Freund, Stephan, Von den Agilolfingern zu den Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen Kirchenorganisation, Reichsintegration und karolingischer Reform (700-847) (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 144). Beck, München 2004. XLVIII, 429 S.

 

Die Jenaer Habilitationsschrift behandelt die Geschichte des bayerischen Episkopats vom Anfang des 8. bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts. Sie fragt danach, in welchem Verhältnis die Bischöfe zu ihren erst agilolfingischen, später dann karolingischen Herrschern standen, welchen Beitrag sie zur Integration Bayerns in das Karolingerreich leisteten und welche Rolle sie schließlich im Rahmen der karolingischen Reformbemühungen spielten. Gegliedert ist die Arbeit in drei große, der Chronologie folgende Abschnitte: Freund untersucht zunächst die „Zeit der Organisation“, d. h. die Entwicklung des Episkopats unter den Herzögen Theodo, Odilo und Tassilo III. Anschließend beleuchtet er unter der Überschrift „Zeit der Integration“ die Jahre zwischen Karls des Großen Herrschaftsantritt in Bayern 788 bis zum Anfang des 9. Jahrhunderts. Im dritten und letzten Teil der Arbeit, der die „Zeit der Reform“ unter Ludwig dem Frommen behandelt, fokussiert Freund die Analyse dann auf eine einzelne Persönlichkeit, den Bischof Baturich von Regensburg. Diese Zuspitzung im Schlußteil trägt zur Anschaulichkeit der Ergebnisse bei, gleichwohl hätte man sich auch hier eine Untersuchung des gesamten bayerischen Episkopats gewünscht – zumal Freund ohnehin immer wieder Seitenblicke auf andere Bischöfe wirft, um durch die Erörterung von Parallelfällen trotz der Überlieferungslücken zu Baturichs Werdegang eine möglichst lückenlose Biographie vorzulegen.

 

Im ersten Abschnitt der Studie arbeitet Freund die frühen kirchenpolitischen Bestrebungen in Bayern selbst heraus. Schon Theodo bemühte sich demnach um den Aufbau einer eigenen, bayerischen Kirchenorganisation und lockte auf diese Weise aus dem Frankenreich Männer wie Rupert oder Korbinian zur Arbeit in Bayern an. Die Romreise Theodos 715/16 sieht Freund ebenfalls durch das Ziel des Herzogs motiviert, eine eigene bayerische Landeskirche zu begründen. Tatsächlich sei dann auch bereits im Gefolge der Legateninstruktion Gregors II. von 716, deren Echtheit Freund verteidigt, die bayerische Kirche in Bistümer gegliedert worden. Insgesamt sei mit einer „weitgehenden Umsetzung von Theodos Kirchenorganisationsvorhaben“ zu rechnen (S. 34). Vor diesem Hintergrund nimmt sich das Wirken des Winfrid-Bonifatius in Bayern zur Zeit Herzog Odilos bescheidener aus: Der Angelsachse begründete keineswegs erst die bayerische Kirchenorganisation, sondern reformierte allenfalls Strukturen, die nach dem Tod Theodos wieder zu verfallen drohten; er war eher corrector als fundator (S. 62). Mehr noch: Da er weder den Erwartungen Odilos noch jenen der bayerischen Geistlichkeit entsprach, führten seine Reformen in Bayern dazu, daß die Herzöge stärker mit ihren einheimischen Bischöfen zu kooperieren suchten. Ein entsprechend enges Verhältnis zum bayerischen Episkopat vermag Freund für Tassilo III. zu belegen. Tassilo leitete eine recht homogene bayerische Landeskirche, berief Versammlungen auch geistlicher Würdenträger ein und übte – im Zusammenspiel mit dem Adel – entscheidenden Einfluß auf Bischofserhebungen aus. Als er politisch in Bedrängnis geriet, stellten sich die bayerischen Bischöfe keineswegs frühzeitig auf die Seite Karls des Großen, sondern verhielten sich, nachdem Vermittlungsversuche gescheitert waren, zunächst einmal abwartend.

