Zwicky, Markus, Prozess und Recht im alten Zug. Eine Darstellung des Prozessrechts im eidgenössischen Stande Zug vom 15. Jahrhundert bis zum Ende des Ancien Régime (= Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 48). Zürich 2002. XLV, 382, 37 S., graph. Darst.

 

Markus Zwicky behandelt in seiner von Clausdieter Schott betreuten Dissertation das Gerichtswesen des schweizerischen Kantons Zug in der frühen Neuzeit. Während der Bereich der Strafrechtsgeschichte des alten Zug durch die beiden auch heute noch grundlegenden, um 1915 entstandenen Darstellungen von Stutz und Weber bereits gut dokumentiert ist, gilt dies für die ältere „Zivilrechtspflege“ nicht. Um diese Forschungslücke zu schließen, hat Zwicky einen bereits durch die Menge beeindruckenden Bestand an Archivalien des Zuger Staatsarchives für den Untersuchungszeitraum bearbeitet. Bei der Vielzahl der überlieferten Gerichtsakten erscheint es nachvollziehbar, daß der Autor sich zur Gewinnung von statistisch verwertbaren Material bei der jeweils vollständigen Erfassung der Gerichtsakten auf bestimmte Zeiträume des immerhin etwa 300 Jahre umfassenden Untersuchungszeitraums (vom späten 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts) beschränken mußte. Ausgewählt wurden die Zeitperioden 1537-1546, 1560-1569 und 1660-1669, die sich durch eine besonders vollständige Überlieferung des rechtshistorischen Quellenmaterials auszeichnen und in denen keine politischen Auseinandersetzungen den normalen Lauf der Dinge störten. Die durch die systematische Auswertung der Archivalien gewonnenen Ergebnisse sind geordnet nach den verschiedenen Fragestellungen der Arbeit in einem Anhang mit zahlreichen Diagrammen beigegeben. Neben statistischen Angaben zu Entscheidungsdichte der Gerichte im alten Zug, finden sich dort z. B. statistische Angaben zur Frage der Geschlechterverteilung bei der Inanspruchnahme der verschiedenen Zuger Gerichtsinstanzen oder zur Häufigkeit unterschiedlicher Klagegegenstände, sowohl für den Bereich der Zivilrechtspflege wie auch für den Bereich der Strafgerichtsbarkeit. Im Textteil seiner Arbeit entwirft Zwicky mit erfreulichem Quellenbezug ein lebendiges Bild der Rechtspraxis im alten Zug. Er beschränkt sich nicht nur auf Fragen der Gerichtsverfassung oder des Prozessrechts im engeren Sinne, wie der Untertitel der Arbeit nahelegen könnte, sondern nimmt das gesamte Rechtsleben des Untersuchungszeitraums in den Blick. Trotz manchen Wandels der sich in den Zuständigkeiten der verschiedenen Gerichtsinstanzen und im gesamten Prozesssystem zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert feststellen läßt, zeigen die Zuger Verhältnisse insgesamt eine konservativ Tendenz, die nur eine langsame Erneuerung des in mittelalterlichen Formen verharrenden Rechtswesens erkennen lassen. Eine scharfe Kompetenzabgrenzung zwischen dem überwiegend für streitige Entscheidungen im zivilrechtlichen Bereich zuständigen Wochengericht, dem in erster Linie für leichtere Ehrverletzungen (Friedbrüche mit Worten) aber auch im zivilrechtlichen Bereich zuständigen Großgericht und dem Stadt- und Amtsrat, der überwiegend als Appellationsinstanz und auch als Malefizgericht tätig wird, daneben aber auch erstinstanzlich bedeutsame zivilrechtliche Sachverhalte als Gericht zu beurteilen hat, erfolgt bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht. Zwar wird auch in Zug an der Wende zum 16. Jahrhundert im Strafrecht der Inquisitionsprozeß eingeführt, eine Rezeption des gelehrten Rechtes läßt sich hingegen bis ins 18. Jahrhundert ansonsten nur sehr vereinzelt nachweisen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die von Zwicky eindrucksvoll herausgearbeitete und mit zahlreichen Quellen belegte Bedeutung des überkommenen Gewohnheitsrechts, das zwar durch teilweise Aufzeichnung in den Stadtbüchern von 1432 und 1566 schriftlich fixiert wird, aber in der Hauptsache in seiner nur mündlich tradierten Form die Zuger Rechtspraxis vom Mittelalter bis zum ausgehenden 18 Jahrhundert dominiert. Ein Ergebnis, das den Sonderweg der Zentralschweiz gegenüber den Verhältnissen im Alten Reich einmal mehr belegt. Ob dies tatsächlich - wie von Zwicky angenommen - für eine durch räumliche und geistige Isolation verursachte Rückständigkeit der Zuger Verhältnisse im Untersuchungszeitraum im Vergleich zu anderen Territorien des Alten Reichs spricht, müßte hingegen noch genauer hinterfragt werden. Der Autor selbst entwirft hier auf sein umfangreiches Quellenmaterial gestützt doch im Grunde eher das gegenteilige Bild, einer auch ohne geschriebenes Recht und gelehrtes Gerichtspersonal, in den alten Formen der Schöffengerichtsbarkeit, funktionierenden Rechtspflege.

 

Osnabrück                                                                                                     Andreas Bauer