Eisfeld, Jens, Die Scheinehe in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 45). Mohr (Siebeck), Tübingen 2005. XIII, 294 S.

 

Diese in Bayreuth bei Diethelm Klippel verfasste Dissertation kann wohl primär als flammender Appell gegen den 1998 normierten Tatbestand des § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB gelesen werden. Jens Eisfeld selbst „wendet sich prinzipiell gegen eine ‚eherechtliche Lösung’ des Scheineheproblems und gegen den Versuch einer Rechtsfortbildung, die ein Ehehindernis der Scheinehe grundsätzlich akzeptiert“ (S. 7). Dabei gelingt es ihm tatsächlich, die nur scheinbar einfache Geschichte des Tatbestandes „Scheinehe“ der letzten 150 Jahre zu einer spannenden, mit vielen rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Facetten versehenen Arbeit zusammenzuführen. Die Darstellung folgt der Gesetzgebungsgeschichte - wobei wohl eher von einer Geschichte der Lücken und Einzelregelungen gesprochen werden muss, die zwischen gesetzgeberischem Desinteresse an einer Lösung der Fallkonstellationen und Phasen der staatlichen Instrumentalisierung des Tatbestands der Scheinehe schwankt. In der Einleitung, die Fragestellung, Methoden und Forschungsstand kurz darstellen soll, nimmt der Autor bedauerlicherweise bereits viele seiner Überlegungen vorweg, was ihm den Argwohn einbringt, seine Thesen von Beginn an mangels Folgerichtigkeit durch besondere Vehemenz forcieren zu müssen.

 

Das erste Kapitel dient der grundsätzlichen Klärung der Frage des Begriffs der Scheinehe, die richtigerweise als „instrumentalisierte Eheschließung“ zu betrachten, jedoch von der Simulationsehe des 19. Jahrhunderts zu trennen ist. Die Simulationsehe bildete einen Unterfall des Scheingeschäfts, wobei sich die dogmatische Einordnung äußerst schwierig gestaltete. Mit Hilfe einer Simulationsehe wollten die Parteien bloß die Fassade einer Ehe, jedoch keinerlei rechtliche Wirksamkeit herbeiführen. Angeführt wird hier ein Beispiel, wonach eine Eheschließung im Einverständnis beider Ehepartner nur deshalb erfolgte, um den kompromittierten Ruf der Frau zu sanieren. Kurz nach der Trauung begab sich die Betreffende ins Kloster. Die Scheinehe, wie sie auch heute noch verstanden wird, zielt aber gerade auf die Erreichung (wenn auch nur) bestimmter Rechtswirkungen als Folge der Eheschließung. Das eheliche Zusammenleben wird meist ausgeschlossen sowie eine baldige Trennung oder Scheidung vereinbart. Als angestrebte rechtliche Vorteile kommen entweder der Erwerb eines Namens, einer Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsberechtigung oder sonstige steuerliche oder soziale Begünstigungen in Frage. Für das 19. Jahrhundert sind vor allem Fälle der Erreichung eines Namens oder eines Adelstitels zu nennen, wobei auf Grund des patriarchalen Eherechts nur eine Übertragung auf Frauen möglich war.

 

Mit Hilfe römisch- und kirchenrechtliche Quellen wurden vor Inkrafttreten des BGB Simulations- und Scheinehen mit Nichtigkeitsfolgen belegt, was durch das Reichspersonenstandsgesetz 1875 implizit bestätigt und fortgeführt wurde. Über die Konstruktion eines Willensmangel gem. § 28 RPStG gelang die Rückverweisung ins Landesrecht und die Beibehaltung bisheriger Usancen. Erst mit der Lehre Josef Kohlers und der Durchsetzung des formalen Konsensprinzips im Eheschließungsrecht erreichte die Judikatur – insbesondere auch zum Schutze Dritter – die Wirksamkeit solcher Scheinehen. Durch die klare Trennung von Willens- und Erklärungstheorie blieben die Abreden der Ehepartner unbeachtlich; es galt die vor dem Standesbeamten erfolgte vorbehaltlose Erklärung des Eheschließungswillens. In den Kapiteln 2 und 3 stellt Eisfeld die in der Gesetzgebungskommission des BGB nur kurz und ohne Ergebnis verlaufene Diskussion eines Ehehindernisgrundes der Simulationsehe sowie die geringe faktische und rechtliche Bedeutung der Scheinehe zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar. Demnach waren trotz der großen Zahl osteuropäischer Fremdarbeiter kaum Fälle von Aufenthalts- oder Staatsangehörigkeitsehen in der behördlichen und gerichtlichen Evidenz zu verzeichnen. Im komplexer werdenden Bereich der sozialrechtlichen Angehörigenversorgung wurde einem Missbrauch mittels Eheschließung von Beginn an durch Sondervorschriften entgegengewirkt. Sowohl das Beamtenrecht als auch Sozialversicherungsrecht schloss eine Witwenversorgung bei erst nach Rentenantritt erfolgter Eheschließung oder extrem kurzer Ehedauer aus und schuf durch Einzelfallprüfung die Möglichkeit eines nachträglichen Anspruchsentzugs.

