planung erschienenen ersten Heftes des dem Andenken an Adalbert Erlers gewidmeten Bandes des in gleichem Erscheinungsrhythmus von ein bis zwei Lieferungen gedachten Gesamtwerks (von 60 Lieferungen?), so liegt der unmittelbare Vergleich nahe. Er zeigt vor allem den zu erwartenden weitgehenden Bearbeiterwechsel. Deutlich sichtbar ist auch die angestrebte Erweiterung.

 

Weist die erste Auflage für die Strecke von Aachen bis Anarchi(smus) 86 Artikel und Verweise auf, so sind es in der zweiten Auflage 116 Artikel und Verweise. Sie verteilen sich auf 72 Artikel und 44 Verweise. Dabei sind ganz wenige frühere Artikel in Verweise umgewandelt oder aufgegeben (z. B. Ahnengrab), als neue Artikel aber beispielsweise aufgenommen Albanien oder Amnestie.

 

Naturgemäß kann ein großes Werk bei vielen Mitarbeitern große Angriffsflächen mit vielen Kleinigkeiten bieten. Sie nutzen sollte nur, wer mit gleichem Aufwand Besseres schaffen kann und will. Deswegen ist an dieser Stelle hiervon Abstand genommen.

 

Als Wunsch darf vielleicht gleichwohl die Vorstellung geäußert werden, dass auch die Germanistik die Geltung römischen Rechts in Deutschlands ernst nimmt (Wurden nicht in Prag, Wien, Heidelberg und anderwo actiones gelehrt und in Frankfurt, Speyer, Wetzlar und anderswo erhoben?) und dass auch der Rechtshistoriker die Geschichte bis zur Gegenwart andauern lässt. Wer zu seiner Freude in der deutschen Rechtsgeschichte Albanien findet, wird möglicherweise auch den Aargau in der deutschen Rechtsgeschichte suchen oder die Akademie des deutschen Rechts nicht nur als Verweis sondern als eigenes Stichwort oder nicht nur die Aktenversendung, sondern auch die Akte selbst. Wer sich für das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch interessiert, könnte auch von Ignaz Wildner Edlen von Maithsteins Lexikon sämmtlicher Worte des österreichischen allgemeinen Gesetzbuches mit Angabe aller Paragraphe, in welchen dieselben vorkommen (1843), Kenntnis haben wollen.

 

Die Herausgeber haben eine gewaltige Aufgabe auf sich genommen. Möge sie ihnen mit Hilfe zahlreicher Mitarbeiter gut und rasch gelingen. Möge durch immer mehr rechtsgeschichtliches Einzelwissen in unbändigen Sammelwerken aber nicht zugleich auch die grundsätzliche Erkenntnis von der Geschichtlichkeit des Rechts und ihren einzelnen Grundzügen im Rechtsunterricht und damit der Zugang der Studierenden zur mehr und mehr von unterschiedlichsten Subjekten verwalteten und damit in Beschlag genommenen Rechtsgeschichte schlechthin völlig verschüttet werden.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler