Acta Pacis Westphalicae. Die französischen Korrespondenzen, Bände 3, 1, 3, 2. Teile 1645–1646, 1646, unter Benutzung der Vorarbeiten von Goronzy, Kriemhild, bearb. v. Jarnut, Elke/Bohlen, Rita, mit einer Einleitung und einem Anhang v. Bosbach, Franz (= Acta Pacis Westphalicae Serie 2 Abteilung B). Aschendorff, Münster 1999. LXXXII, 676, 677-1246 S. Acta Pacis Westphalicae. Die französischen Korrespondenzen, Band 4 1646, bearb. v. Kelch-Rade, Clivia/Tischer, Anuschka unter Vorarbeiten von Goronzy, Kriemhild und unter Mithilfe von Rohrschneider, Michael (= Acta Pacis Westphalicae, Serie 2, Abteilung B). Aschendorff, Münster 1999. LXXI, 975 S.

 

Mit diesen beiden voluminösen Bänden der Acta Pacis Westphalicae ist die Edition der Akten des Westfälischen Friedenskongresses ein weiteres, wichtiges Stück vorangekommen. Die Bände enthalten die gesamte Korrespondenz der französischen Gesandten vom 25. November 1645 bis zum 23. November 1646, in deren Mittelpunkt die Erörterung der Satisfaktionsforderungen Frankreichs an den Kaiser einschließlich der ersten Formulierung der wichtigen Satisfaktionsartikel vom 13. September 1646 stehen. Weiterer gewichtiger Gegenstand ist die Korrespondenz der Gesandten über die Verhandlungen mit Spanien sowie die Rolle der Generalstaaten der Niederlande.

 

Beide Bände beruhen auf jahrzehntelangen Forschungen in den französischen Archiven und Bibliotheken, die zum Teil bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückreichen und wesentlich von Kriemhild Goronzy geleistet wurden. Die abschließenden Arbeiten an Band 3, der die Korrespondenzen vom 25. November 1645 bis zum 8. Juni 1646 sowie im Anhang den Abdruck der wichtigen französischen Elsaßmemoranden sowie der Karte von Daniel Specklin aus dem Jahre 1576 enthält, wurden von Elke Jarnut und nach deren tragischem Tod von Rita Bohlen vorgenommen. Franz Bosbach steuerte einige Ergänzungen bei und versah den Band mit einer ebenso ausführlichen wie erhellenden Einleitung, in der Verlauf und Ergebnisse der Verhandlungen auf der Grundlage der Korrespondenzen zusammenfassend geschildert werden. Band 4 gibt die Korrespondenzen vom 9. Juni bis zum 23. November 1646 wieder und enthält als wichtigste Schriftstücke die Satisfaktionsartikel vom 13. September, deren Formulierung als Grundlage für den Vorvertrag vom 11./14. November 1647 dienten, der seinerseits in den Text des Friedensvertrages von 1648 Eingang gefunden hat. Auch hier stammen wesentliche Vorarbeiten für den Band von Elke Jarnut, die von Claudia Kelch-Rade weitergeführt und schließlich von Anuschka Tischer vollendet wurden, die mit ihrer Einleitung auch eine konzise Beschreibung der Verhandlungen im Jahre 1646 geliefert hat. Einen wichtigen Beitrag leistete darüber hinaus Michael Rohrschneider, dem die umfangreichen Register des Bandes zu verdanken sind.

 

Zusammen mit den bisher erschienenen Bänden der französischen und den Editionen der kaiserlichen und der schwedischen Korrespondenzen sowie der kritischen Edition der Vertragstexte einschließlich der hierauf bezüglichen Urkunden liegen nunmehr die wichtigsten Schriftstücke der unmittelbaren Verhandlungsgeschichte der westfälischen Friedensverträge in einem modernen Druck vor, auch wenn noch längst nicht alles vorliegt, was für deren Entstehung von Belang ist. Noch fehlen die römischen und venezianischen ebenso wie die spanischen und niederländischen Korrespondenzen sowie große Teile der reichsständischen Akten, aus denen sich wichtige Aufschlüsse für den Verlauf der Friedensverhandlungen und vor allem für die Interessen der Beteiligten werden gewinnen lassen.

