Akten der Reichskanzlei - Regierung Hitler 1933-1945, Band 4 1937, bearb. v. Hartmannsgruber, Friedrich. Oldenbourg, München 2005. LXXII, 895 S.

 

Erfreulich schnell schreitet die Bearbeitung der Akten der Reichskanzlei aus der Zeit der Hitler-Diktatur fort. Drei Jahre nach dem Band für 1936 (vgl. ZSRG, Germ. Abt. 122 [2004)] 929 - 931) liegt nun wieder ein Jahresband von bald 1000 Seiten vor. Das zentrale editorische Problem, das seine Ursache in dem mit den Jahren fortschreitenden Machtverfall des Kabinetts hat, verschärft sich von Band zu Band. Eine Fondsedition vorwiegend der Protokolle der Kabinettssitzungen, von denen 1937 nur noch sechs statt fanden, macht keinen Sinn mehr. Andererseits blieben die Mittel und Institutionen traditionellen Regierens ein wesentliches Element des Führerstaats; das beweist nicht zuletzt der vorliegende Band eindrucksvoll. Der Führer und seine Regierung blieben oberstes Entscheidungs- und Beratungsorgan, die Reichskanzlei koordinierte das Regierungshandeln und Gesetze wie Verordnungen, die die Ministerien vorbereiteten, blieben die wichtigsten Instrumentarien der Umsetzung.

 

Aus diesem Dilemma wurde von Bearbeiter und Herausgeber der überzeugende Schluss gezogen, zur Sachedition überzugehen. Es steht also nicht mehr eine bestimmte Aktenform im Vordergrund, sondern es werden gleichwertig alle Akten herangezogen, die die Entstehung, Umsetzung und nicht zuletzt auch die Auseinandersetzung um Gesetze, Verordnungen und Erlasse des Zeitraums spiegeln. Mit gutem Grund werden auch die gescheiterten oder zurückgestellten Initiativen aufgenommen, da die Debatten um diese oft das historisch Interessantere sind und aufschlussreiche Einblicke in das Wesen des nationalsozialistischen Systems gewähren. Dass damit die Gefahr gegeben ist, die Masse des Materials nicht mehr bändigen zu können, zeigt der Umfang der bisherigen Bände. Dennoch muss zugestanden werden, dass das Problem weitgehend (auf den Abdruck einiger Dokumente hätte man leicht verzichten können) gelöst wurde, indem der Bearbeiter von dem ausgeht, was in der Reichskanzlei zusammenlief, um es dann mit anderen Überlieferungen so breit zu erläutern, dass die Vorgänge nachvollziehbar werden. Dabei kommt ihm der historische Glücksfall zugute, dass seit der Wiedervereinigung alle erhaltenen Akten der Regierung Hitler uneingeschränkt zugänglich sind.

 

Die Einleitung fasst den Inhalt der abgedruckten Dokumente unter Sachgesichtspunkten instruktiv, wenn auch manchmal zu detailliert zusammen. Man merkt ihr die enge Vetrautheit ihres Verfassers mit den inneren Verhältnissen des Dritten Reichs seit dessen Bestehen an. Warum diese aber mit dem breiten Referieren des Protokolls von Obersts Hoßbach über die Geheimsitzung in der Reichskanzlei vom 5. November 1937, in der Hitler zum ersten Mal einem vertrauten Kreis seine Kriegspläne eingehender erläuterte, eröffnet wird, erstaunt. Denn dieses Ereignis hat erwartungsgemäß in den vorliegenden Akten keinen Niederschlag gefunden. Überhaupt war das dokumentierte Jahr eines der wenigen ohne spektakulärere Ereignisse.

 

Fast symbolisch wurden zur gleichen Zeit die letzten Restriktionen des Versailler Vertrags aufgekündigt, indem Reichsbahn und Reichsbank internationaler Kontrolle entzogen wurden, und die Vorbereitungen des Reiches auf einen Krieg, den die Behörden noch als Verteidigungsfall planten, betrieben. Einen aufschlussreichen Einblick in den Charakter des Systems gewährt die Auseinandersetzung um die anstehende Verlängerung des „Ermächtigungsgesetzes“. Das Reichsinnenministerium wollte dies zum Anlass nehmen, um die Gesetzgebung neu, als rein exekutiven Akt, zu regeln. Dies unterblieb jedoch mit Rücksicht auf das Ausland, die noch öfters den Ausschlag gab, und es kam lediglich zu einer Verlängerung um weitere vier Jahre.

