Gómez Rojo, María Encarnación, Historia jurídica del anatocismo. Cátedra de Historia del Derecho y de las Instituciones – Facultad de Derecho – Universidad de Málaga, Barcelona 2003. 84 S.

 

Diese „Rechtsgeschichte des Zinseszinses“, also des Zinses auf den Zins, bringt auf gut 80 Seiten eine Fülle von Informationen zu den Wortfeldern „Wucher” (usura), „Zins” (interés) sowie „Zinseszins“ (die beste deutsche Übersetzung für „anatocismo“). Die kurz und bündig geschriebene Synthese geht weiter als kürzlich erschienene Monographien bzw. Aufsätze, etwa von Angelo Riccio, „L’anatocismo“[1], der lediglich auf die zivil- und finanzrechtlichen Aspekte aus italienischer Warte eingeht, von A. Murillo Villar, „Anatocismo. Historia de una prohibición“[2], sowie Koenraad Verboven, „The sulpicii from puteoli and usury in the early Roman Empire“[3]; die letztgenannten beiden Aufsätze sind im Ganzen zu epochenkonzentriert, so dass die Verfasserin, nachdem sie das einschlägige Schrifttum (einschließlich des deutschsprachigen!) gesichtet hatte, aus gutem Grund ihre Synthese über die Zinseszinsen vorlegen konnte.

 

Die Autorin erläutert in einem Streifzug von der Antike bis ins hohe Mittelalter die Rechtsquellen und die Stellungnahmen zu Darlehensverträgen und geht auf das allgemein bekannte Zinsnahmeverbot des Islams und des Christentums ein. Das Zinsnahmeverbot wurde von etlichen Konzilien der Kirche verlautbart, weil es dem Gebot der christlichen Nächstenliebe widersprach. Der Wucher wurde zur Gottesbeleidigung und zur noch schlimmeren Sünde als der Raub, so dass jedweder Gewinn aus einem Wuchergeschäft noch nicht einmal als Almosen gegeben werden durfte. Thomas von Aquin lässt einen Darlehensvertrag nur dann durchgehen, wenn der Gewinn oder das Geld unaufgefordert fließen und falls dies nicht aufgrund einer stillschweigenden oder ausdrücklichen Verpflichtung, sondern unentgeltlich geschieht; dann liegt nach Thomas keine Sünde vor, denn der Gläubiger könnte, bevor er das Geld geliehen hatte, unentgeltlich eine Schenkung empfangen haben. Ferner kann der Darlehensgeber, ohne eine Sünde zu begehen, mit dem Darlehensnehmer eine Entschädigung für erlittenen Schaden vereinbaren, denn dabei handelt es sich nicht um den Verkauf der Gebrauchsmöglichkeit des Geldes, sondern um eine bloße Schadensvermeidung. Dabei bestätigt Thomas auch, dass derjenige, der sein Geld einem Händler oder Handwerker anvertraut und mit ihm eine Gesellschaft (societas) eingeht, diesem das Geld nicht zum Eigentum überträgt. Der Händler bzw. Handwerker wirtschaftet nämlich mit dem Geld, das er für die Begleichung etwaiger Risiken aus dem Handelsgeschäft benützt. Auf der anderen Seite kann der Eigentümer dafür erlaubterweise einen Teil der Gewinne einstreichen.

 

Anhand einiger wichtiger spanischer lokaler Rechtsquellen, wie dem Fuero Juzgo, dem Fuero Real oder dem Ordenamiento de Alcalá, verdeutlicht die Autorin, wie der Wucher zu einem von Amts wegen zu verfolgenden Delikt wird. Auch für Juden und Muslime galt das Wucherverbot, da die ihnen gewährten Privilegien bei Zuwiderhandlung sehr schnell verwehrt resp. zurückgefordert werden konnten.