 

Mit der vorliegenden Edition sind jedoch jene Schriftstücke im Druck zugänglich gemacht worden, deren Kenntnis für die Verhandlungen über die französischen Satisfaktionsforderungen und für die richtige Einordnung dieser in den Gesamtverlauf der westfälischen Friedensverhandlungen von entscheidender Bedeutung ist. Zugleich wird mit ihrer Veröffentlichung, wie der Herausgeber der Acta Pacis Westphalicae Konrad Repgen in seinem Vorwort zu Recht betont, eine abschließende Beantwortung der alten Streitfrage ermöglicht, welche Kenntnisse die französischen Unterhändler über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in den von Frankreich beanspruchten habsburgischen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches im Elsaß besaßen. Anders als in der bisherigen Forschung dargestellt, kann nunmehr festgestellt werden, daß die französischen Gesandten nach und nach eine detaillierte Kenntnis der komplizierten Gemengelage der reichs- und landesrechtlichen Verhältnisse erlangten, die sie in die Lage versetzten, die kaiserliche Position, die durch das Bemühen gekennzeichnet war, Frankreich vom Lehnsverband des Heiligen Römischen Reiches und damit von der Reichsstandschaft fernzuhalten, zutreffend einzuschätzen. Die Einzelheiten sind in den Einleitungen von Bosbach und Tischer sorgfältig zusammengetragen und gewürdigt worden, so daß dieser Teil der höchst verwirrenden und komplizierten Entstehungsgeschichte des münsterschen Friedensvertrages als zuverlässig rekonstruiert angesehen werden kann. Gleichzeitig muß festgehalten werden, daß mit diesen Ergebnissen dem noch immer verbreiteten Urteil, der Kaiser habe sich der französischen Diplomatie nicht gewachsen gezeigt und gegenüber den Forderungen Frankreichs als zu nachgiebig erwiesen, endgültig der Boden entzogen ist.

 

Abgesehen von den historiographisch bedeutsamen Ergebnissen enthalten die beiden Bände auch rechtsgeschichtlich interessante Details, die in der bisherigen rechtsgeschichtlichen Forschung nicht oder nur peripher behandelt worden sind. Als Beispiel sei vor allem vor allem das bei den Verhandlungen befolgte Verfahren genannt, das keineswegs beliebiger Natur war, sondern ein rechtlich geordnetes Verfahren darstellte, das sich insgesamt an den Prinzipien des kontradiktorischen Prozesses orientierte, an das sich übrigens auch das Verfahren der Beratung und Beschlußfassung auf den Reichstagen des Heiligen Römischen Reiches - wenn auch in anderer Form - anlehnte. Proposition, Replik, Duplik usw., die hier bei den Verhandlungen zugrundegelegt wurden, sind spezifische verfahrensrechtliche Kategorien, an deren Form man sich, wie die entsprechenden Schriftstücke zeigen, exakt gehalten hat.

 

