Replik zu Brauneder

 

Brauneder spricht der Edition Europäische Verfassungsgeschichte sowohl hinsichtlich der Quellengrundlage als auch der Übersetzung jede Wissenschaftlichkeit ab. Diese Wertung beruht jedoch auf falschen Tatsachen: Schon die Feststellung, alle Übersetzungen - mit Ausnahme des Act Abolishing the Office of King 1649 und der Italienischen Verfassungsgesetze 1925-1939 - hätten sich die Herausgeber nicht selbst erarbeiten müssen, ist unhaltbar. Dafür genügt allein ein Blick auf die englischen Klassiker „Habeas Corpus“ und „Bill of Rights“. Bei Günther Franz sind eben nur Bruchteile abgedruckt, nämlich die Einleitung und Art. 1 Habeas Corpus Act (Staatsverfassungen3 (1975), S. 510ff.) und Artt. 1, 2, 5, 6 Bill of Rights (Staatsverfassungen3 (1975), S. 513ff.). Übersetzungsvorlagen für die Art. 2-20 Habeas Corpus Act und Artt. 3, 4, 7-9 vermag Brauneder nicht zu nennen, obwohl er behauptet, daß sie „alle ... schon anderswo zu finden sind.“

 

Auch der Vorwurf, die Herausgeber hätten die Übersetzungen als Quellengrundlagen mißbraucht, ist unverständlich. Jeder, der nur die Einleitung des Habeas Corpus Act in unserer Textausgabe anliest, wird erkennen, daß eben nicht eine Übersetzungsvorlage abgeschrieben worden sein kann. Dafür sind die Abweichungen doch zu augenfällig! Auch die Ausgaben von Adams/Stephens (New York 1918), von Stephenson/Marcham (London 1938), von Grant Robertson (London 1949), von Costin/Watson (London 1952) oder von Browning (London 1953) geben die ursprüngliche Textfassung nicht oder nicht vollständig wieder. Man muß sich schon die in der Rezension geschmähte Mühe machen, die Parliament Roll Of Chancery C 65/223 No. 2 einzusehen. Auch eine nur flüchtige Lektüre der hier vorgelegten Edition der Bill of Rights zeigt die Unterschiede zu der von Brauneder als Vorlage vermuteten Ausgabe von Franz. Gleiches gilt für den Act of Settlement 1701 (bei Franz, Staatsverfassungen3 [1975], S. 521ff. ohne Artt. I und II) für den Parliament Act 1911 (bei Franz, Staatsverfassungen3 [1975], S. 525 mit Kürzungen in der Präambel und ohne Nr. 8).

 

Wie sich der Rezensent über die „Ursache allfälliger Bearbeitungen“ der Pölitzübersetzungen (II [Leipzig 1817], S. 16-31; S. 30-54; S. 293-305 und III [Leipzig 1820], S. 263-293) zu wundern vermag, ist nicht verständlich, außer er hat die Ausgaben von Pölitz nicht mit der von uns vorgelegten Edition verglichen. Zu schwerwiegend sind Auslassungen und Fehler dieser Sammlung des 19. Jahrhunderts. So übersetzt Pölitz (II [Leipzig 1817], S. 294) beispielsweise « les rapports nouveaux que ces progrès ont introduits dans la société » in der Präambel zur Charte constitutionnelle von 1814 mit « neuen Verhältnisse, die diese Fortschritte in der bürgerlichen ( !) Gesellschaft hervorgebracht haben“. Nach unserem Verständnis des Forschungsstandes zum nachrevolutionären Frankreich ist das Attribut bürgerlich jedoch grob falsch.

 

Die schwierigen Übersetzungsprobleme zum Edikt von Nantes (vgl. nur zur Übersetzung des Art. LXVI Pierre Bernard, Explication De L’Edict de Nantes par les Autres Edicts de Pacification, Declarations & Arrests de Reglement, Paris 1666, p. 191) mit den Unterschieden zwischen der ursprünglichen, von Heinrich IV. und den Hugenotten vereinbarten Fassung (30. April 1598) und dem vom Pariser Parlament anerkannten und registrierten Text (25. Februar 1599) müssen dem Rezensenten entgangen sein. Anders ist der Vorwurf der fehlenden Wissenschaftlichkeit nicht zu erklären.

 

Die Kritik an der Einleitung erscheint durch eine (besondere?) österreichische Sicht verzerrt. Dies fällt nicht nur bei der Klage über fehlende Ausführungen zur deutschen Grundrechtstradition und über das kleindeutsche Mißverständnis der Paulskirchenverfassung auf, sondern besonders markant dafür ist der Hinweis auf die „fatale Lücke“ zur österreichischen Verfassung 1920, die „erstmals eine Normenkontrolle durch ein Verfassungsgericht außerhalb des anglosächsischen Rechtsbereiches kannte“. Wie lassen sich die Angelsachsen für eine verfassungsgerichtliche Normenkontrolle in Anspruch nehmen, wenn man englische Praxis und Doktrin zum judicial review kennt?

 

Im übrigen schätzen sich die Herausgeber glücklich darüber, eine intensive Diskussion über den Forschungsbedarf in der europäischen Verfassungsgeschichte angestoßen zu haben. Derjenige, der sich die Mühe macht, mit den Texten in der von uns vorgelegten Edition wirklich zu arbeiten, findet einen gegenüber dem bisherigen derart verbesserten Textbestand, daß wir im Gegensatz zum Rezensenten „voller Hoffnung“ sind, die verfassungsvergleichende Forschung zu fördern.

 

Würzburg/Passau                                                                    Dietmar Willoweit/Ulrike Seif