Dendorfer, Jürgen, Adelige Gruppenbildung und Königsherrschaft. Die Grafen von Sulzbach und ihr Beziehungsgeflecht im 12. Jahrhundert (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 23). Kommission für bayerische Landesgeschichte, München 2005. LVIII, 463 S.

 

Grundlagen für das „exzeptionelle Hervortreten eines einzelnen Grafengeschlechts am spätsalisch-frühstaufischen Königshof“ (S. 2) nicht durch herausragende Einzelpersönlichkeiten, sondern als Ergebnis adeliger Gruppenbildung (S 3) zeigt das bislang einzige (so der Verfasser, S. 3) Fallbeispiel der Grafen von Sulzbach auf, und zwar unter der Fragestellung: „Ob und wie sich überlagernde verwandtschaftliche, freundschaftliche und herrschaftliche Bindung [...] zu einer über das agnatische Geschlecht hinausgreifende Gruppenbildung des Adels verdichten konnten“, dies unter Weiterführung und Akzentuierung eines auf Hans Patze zurückgehenden Forschungsansatzes (S. 8, erinnert an ein Hauptseminar „Friedrich Barbarossa und die deutschen Fürsten“, Ende der 1970er Jahre).

 

Den zeitlichen Rahmen setzt das um 1100 greifbare Beziehungsgeflecht der seit 1007 nachzuweisenden und zuerst 1104 nach der –älteren – Burg Sulzbach benannten Grafen und ihr Aussterben im Mannesstamm 1188. Territorial und herrschaftlich verankert waren die Grafen von Sulzbach im bayrischen Nordgau (heute Oberpfalz) zwischen den Linien Altmühl-Donau und Main-Eger und in Oberbayern zwischen Inn und Salzach, wie es die Karten S. 183, 226 und 230 zeigen. (Die geringere Durchdringung des niederbayrischen Bereich seitens der Sulzbacher [S. 181f.] ist nicht kartiert.) Die Grafen von Sulzbach erscheinen zuerst im Umfeld des Bischofs von Bamberg, später besonders Berengar I. am Hof Heinrichs V. und Gebhard II. am Hof Konrads III.; Sulzbacherinnen heirateten, was bei Eheschließung bzw. Eheverabredung nicht absehbar war, 1135/36 mit Konrad III. und 1140/43/46 mit Manuel I. von Byzanz, spätere Herrscher. Herrschaft und Beziehungsgeflecht, das sie auch an den Königshof führte, bauten sie auf und aus durch Heiraten und Erwerbungen, aber auch Besitzweitergabe und Veräußerungen, gemeinsames Vorgehen beim Landesausbau und bei Konflikten; darüber hinaus weist die Memorialüberlieferung Freunde und Verwandte aus und Vasallen und Ministeriale verschiedener Herren zeigen die personale Vernetzung auf (S. 3). Auf Vorspann mit Vorwort, Abkürzungen, Quellen- und Literaturverzeichnis (S. V-LVIII) folgt nach Einleitung (S. 1-15) mit Darlegung von methodischen Zugängen, Forschungsstand (wie häufig in vergleichbaren Fällen alt [1833] und punktuell/speziell [1926, ..., 1999] und dies nicht nur im bayrischen Raum) und Quellengrundlage folgt die in vier Abschnitte gegliederte Untersuchung. Im Abschnitt A. „Personale Bezüge“ (S. 16-147) wird zunächst aus agnatischer Sicht die genealogische Abfolge der Grafen dargestellt, dann aus kognatischer Sicht die Eheverbindungen, und zwar chronologisch die der drei Grafen Gebhard I., Berengar I. und Gebhard II., dann die der Schwestern und schließlich der Töchter Gebhards II., und ihre Erträge und Vorteile für die Sulzbacher Grafen; daran schließen Betrachtungen an zum daraus resultierenden und sich in der Memoria von Klöstern und Stiften (hier: Kastl, Berchtesgaden, Baumburg, Michelfeld) niederschlagenden Verwandten- und Freundeskreis. Der umfangreichste und in seinen Ergebnissen tiefgreifendste Abschnitt B „Territoriale Bezüge“ (S. 148-314) erschließt die Sulzbacher Herrschaft im oben umrissenen Raum besitzgeschichtlich über Ministeriale und edelfreie Vasallen, vor Augen geführt auf acht thematische Karten (S. 183, 226, 230, 264, 268, 273, 278, 283, 285/tw. Diskrepanzen zwischen Kartentitel/-überschrift und Legende/Inhalt). Die Abschnitte C „Zwischen Königsnähe und -ferne – Die Sulzbacher und ihre cognati et amici am Hof der Könige“ (S. 315-385) und D „Adelige Gruppenbildung – Die Grafen von Sulzbach im 12. Jahrhundert“ (S. 386-420) betrachten denselben Sachverhalt aus zwei verschiedenen Blickwinkeln: laut Verfasser (S. 4) einmal die nordgauischen Adeligen an den Königshöfen und zum anderen das Verhältnis dieser Adelgruppe zur Königsherrschaft. Eine knappe Schlussbemerkung, Stammtafel und Register (Personen [ohne Eirene mit Querverweis auf Bertha], Geschlechter, Orte, Ämter und Räume, Flüsse) schließen die Studie ab.