 

Der Verfasserin gelingt es in vorzüglicher Weise, die spanischen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtsquellen mit der damaligen Moraltheologie zu verweben. Wucher wurde nach der vorherrschenden Moral der Prostitution gleichgesetzt. Dies vertraten Gelehrte wie Domingo de Soto in seiner Schrift „De iustitia et iure“ (Salamanca 1553). Bei Domingo findet sich eine exakte Differenzierung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand des Wuchers; er geht davon aus, dass bei einer zusätzlichen Rückforderung von Kapital entweder aus entgangenem Gewinn oder für erlittenen Schaden oder aufgrund einer Schadensklausel zwar Wucher objektiv-tatbestandlich vorliegt, aber eben nicht die Sünde des Wuchers. Die Begründung dazu lässt aufhorchen: Der Händler (Darlehensgeber) sah sich zu dieser Erhöhung gezwungen, denn die genannten Umstände der Erhöhung lagen außerhalb seines Willens- und Freiheitsbereiches.

 

Der Verfasserin gelingt es sehr kenntnisreich, die Theorie des Wuchers in der juristischen Literatur nachzuzeichnen, wobei sie den Schwerpunkt eindeutig auf die spanische Spätscholastik legt, die gegen Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts entstand[4]. Neben Domingo de Soto kommen zu Wort: Tomás de Mercado, Juan de Hevia Bolaños (der aufgrund der Schwere des Wucherdelikts sowohl die weltliche als auch die kirchliche Gerichtsbarkeit zur Verfolgung einschalten will und die Zinseszinsen als „Zinsen von Zinsen“ als nicht geschuldet ansah) sowie Juan Bautista Larrea (der Zinseszinsen als „Wucher des Wuchers“ betrachtete und deshalb bekämpfte). In diese Richtung drängte auch André del Vaux aus Löwen. Alfonso María de Ligorio nahm Wucher ebenfalls an, sobald die Vertragsparteien einen anderen Vertrag wie Kauf oder Miete vorschoben, um einen Darlehensvertrag zu verstecken.

 

Des Weiteren behandelt Gómez Rojo die Juristen Francisco Lárraga, Pietro Scavini, Giovanni Devoti sowie den bekannten Marco Mastrofini, womit sie im 19. Jahrhundert angelangt ist. Gewissermaßen als Folge dieser Entwicklung behandelt sie can. 1543 des Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917, welcher die Entwicklung der kirchlichen Moraltheologie zeitgemäß zusammenfasst. Der Vollständigkeit halber geht sie knapp auf die aktuelle Rechtslage in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien ein. Während sie dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 248, 289) gerade einmal einen Satz widmet, erläutert sie Art. 1154 des französischen Code civil mit seiner Vorgeschichte etwas ausführlicher. Wünschenswert wäre in diesem Kontext eine erweiterte Darstellung des CIC von 1983 (can. 1392 und 1290) gewesen.

 

Am Schluss stellt die Verfasserin heraus, dass die Zinsnahme ohne besondere Rechtfertigung in einem bestimmten Vertrag oder die Festsetzung einer Zinserhöhung im Falle des Verzugs vom Zinseszinsverbot strikt zu unterscheiden sind. Dieser Fall, den sie als „anatocismo“ qualifiziert, liegt nur dann vor, wenn sich die entstandenen und nicht beglichenen Zinsen dem ursprünglich geschuldeten Kapital dergestalt zurechnen lassen, dass diese Zinsen, kraft Gesetz oder Vertrag, neue Zinsen tragen. Zinsen aus einem neuen und vom ersten unabhängigen Vertrag, also aus einer Novation, sind damit nicht gemeint, so dass Zinseszinsen lediglich aus dem Ursprungsvertrag fließen können.

 

Insgesamt gebührt vorliegender Monographie das Lob, Wucher und Zinseszins sowohl jeweils in ihrem historischen Kontext deutlich voneinander getrennt behandelt, als auch die Zusammenhänge und Überschneidungen übersichtlich hervorgehoben zu haben.

 

Saarbrücken                                                                                                  Thomas Gergen



[1] Padua 2002.

[2] In: Anuario de Historia del Derecho Español 69 (1999), S. 497-518.

[3] In: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 71 (2003), S. 7-28.

[4] Vgl. zur „Spanischen Schule“ bzw. „Spanischen Spätscholastik“:  Frank Grunert/Kurt Seelmann (Hgg.), Die Ordnung der Praxis. Neue Studien zur spanischen Spätscholastik (Frühe Neuzeit 68), Tübingen 2001; dazu die Rezension von Thomas Gergen, ZRG Germ. Abt. 121 (2005), 658-662.