Fasel, Urs, Sachenrechtliche Materialien. Von den ersten Entwürfen bis zum Gesetz 1912. Helbing und Lichtenhahn, Basel 2005. XXXII, 1769 S.

 

Der zweite Teil der bereits früher vorgestellten Edition der Quellen zur schweizerischen Zivilrechtskodifikation (ZRG Gem. Abt. 121 [2004], S. 857ff.) enthält die Materialien zum Sachenrecht des Schweizer Zivilgesetzbuchs (Art. 641-977). Die Einleitung des Herausgebers Fasel (S. 1-14) geht zunächst auf die erst 1898 geschaffene Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung auch in den übrigen Gebieten des Zivilrechts näher ein. Ungefähr gleichzeitig wurde die Vereinheitlichung des Zivilrechts vor der des Strafrechts beschlossen. Nach einer kurzen Beschreibung des Lebens Eugen Hubers, des maßgebenden Redaktors des ZGB (S. 7ff.), geht Fasel auf die einzelnen Stadien der Entstehung des ZGB näher ein; die Darstellung wird später bei einzelnen Quellenkomplexen noch verbreitert (vgl. S. 463ff., 1174ff., 1183ff.). Die Edition beginnt mit dem „Memorial“ Hubers von 1893 („Über die Art und Weise des Vorgehens bei der Ausarbeitung des Entwurfes eines einheitlichen schweizerischen Civilgesetzbuches“) und den frühen Teilentwürfen von 1896 bis 1898, von denen zwei bisher nur in einem handschriftlichen Manuskript und ein weiterer Entwurf nur im Manuskriptdruck (Teilentwurf zum Grundpfandrecht mit Begründung; S. 56ff.) vorlagen. Es folgen der vollständige Sachenrechtsentwurf von 1898, der für die Beratungen der sog. kleinen, in Merlingen tagenden Kommission zusammengestellt wurde, die Neufassungen der Entwürfe für die Schlussberatungen der kleinen Kommission (S. 292ff., 357 ff.) und der seinerzeit auch im Buchhandel erschienene Entwurf (sog. Vorentwurf) von 1900 (S. 409ff., Begründung Hubers in der 2. Auflage, S. 811ff.). Dieser Entwurf wurde 1902/03 von der sog. Großen Expertenkommission ausführlich beraten. Die S. 463-809 abgedruckten Protokolle geben vor allem die in die einzelnen Abschnitte des Sachenrechts einleitenden ausführlichen Referate Hubers wieder. Das Beratungsergebnis ergibt sich aus dem „Vorentwurf“ von 1903 (S. 1089ff.), der in durchlaufender Artikelzählung unter dem 28. 4. 1904 als Parlamentsvorlage im Schweizerischen Bundesblatt 1904 (Bd. 4, S. 100ff.) veröffentlicht wurde. Die Edition bringt diese um vier Artikelziffern gegenüber dem Entwurf von 1903 erweiterte Fassung nicht (wohl aber die dazugehörige „Botschaft des Bundesrates“, soweit sie sich auf das Sachenrecht bezieht), da die S. 1187ff. abgedruckten Protokolle über die Verhandlungen des National- und Ständerats die Artikel in der ursprünglichen Fassung (zusammen mit den Anträgen der jeweiligen Kommission) in deutscher und französischer Fassung mitteilen. Die Edition wird abgeschlossen mit der originalen Fassung des Sachenrechts des ZGB von 1907 (S. 1723ff.). Die Entwürfe sind durch eine Konkordanztabelle (S. XXXff.) erschlossen, die leider die Artikelzählung des Entwurfs von 1904 nicht berücksichtigt. Ein zusätzliches Sachregister wäre nützlich gewesen.

 

