Tschaikner, Manfred, Die Zauberer- und Hexenprozesse der Stadt St. Gallen. Universitätsverlag Konstanz, Konstanz 2003. 269 S.

 

Die Schweiz gilt gemeinhin als eines der Gebiete, in denen die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit am schlimmsten gewütet haben. Mit insgesamt etwa 10.000 Opfern gehört sie sicher zur Kernregion der Verfolgung. Dass dies aber nicht für alle Kantone gilt, zeigen jüngere Untersuchungen wie diejenige Guggenbühls für Basel[1] und die jetzt vorliegende Darstellung Manfred Tschaikners für die Stadt St. Gallen. Die außerordentlich gute Quellenlage wurde in jahrzehntelanger, akribischer Arbeit im St. Gallener Stadtarchiv aus den Ratsprotokollen, Examinations- und Malefizbüchern zusammengetragen und für eine Edition vorbereitet. Mit Tschaikner konnte für den Abschluss der Arbeit ein Kenner der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen zwischen Innsbruck und dem Bodensee gewonnen werden, der bereits mit Publikationen zu Vorarlberg, Bregenz, Dornbirn und Liechtenstein in Erscheinung getreten war.[2] Herausgekommen ist dabei eine Geschichte der St. Gallener Hexenprozesse, in der sich Prozessschilderungen, Quellenauszüge und die genauen Beobachtungen des Autors zu einem plastischen Gesamtbild zusammenfügen, das die Motivationen der Beteiligten mit viel Spürsinn an den Tag legt.

 

Tschaikner behandelt die Prozesse, soweit es der Zusammenhang erlaubt, in chronologischer Reihenfolge, wobei er drei Phasen unterscheidet (S. 25ff., 35ff., 91ff.). Vorangestellt ist eine kurze Einleitung zur historischen Situation der Stadt (S. 13ff.). Im Anhang hat Tschaikner zu den acht wichtigsten Opfern detaillierte biografische Angaben aus den Akten zusammengesucht (S. 211ff.) und alle Prozesse in einer Übersicht zusammengefasst, die zwischen Zauberei- und Hexereiprozessen genau unterscheidet.

 

Die Stadt St. Gallen gehörte mit einer Ausdehnung von drei mal zwei Kilometern zu den zahlreichen Zwergstaaten des Heiligen Römischen Reiches und zugleich zur Eidgenossenschaft. Die Reformation wurde in St. Gallen vor allem durch Joachim von Watt, genannt Vadian, geprägt, auf den Tschaikner auch die Zurückhaltung des Rates gegenüber der neueren Hexenlehre (Hexenflug, Hexensabatt) zurückführt (S. 26ff.). Während in der Bevölkerung solche Hexenvorstellungen durchaus kursierten und zu zahlreichen, oft über Jahrzehnte anhaltenden Denuntiationen führten, hielt der Rat bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts an der Lehre des canon episcopi fest, dass Zauberei nur eine Form des Aberglaubens sei, den es mit dem Mittel der Predigt zu bekämpfen gelte; Hexenflug und Hexensabatt, ja sogar der Schadenszauber wurden zunächst nur als Blendwerk des Teufels angesehen. Tschaikner zeigt aber, dass dem Verfolgungsdruck aus der Bevölkerung durch Prozesse gegen sog. landschädliche Leute Rechnung getragen wurde und dass hier gewisse Elemente der Hexenlehre (der Flug zu fernen Orten) unter anderen Vorzeichen auftraten; und auch bei der Sodomie stellt Tschaikner, wie jüngst auch Guggenbühl hervorgehoben hat, eine Mitwirkung des Teufels in den Mittelpunkt (S. 31ff.).

 

Die skeptische Grundhaltung des St. Gallener Rates stellt Tschaikner an zahlreichen Fällen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Beweis, wenn etwa die in den Zeugenprotokollen und Geständnissen auftauchenden Hinweise auf die neuere Hexenlehre – die Beschreibung des Teufels als „schwarzer Mann“, seines „kalten Gliedes“, die magische linke Hand, die Verwandlung des Brautgeldes in Kot u. v. m. – vom Rat in den Urteilen gar nicht aufgegriffen bzw. als Täuschung des Teufels abgetan werden. Zu der verhältnismäßig geringen Verfolgungstätigkeit trug nach Tschaikner auch bei, dass der Rat bei Anwendung der Folter die Voraussetzungen der Carolina beachtete, auf die Einholung auswärtiger Rechtsgutachten verzichtete und eine Güterkonfiskation bei den Opfern nicht durchführte.

 

Dass es trotzdem (neben acht „Zaubererinnen und Zauberern“) 1615, 1658 und 1691 zur Hinrichtung von insgesamt vier „Hexen“ kommen konnte, liegt nach Tschaikner vor allem an den Selbstbezichtigungen einiger Frauen aus den Armenhäusern, aufgrund derer ein Teil des Rates die dämonologische Hexenlehre schließlich doch akzeptierte; 1658 kam die Einführung einer neuen Foltermethode hinzu.

 

Die Arbeit bereichert das Schrifttum zur Regionalgeschichte der Hexenprozesse um einen interessanten und glaubwürdigen Beitrag.

 

Basel                                                                                                             Harald Maihold



[1] Dietegen Guggenbühl, Mit Tieren und Teufeln. Sodomiten und Hexen unter Basler Jurisdiktion in Stadt und Land 1399 bis 1799, Liestal 2002. Vgl. dazu meine Besprechung in: ZRG, Germ. Abt. 121 (2004), S. 787-792.

[2] Manfred Tschaikner, Die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen in den österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg – Versuch einer Dokumentation und sozialgeschictlichen Analyse, Diss phil. Innsbruck 1991; Ders., „Damit das Böse ausgerottet werde“ – Hexenverfolgungen in Vorarlberg im 16. und 17. Jahrhundert, Bregenz 1992; Ders., Magie und Hexerei im südlichen Vorarlberg zu Beginn der Neuzeit, Konstanz 1997; Ders., „Der Teufel und die Hexen müssen aus dem Land...“ Frühneuzeitliche Hexenverfolgungen in Liechtenstein, Vaduz 1998.