 

In den Anfangskapiteln gelingt es dem Autor überzeugend die Komplexität der Materie zu vermitteln und darzustellen, wie durch das Zusammenwirken von faktischer Bedeutungslosigkeit und juristischer Meinungsvielfalt der Grundstein einer unsystematischen, inkonsequenten Behandlung der „Tatbestände Scheinehe“ gelegt wurde. Erst die Einführung der Weimarer Reichsverfassung und die Beseitigung der Adelsprivilegien brachte eine neue Dimension in den Themenkomplex der Scheinehen. Durch die Umwandlung der Adelstitel zum Namensbestandteil und das Ende standesrechtlicher Vorrechte und Selbstbeschränkungen kam es zur (zumindest behaupteten) Zunahme der Namensehen und Namensadoptionen ab 1919. Diese waren geeignet, adelige Namen zum „Gegenstande eines schmutzigen, sittenwidrigen Geldgeschäftes“ (S. 108) zu machen und in Misskredit und Unehre zu bringen. Im vierten Kapitel schildert der Autor, wie die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) ab 1933 versuchte im Zusammenspiel mit nationalsozialistischen Eliten- und Rasseüberlegungen einen akuten Gesetzgebungsbedarf zur Verhinderung von Scheinehen zu konstruieren. Man argumentierte mit „fremdrassiger Unterwanderung“ des historischen deutschen Adels und war auf diesem Weg bestrebt, die „Verjudung des deutschen Adels“ rückgängig zu machen. Wenn auch offensichtlich aus anderer Interessenlage und Begründung (S. 114), aber doch als Zugeständnis an die DAG zu werten, kam es bereits im November 1933 zur Einführung des § 1325a BGB, der die Nichtigkeit einer Namensehe vorsah. Die ausschließliche Klagsbefugnis lag bei der Staatsanwaltschaft; die von der DAG formulierte Forderung nach Einbindung in behördliche Vorermittlungen blieb unerfüllt. Die nationalsozialistische Führung hatte damit aber einen ersten Schritt in Richtung völkischer Instrumentalisierung des Eherechts getan. Der in § 23 EheG 1938 normierte Ehenichtigkeitsgrund der Namens- und Staatsangehörigkeitsehe hatte schließlich nur noch klarstellende Funktion – der gesamte Bereich des Eherechts war durch die Nürnberger Rassegesetze ohnehin bereits relativiert worden. Der (unter anderem) in Kapitel 5 dargestellte Streit zwischen Reichsminister Gürtner und dem 4. Zivilsenat des Reichsgerichts (S. 137) kann als seltenes Beispiel einer nicht sofort auf Linie gebrachten Gerichtsbarkeit und bezeichnend für die nationalsozialistische Motivationslage zum Thema gesehen werden. Die sonstigen Ausführungen zum Eheverständnis der damaligen Zeit liefern keine Neuigkeiten.

 

Die zweite Hälfte der Arbeit (Kapitel 6-8) widmet sich der Entwicklung nach 1945; so der scheinbaren Entnazifizierung des Tatbestandes durch abermalige Reduzierung auf die Namensehe bis hin zur gänzlichen Abschaffung des (nunmehrigen) § 19 EheG im Jahr 1976. Damit war aber das Problem der Scheinehen nicht beseitigt. Die gesellschaftlichen Umwälzungen, die steigende Zahl von ausländischen Arbeitskräften und die von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht entwickelte Spruchpraxis zu Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie), die ein subjektives Aufenthaltsrecht des ausländischen Eheteils bei Heirat mit einem Inländer oder einer Inländerin bestätigte, führte zu einem Aufleben der zivilrechtlichen Entscheidungen gegen echte und vermeintliche instrumentalisierte Eheschließungen. Eisfeld widmet sich dieser Judikatur (S. 187ff.), die sowohl den Grund eines allgemeinen Rechtsmissbrauchs als auch eine analoge Anwendung von § 13 Abs. 2 EheG (Bedingungsfreiheit des Eheversprechens) zuließ, um die auf Verdacht erfolgte Verweigerung einer Eheschließung durch den Standesbeamten oder die Standesbeamtin zu bestätigen. Der Autor kritisiert im Besonderen die Übernahme dieser Argumentationen in Lehre und Literatur und spricht von einer „einwanderungspolitisch motivierten Abwehrbereitschaft…, die sich …in der Schaffung eines ungeschriebenen Ehehindernisses entlud“ (S. 211). Die im Jahr 1998 erfolgte Einführung eines „neuen“ Eheaufhebungsgrundes (§ 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB) und die damit einhergehende Verweigerung der Trauung beim Verdacht des Vorliegens des Eheverbots habe an der faktischen und rechtlichen Problematik nichts geändert. Dieser neutral auf die Absicht des Nichteingehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft abstellende Tatbestand hält nach Ansicht des Autors einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht Stand und stellt für ihn sowohl einen Verstoß gegen Art. 6 GG als auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Ebenso kritisiert er die Relativierung des formalen Konsensprinzips, da sie die „Gefahr einer Entprivatisierung des innerehelichen Bereichs“ zugunsten einer von Staat und Gerichten aufgezwungenen Ehezwecksetzung birgt (S. 215). Die unerwünschte Vorteilsgewinnung durch Scheinehen kann durch sonstige Regelungen besser ausgeschlossen werden – zumal sich die Judikatur weiterhin ausschließlich auf das Segment der Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsehen bezieht. Den Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsrechts und einer ausländerbehördlichen Prüfung kommen mehr Relevanz und Effizienz zu als der auf Indizien und Prognosen beschränkten Beurteilung vor der Eheschließung am Standesamt.

 

Linz                                                                                                               Karin Neuwirth