Deflers, Isabelle, Lex und ordo. Eine rechtshistorische Untersuchung der Rechtsauffassung Melanchthons (= Schriften zur Rechtsgeschichte 121). Duncker & Humblot, Berlin 2005. IV, 318 S.

 

Philipp Melanchthon, Reformator, Humanist (geb. 18. 2. 1497, gest.19. 4. 1560) war zunächst Professor für griechische Sprache an der Universität Wittenberg, später las er über klassische Autoren und auch über kirchliche Geschichte. Beeindruckt von den Lehren Martin Luthers wurde er zum Theologen und als solcher zum Reformator. In all diesen Eigenschaften wurde er als Pädagoge Deutschlands qualifiziert (Zu seiner Biographie vgl. Robert Stupperich in NDB 16/1990 S. 741-745 und H. Fild in HRG 4.18/1979 Sp. 464-470). Es liegt nun nicht auf der Hand, eine solche Persönlichkeit zum Gegenstand einer juristischen Dissertation zu wählen. Allerdings waren Humanisten des 15. und 16.Jahrhunderts in der Regel Universalgelehrte, deren Schriften auch für die Rechtswissenschaft von Bedeutung waren. Bei Melanchthon kommt noch hierzu, dass er namentlich zum Gesetz und zum „Staat“ Maßgebendes veröffentlicht hat. So nimmt er in der Entwicklung des Naturrechts eine Schlüsselstellung ein als Bindeglied zwischen den Naturrechtsanschauungen des Mittelalters und dem Natur- und Vernunftrecht des 17. Jahrhunderts (Fild Sp. 465). All dies wird in der zu besprechenden Arbeit thematisiert.

 

Nach einer kurzen Zusammenfassung des historischen Kontextes und einer Bestandsaufnahme der Melanchthon-Forschung in der Einleitung behandelt die Autorin den Stoff in zwei Abschnitten 1. „Das Gesetz bei Melanchthon“ und 2. „Definition des ordo politicus bei Melanchthon.

 

Der Gesetzesbegriff bei Melanchthon wurde stark beeinflusst durch das von ihm erlebte „Trauma“ des Bauernkrieges, das in dazu brachte entgegen früheren Stellungnahmen zugunsten eines generellen Widerstandsrechtes, dieses nur noch den Obrigkeiten zuzubilligen, was unter anderem zur Folge hatte, dass nur der Obrigkeit das Recht zugestanden wurde, die Konfession in ihren Territorien zu bestimmen, was zur Anwendung des Grundsatzes „cujus regio ejus religio“ führen musste. Eine andere Folge des Chaos des Bauernkrieges war die Betonung des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit. Daher wendet er sich nach einem Recht, das als besonders stabil und sicher galt (S.204), das römische Recht: „Das Überleben der römisch-rechtlichen Sätze verdanken wir M. zufolge, ihrer Weisheit, ihrer Wichtigkeit und vor allem der göttlichen Zustimmung“ (S. 75). Damit stellte sich für Melanchthon die Frage nach dem Verhältnis zum mosaischen Recht. Den Schlüssel hierfür findet er in der Lex Placuit (C 3. 1. 8), die auf die Billigkeit verweist: „Auch, wenn das Rechtssystem auf den überlegenen Moralgesetzen basiert, kann es dennoch zu Kollisionen kommen, da die Übereinstimmung der weltlichen Gesetze mit dem Naturrecht dann gefährdet ist, wenn das Gesetz Mängel aufweist, die erst durch den gebotenen Rückgriff auf das Moralgesetz wieder behoben werden können“ (S. 165). Das Naturrecht - und damit gemeint ist das biblische Recht.-. dient als Richtschnur bei der Auslegung des weltlichen Rechts – gemeint ist hier das römische Recht. Im Übrigen betrachtet Melanchthon das römische Recht als mit dem Naturrecht konform.

 

Die Apologie des römischen Rechts, ausgesprochen durch einen der einflussreichsten Reformatoren, könnte Ursprung einer verstärkten Rezeption des römischen Rechts in Deutschland gewesen sein, was aber noch näher zu untersuchen wäre.

 

Melanchthon folgt somit nicht dem Ausspruch Luthers „Juristen, böse Christen“. Was er aber dagegen bemängelt, ist die ungenügende Ausbildung der Juristen seiner Zeit, womit er für eine bessere juristische Ausbildung an den Universitäten eintritt.

 

Als „Reformator“ erweist er sich unter anderem dadurch, dass er dem Papst die Legitimation abspricht, weltliche Machtträger einzusetzen: „Da der Staat seine Legitimation nicht mehr vom Klerus, sondern unmittelbar von Gott bekam, verselbständigte sich der ordo politicus als eigener Stand und befreite sich dadurch von der Vormundschaft der kirchlichen Institution. Gleichzeitig bedeutete die deutliche Trennung zwischen Kirche und Staat in der frühen Neuzeit auch die Trennung der Kirche von dem politischen Bereich und somit ihre Rückkehr zu einer rein christlichen Botschaft“ (S. 183). Damit sind aber zwei Forderungen verknüpft, festgeschriebene Gesetze, die durch ihre Unveränderlichkeit die Stabilität der Rechtsprechung sichern (S. 204). und ein geordnetes Zusammenleben. Das Ziel aller Bürger muss der öffentliche Nutzen sein, oder genauer die Ruhe und Unverletzlichkeit des öffentlichen Status. Zur Sicherstellung dieser Forderung stand im 16. Jahrhundert nicht mehr die Lehensordnung zur Verfügung. Statt dessen trat eine Beamtenschaft auf, die zur Sicherung von Wohlfahrt und „Ruhe und Ordnung“ (= Polizei) auf zahllose Polizeiordnungen zurückgriff. Dabei gelingt der Autorin der Nachweis, dass viele der lokalen „Polizeiordnungen“ auf Veranlassung der Reichspolizeiordnungen erlassen wurden (S. 213). Für Melanchthon ist ordo sowohl sittliche Zucht als auch gesellschaftliche Ordnung im Zusammenhang mit dem Frieden, womit sich Melanchthon zu einem autoritären „Staat“ bekannte.

 

Besonders klar schildert die Autorin die Auseinandersetzung Luthers und Melanchthons mit den angeblichen Irrlehren der Führer der Bauern und der Schwärmer (S. 83ff.) sowie den engen Zusammenhang zwischen den Reichspolizeiordnungen und den lokalen Ordnungen (S. 213ff.).

 

Man kann nicht behaupten, dass die Rechtsgeschichte sich bisher intensiv mit Melanchthon befasst hätte. Mit der hier besprochenen Arbeit wird sich dies nun ändern müssen.

 

Zürich                                                                                                            Theodor Bühler