Auch die schwierigen Rechtsfragen, die sich für die Verhandlungsparteien aus den verwickelten Rechtsverhältnissen im Elsaß ergaben, verdienen die besondere Aufmerksamkeit des Rechtshistorikers. Ihre Behandlung in der französischen Korrespondenz läßt erkennen, daß die französische Seite streng darauf bedacht war, Rechte Dritter, hier vor allem der Reichsunmittelbaren, durch die eigenen Forderungen nicht zu verletzen, freilich auch und nicht zuletzt aus politischen Gründen, weil Frankreich sein militärisches Engagement mit dem Schutz der reichsständischen „Libertät“ begründet hatte. Umgekehrt war der Kaiser bestrebt, bei seinem Vorschlag einer Abtretung des Elsaß von der französischen Seite eine Garantie für die Wahrung der Rechte der Reichsunmittelbaren durchzusetzen, um sich keiner Rechtsverletzung gegenüber den Reichsunmittelbaren schuldig zu machen, was ihm im Ergebnis auch gelang. Die Rechtsverletzung hätte darin bestanden, daß eine Verfügung über Rechte der Reichsunmittelbaren, denen der Kaiser als oberster Lehnsherr des Reiches zu Schutz und Schirm verpflichtet war, nach geltendem Recht als Bruch des Lehnsverhältnisses (Felonie) angesehen worden wäre. Mit dem kaiserlichen Verlangen nach einer Garantie der Rechte der Reichsunmittelbaren durch den französischen König im Falle der Abtretung des Elsaß war eine solche Felonie jedenfalls formal vermieden, auch wenn diese vom Ermessen des französischen Königs abhing.

 

Rechtsgeschichtlich von nicht geringem Interesse ist schließlich die Frage nach der Rechtsnatur der Septemberartikel, die von Frau Tischer zu Recht als schwer deutbar eingestuft wird. Tatsächlich handelt es sich nicht, wie Fritz Dickmann gemeint hatte, um einen Vorvertrag, aber auch nicht, wie von Konrad Repgen vermutet wird, um eine Art von „gentlemen’s agreement“, sondern wohl doch um das, was in der älteren Rechtsprache als „Punktation“ bezeichnet wurde, d. h. ein mit rechtlicher Verbindlichkeit ausgestatteter Vertragsentwurf, dessen rechtliche Verbindlichkeit allerdings zeitlich befristet worden war. Ein bloßes „gentlemen’s agreement“, das zwar moralisch, nicht jedoch rechtlich verbindlich ist, dürften die Artikel jedenfalls nicht gewesen sein.

 

Diese und viele andere Details lassen die vorliegende Edition für den Rechtshistoriker auch über die Aufhellung der Entstehungsgeschichte der französischen Satisfaktionsartikel hinaus zu einer Fundgrube für rechtshistorische Fragestellungen werden, die bisher nicht oder nicht in wünschenswertem Umfang erörtert worden sind. Noch immer gibt es ja keine umfassende spezifisch rechtsgeschichtliche Arbeit über das nachmals zum Reichsgrundgesetz des Heiligen Römischen Reiches erhobene westfälische Vertragswerk, in der die verfassungsrechtlichen Zusammenhänge und Auswirkungen nach allen Seiten erschöpfend dargestellt werden. Auch die inzwischen zahlreich erschienenen rechtsgeschichtlichen Einzelstudien vermögen diesem Mangel nicht abzuhelfen. Wer sich umfassend informieren will, bleibt daher nach wie vor auf Johann Stephan Pütters berühmtes Alterswerk „Geist des Westphälischen Friedens“ aus dem Jahre 1795 angewiesen, das dieses Vertragswerk in einer auch heute noch lesenswerten Weise historisch- wie juristisch-systematisch kommentiert hat. Mit den bisher veröffentlichten Editionen der Acta Pacis Westphalicae einschließlich der hier besprochenen wären jedenfalls entscheidende Voraussetzungen für die Abfassung einer solchen modernen rechtsgeschichtlichen Darstellung geschaffen.

 

Was die jetzt publizierten Bände über die französischen Korrespondenzen betrifft, so verdienen Herausgeber und Bearbeiter insgesamt hohe Anerkennung für die geleistete Arbeit. Hervorgehoben sei übrigens auch die gediegene typographische Gestaltung durch Verlag und Druckerei, die einmal mehr den zeitlosen Charakter der gesamten Publikation der Acta Pacis Westphalicae eindrucksvoll unterstreicht.

 

Salzburg                                                                                                         Arno Buschmann