 

Bei den ohne Frage beachtlichen Ergebnissen der Teile A und B tritt in den Hintergrund, dass bei allen Bemühungen um Herrschaftsverdichtung biologische Zufälle nicht oder kaum vorhersehbare Weichen stellen bzw. Determinanten bilden. Bei den über fünf Generationen zu verfolgenden Grafen von Sulzbach ist in jeder Generation nur ein männlicher Nachkomme bekannt. In den ersten drei Generationen darüber hinaus keine Tochter, wohingegen es in den beiden nächsten Generationen neben dem Sohn fünf bzw. vier Töchter gab. Von daher ist die „verstärkte Sicht auf kognatische Bezüge“ (S. 6) in sich bedingt. Auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwartende Todesfälle sind weichenstellende biologische Zufälle. Mehr als zwei Jahrzehnte vor dem Vater starb – 1167 vor Rom wie so viele im Heer Barbarossas – der einzige Sohn. (Die Ehe der Eltern währte zu diesem Zeitpunkt mehr als 30 Jahre, so dass kaum Hoffnung auf weitere männliche Nachkommenschaft bestand. Nur eine baldige neue Ehe hätte die Weichen neu stellen können; doch Mathilde starb „erst“ nach 1178.) In der Adelsgruppe selbst wurde die Loyalität nicht vom Vater auf den Sohn übertragen: Als Berengar I., beteiligt auch an der Wahl Lothars III. und noch in dessen Umgebung, Ende 1125 wohl überraschend starb, bezogen seine immerhin doch in der Nähe des neuen Königs nachgewiesenen Verwandten und Freunde, Markgraf Diepold und Graf Engelbert, seinen Sohn nicht darin mit ein. Dieser fasste erst wieder Fuß unter dem nächsten König aufgrund verwandtschaftlicher Bande, die einen direkten Zugang ermöglichten und die dem König mit weiteren Schwestern „Verhandlungspotential“ bei dessen Herrschaftsinteressen boten.

 

Wurden hinsichtlich der Gruppenbildung des Adels neue Forschungswege verfolgt und erschlossen, so erscheint die Schlussbemerkung über Aufstieg und Fall der Grafen von Sulzbach (kaum erahnbare Anfänge – königlich und kaiserlicher Ruhm der Töchter – klägliches Ende, S. 421) als ein – entgegen den dargelegten Ergebnissen – Rückfall in antiquierte Denkmuster. Die Vertreter der Grafen von Sulzbach haben die sich bietenden Gelegenheiten zu nutzen gewusst: Herrschaftsausbau durch Heirat, besonders Berengars I. erste Ehe mit Adelheid von Frontenhausen, darauf aufbauend die Vertrauensstellung Berengars I. bei Heinrich V., die Nutzbarmachung der aus vorköniglicher Zeit bestehenden Schwägerschaft zu Konrad III., die sich auch in ranghöherer Verheiratung von Schwestern niederschlug. Dass sich mit einem neuen König auch die die Königsherrschaft mittragende Adelsgruppe gravierend änderte, erlebte sowohl das Geschlecht der Sulzbacher beim Übergang des Königtums von Heinrich V. auf Lothar III., als die durch Berengar I. noch von jenen auf diesen im Übertragen begriffene Kontinuität mit seinem Tod abriss, als auch ihr letzter Vertreter Gebhard II, der die am Hof Konrads III. für sein Geschlecht wieder errungene Stellung bereits bei diesem nicht wahren und bei dessen Nachfolger an diese nicht wieder herankommen konnte. Es ist zu unterstellen, dass Gebhard II. nach dem Tod des Sohnes die Dinge realistisch sah; Königsnähe zu suchen lohnte nicht mehr: Nach seinem Ableben würden die Lehen heimfallen und der übrige Besitz der Sulzbacher über die verheirateten Sulzbacherinnen im Besitz der Familien ihrer Gatten aufgehen oder verkauft werden. Am Aufstieg der Sulzbacher hatten alle Angehörigen des Geschlechts nach den ihnen sich bietenden Möglichkeiten teil; ihr „Fall“ erfolgte nicht aufgrund ungenutzter oder falsch genutzter Möglichkeiten, sondern hier stellten, wie so oft, sich verändernde Herrschaftskonstellationen und der biologische Zufall die Weichen; dies wirkte sich wiederum aus auf adelige Gruppenbildung – sie ist dynamisch und nicht statisch zu betrachten, wie es das Fallbeispiel der Grafen von Sulzbach aufzeigt..

 

Bovenden                                                                                                      Gudrun Pischke