Die Protokolle erschließen vor allem die rechtspolitischen Grundlagen des Sachenrechts, weniger die rechtsdogmatische Feinstruktur, die in den Beratungen der Parlamentskommissionen eine größere Rolle gespielt haben dürfte. Einen breiten Raum nehmen die Ausgestaltung des Grundpfandrechts und Fragen der ländlichen Eigentumsordnung ein. Das Kausalitätsprinzip wurde nur für das Immobiliarrecht in Art. 974 Abs. 2 ZGB geregelt. Dass der gutgläubige Fahrniserwerber das Eigentum erwarb, wurde ausdrücklich erst im Entwurf von 1903 festgelegt (Art. 701 Abs. 2; vgl. noch Art. 976 des Entwurfs von 1900). Welche entstehungsgeschichtlichen Möglichkeiten die Quellensammlung bietet, sei am Beispiel der Regelungen des auch in der Schweiz bereits um 1900 stark verbreiteten Sicherungseigentums und des Eigentumsvorbehalts erläutert, den das Bundesgericht für zulässig erklärt hatte, gleichwohl er auch in den Kommissionen zu den umstrittensten Materien des Sachenrechts gehörte. Die frühen Entwürfe enthielten noch kein Verbot des Eigentumsvorbehalts (vgl. Art. 706 des Vorentwurfs von 1900, S. 417). Zum Sicherungseigentum brachte der Entwurf von 1900 folgende Regelung: „Bleibt die Sache infolge eines besonderen Rechtsverhältnisses beim Veräußerer, so ist der Eigentumsübergang Dritten gegenüber unwirksam, wenn deren Benachteiligung oder eine Umgehung der Bestimmung über das Faustpfand beabsichtigt worden ist. – Der Richter entscheidet hierüber nach seinem Ermessen“ (Art. 707 Abs. 1, 3; § 617 ZGB). Als teilweiser Ersatz war seit dem Entwurf Medingen die bis 1883 in einigen Kantonen zulässig gewesene „Fahrnisverschreibung“ (franz.: hypothèque mobilière) vorgesehen, und zwar für Vieh, bewegliche Betriebseinrichtungen, Vorräte und Warenlager, wenn diese Sachen einem Eigentümer zur Ausübung seines Berufes oder Gewerbes dienten (Art. 884 des Entwurfs von 1900; Begründung S. 1021ff.). In der Expertenkommission von 1902/03 war der Vorschlag in § 706 Abs. 2 unbestritten (später § 703 der Parlamentsvorlage), während über die Zulässigkeit des Eigentumsvorbehalts und der Fahrnisverschreibung kontrovers verhandelt wurde (S. 534ff., 597ff.). Die Parlamentsvorlage von 1904 sah in Art. 702 vor, dass der „Empfänger der übertragenen Sache“ Eigentümer wird, „auch wenn der Veräußerer sich das Eigentum bis zur Entrichtung einer Gegenleistung vorbehalten hat“. Als Ersatz für dieses weitgehende Verbot des Eigentumsvorbehalts sollte die Fahrnisverschreibung teilweise Abhilfe schaffen (Art. 890). Für Vieh, Vorräte und Warenlager sollte die Verschreibung nur errichtet werden können zur Sicherheit für Forderungen von Geldinstituten und Genossenschaften, die von der zuständigen Behörde ermächtigt worden waren, solche Geschäfte abzuschließen (Art. 890 Abs. 2). Die Verschreibung erfolgte durch Eintragung in das öffentliche Pfandprotokoll des Kreises, in dem der Pfandbesteller seinen Wohnsitz hatte. Im Parlament wurde die Zulässigkeit der Mobiliarhypothek sowie des Eigentumsvorbehalts erneut ausführlich beraten (S. 1247ff., 1392ff., 1513ff., 1661ff.). Der Nationalrat schränkte die Fahrnisverschreibung noch mehr ein und zwar auf hausrätliche Gegenstände und Betriebseinrichtungen; für Viehverschreibungen kam noch eine weitere Einschränkung hinzu. Demgegenüber lehnte der Ständerat die Fahrnisverschreibung, da sie leichtsinniger Kreditgewährung Vorschub leisten würde, ab und ließ statt dessen den besonders in kapitalschwachen Kreisen verbreiteten und unumgänglichen Eigentumsvorbehalt zu mit der Maßgabe, dass dieser in ein vom Beitreibungsbeamten zu führendes Register eingetragen werden sollte. Beim Viehhandel sollte der Eigentumsvorbehalt ausgeschlossen und statt dessen die Fahrnisverschreibung zulässig sein. Im übrigen schlug der Ständerat in Art. 716 ein Verbot von allgemeinen Verfallklauseln bei Abzahlungsgeschäften vor. Auf Antrag des Referenten Huber stimmte der Nationalrat den vom Ständerat beschlossenen Änderungen zu, die im wesentlichen bis heute gelten.

 

Dieses Beispiel mag die Bedeutung des sachenrechtlichen Quellenbandes verdeutlichen für die schweizerische, aber auch für die (vergleichende) europäische Rechtsgeschichte. Wegen der zeitlichen Nähe des ZGB und des BGB ist die Edition besonders für den Rechtshistoriker von Interesse, der sich mit der deutschen Kodifikationsgeschichte befasst. Auf die Weiterführung der Edition darf man schon jetzt gespannt sein.

 

Kiel

Werner Schubert