 

Der zweite Abschnitt der Arbeit untersucht die Integration Bayerns in das Frankenreich nach dem Sturz Tassilos. Die bayerischen Bischöfe zeichnet Freund hier weniger karolingernah, als es die ältere Forschung angenommen hatte. Als entscheidend für die Annäherung sieht er erst die Entwicklung ab 791: Angesichts eines wachsenden Unmuts in der bayerischen Geistlichkeit habe sich Karl gezwungen gesehen, der Kirche in Bayern größere Aufmerksamkeit zu schenken, sich 793 und 794 im Land aufzuhalten und „in gewisser Weise in die Bahnen der agilolfingischen Politik“ zurückzulenken (S. 209). Greifbar werde dieser Politikwechsel nicht nur in der Erhebung Adalwins als Nachfolger Sintperts auf der Regensburger Sedes, sondern auch in Schenkungen an bayerische Kirchen und in der Heranziehung bayerischer Bischöfe als Königsboten oder für Gesandtschaften. Weiterhin profitierten die Bischöfe von der Einführung der Metropolitanverfassung; die Erhebung Salzburgs zum Erzbistum sei dabei schon älteren Planungen gefolgt. Unter der Leitung von Karls Vertrautem Arn von Salzburg gelang es in der Folgezeit, die regionalen Adelsgruppen, die ihren Einfluß auf die Besetzung der Bistümer zu wahren wußten, friedlich in das Frankenreich zu integrieren.

 

Im letzten Teil seiner Arbeit entwirft Freund ein lebendiges Bild des „bayerischen Reichsbischofs“ Baturich. Er erörtert den Zeitpunkt der Geburt und ordnet Baturich in einen Familienverband ein, der mit Erchanfrid, Kapellan Ludwigs des Deutschen, verwandt gewesen sei und ein Besitzzentrum südwestlich von Regensburg mit einem Schwerpunkt um Riekofen gehabt, aber auch verwandtschaftliche Beziehungen nach Alemannien in den Donaugau sowie in den Passauer und in den Mondseer Raum unterhalten habe. Die Rekonstruktion dieser weitverzweigten, einflußreichen „alemannisch-bayerischen Adelsgruppe“ (S. 257), beruht letztlich allerdings vielfach auf dem schwachen Indiz der Namensgleichheit; hier hätte man sich eine kritischere Auseinandersetzung mit den Thesen Gertrud Diepolders gewünscht. Berechtigt dagegen ist Freunds Kritik an der älteren Forschungsmeinung, Baturich sei in Fulda erzogen worden oder habe dort gar als Mönch gelebt; allerdings muß aufgrund der Quellenlage auch die Gegenthese, Baturich habe seine Jugend in St. Emmeram verbracht, letztlich ohne stichhaltigen Beleg bleiben. Manche Indizien kann Freund für die Auffassung ins Feld führen, Baturich sei gemeinsam mit Hrabanus Maurus bei Alkuin in Tours weiter ausgebildet worden. Sicheren Grund erreicht man erst wieder im Jahr 814, in dem Baturich als Archipresbyter der Regensburger Kirche nachweisbar ist; zwei Jahre später wurde er als Nachfolger Adalwins dort zum Bischof erhoben. Sein Aufgabenfeld umreißt Freund in fünf Abschnitten, die die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen, die Anlage und Nutzung von Traditionsbüchern zur Verwaltung des Bistums, die Armenfürsorge und Bautätigkeit, den Ausbau der Bibliothek und schließlich Predigt, Seelsorge und Mission nachzeichnen. Dabei leitet Freund immer wieder einzelne Maßnahmen Baturichs aus Bestimmungen ab, die Karl der Große und Ludwig der Fromme in ihren Kapitularien formuliert haben. Auf diese Weise liefert er ein Argument dafür, daß die Effizienz dieser Normtexte und ihre Umsetzung in die Praxis nicht zu gering veranschlagt werden dürfen; zugleich weist er die Leistungsfähigkeit der Skriptorien und die hohe Bedeutung der Schriftlichkeit in der Diözesanverwaltung nach. Schließlich aber weitet Freund noch einmal den Blick über Regensburg hinaus und beschreibt das Verhältnis des bayerischen Episkopats zu Ludwig dem Frommen und zu Ludwig dem Deutschen.

 

Die große Stärke dieser flüssig geschriebenen Studie liegt zweifellos in ihrer Konzentration auf Bayern und schließlich sogar auf die Person Baturichs von Regensburg. Diese Zuspitzung erlaubt es Freund, sich detailliert und überzeugend mit älteren Forschungsthesen der bayerischen Landesgeschichte auseinanderzusetzen und zugleich ein anschauliches Bild eines bayerischen Bischofs der mittleren Karolingerzeit zu entwerfen. Sehr knapp bleibt allerdings die Einordnung der am Beispiel Bayerns gewonnenen Befunde im Schlußteil. Zumal den Vergleich mit den Forschungsergebnissen zur vieldiskutierten Reichskirche der Ottonen- und Salierzeit hätte man sich ausführlicher gewünscht.

 

Hamburg                                                                                                        Steffen Patzold