 

Genau wie die als ineffektiv verschriene Weimarer Republik kam auch das Dritte Reich in der Reichsreform nicht voran; lediglich das „Groß-Hamburg-Gesetz“ kam zustande. Deswegen wurde das im Januar verabschiedete „Deutsche Beamtengesetz“ als wichtiger Schritt auf diesem Weg propagiert. Charakteristisch war hier, dass nicht nur Dienstvergehen geahndet werden konnten, sondern auch Schädigungen der NSDAP und dass innerhalb der Reichsregierung vor allem umstritten war, ob Meldung an die Vorgesetzten oder an Parteistellen zu erfolgen hatte. „Staatsfeinde“ waren grundsätzlich der Gestapo anzuzeigen. Im Zusammenhang mit dem neuen Beamtengesetz wurde das Juristenmonopol in der höheren Beamtenschaft weiter aufgeweicht und Frauen, bis auf Ausnahmen, vom höheren Dienst ausgeschlossen. Die längst nicht mehr zu rechtfertigenden Gehaltskürzungen der Ära Brüning wurden nur wenig aufgeweicht, so dass die Klage von der Proletarisierung der Beamten intern nicht verstummte.

 

Die Doppelgesichtigkeit des Regimes kommt an zwei weiteren Gesetzen zum Ausdruck. Rund 45.000 Angestellte der zerschlagenen Gewerkschaften hatten gegen die „Deutsche Arbeitsfront“, die deren Vermögen übernommen hatte, wegen ihrer Versorgung geklagt. Aufgrund der ergangenen Urteile konnten die Ansprüche der ehemaligen Funktionäre nicht länger ignoriert werden. Sie wurden jetzt an eine eigens eingerichtete Feststellungsbehörde verwiesen, mit der sie sich außergerichtlich einigen mussten. Ebenso enthielt der wegen taktischer Überlegungen Hitlers dann nie umgesetzte Entwurf eines „Deutschen Strafgesetzbuches“ einerseits eine Aufweichung des Rechtsstaatsprinzips und teils schärfere Strafen, doch zugleich auch eine Modernisierung des Sexualstrafrechts.

 

Die Diskriminierung der Juden schritt unspektakulär, doch konsequent fort. Ebenfalls mit Blick auf das Ausland wurde zwar von einer Sondersteuer abgesehen, doch wurden ihnen bestimmte Steuervergünstigungen gestrichen. Vor allem aber wurde Juden in akademischen Berufen deren Ausübung weiter erschwert. Das Ziel war damals noch, durch zunehmenden Druck auf die jüdische Bevölkerung, diese durch Auswanderung los zu werden. Ergänzend wurde aufgrund eines neuen Personenstandsgesetzes ein Familienbuch eingeführt, das die rassische Einordnung der Ehegatten erleichterte. Die kirchentreuen Christen, die andere große Gruppe Missliebiger des Regimes, sahen sich vergleichbaren Nadelstichen ausgesetzt. Vor allem aber mussten die Katholiken die wütenden Attacken über sich ergehen lassen, welche die päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge“ bei den Nationalsozialisten provoziert hatte. Dennoch war es jetzt wie auch später immer wieder Hitler, der seine Paladine bremste. Die Zeit für die vom Reichskirchenminister geforderte Trennung von Kirche und Staat hielt er für noch nicht reif.

 

Die verstärkten Rüstungsanstrengungen im Rahmen des Vierjahresplans haben das Dauerproblem der Devisen- und Rohstoffknappheit verschärft und der Kredithunger der Wirtschaft wie vor allem der öffentlichen Hand bereitete den Nationalsozialisten kein, den Fachleuten dafür um so mehr Kopfzerbrechen. Wirtschaft und Finanzen waren nur noch im Lot zu halten durch rigide Bewirtschaftung und scharfe Lohn- wie Preiskontrollen.

 

Die Dokumente werden meist vollständig wieder gegeben. Die Kürzungen werden nur markiert; zweckmäßig wäre es, Umfang und Gegenstand von dem, was gestrichen wurde, künftig in Stichworten anzudeuten. Die Anmerkungen haben im Laufe des Editionsunternehmens ihren Charakter verändert. Es erfolgen kaum noch Erläuterungen zu Personen oder Sachen, sondern meist wird die Genese des Dokuments geschildert wie Ergänzungs- oder Parallelüberlieferungen abgedruckt. Obwohl recht lapidar, sind die im Anhang zusammengestellten Aufzeichnungen des Chefs der Reichskanzlei über die Hitler vorgetragenen Materien und dessen Entscheidungen darüber wegen der überragenden Stellung des Diktators im Regierungssystem historisch wertvoll. Die soliden und ausführlichen Register zu Sachen, Orten und Personen sind nützliche Arbeitsinstrumente.

 

 

Eichstätt                                                                                                         Karsten Ruppert