Trasgressioni. Seduzione, concubinato, adulterio, bigamia (XIV-XVIII secolo), a cura di Seidel Menchi, Silvana/Quaglioni, Diego. (= I processi matrimoniali degli archivi ecclesiastici italiani 3 = Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento, Quaderni 64). Società editrice il Mulino, Bologna 2004. 686 S.

 

Bei dem hier vorliegenden Band handelt es sich um die dritte Publikation im Rahmen der Veröffentlichung der Akten von historischen Kolloquien, die zwischen 1998 und 2001 am Centro per gli studi storici italo-germanici in Trient und an der dortigen Universität stattfanden. Zwei Bände aus diesem Projekt sind bereits erschienen. (Siehe S. Seidel-Menchi/D. Quaglioni [Hrsg.], Coniugi nemici. La separazione in Italia dal XII al XVIII secolo [Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni, 53]; Bologna 2000; und S. Seidel-Menchi/D. Quaglioni [Hrsg.], Matrimoni in dubbio. Unioni controverse e nozze clandestine in Italia dal XIV al XVIII secolo [Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni, 57], Bologna 2001. Ein vierter Band „I tribunali del matrimonio” von denselben Herausgebern ist im Druck.) Das Projekt und seine Ergebnisse haben eine beachtliche Resonanz im Schrifttum erfahren (siehe in dieser Zeitschrift, Germ.Abt. 120, 2003, S. 592ff. meine Rezension sowie die Rezension von V. Reinhard in der Historischen Zeitschrift, 2003, S. 186-187). Silvana Seidel-Menchi ist zwischenzeitlich Professorin für neuere Geschichte an der Universität Pisa. Diego Quaglioni lehrt Geschichte der politischen Ideen und Geschichte des modernen Rechtsdenkens an der Universität Trient. Beide sind zugleich am deutsch-italienischen historischen Institut in Trient tätig.

 

Einiges sei zunächst zum Inhalt und zur Struktur des nun vorliegenden Bandes mitgeteilt. Auch hier werden die einzelnen Beiträge durch eine ausführliche, zusammenfassende und wertende „Introduzione“ beider Herausgeber eingeleitet (S. 7-20). Die Kriminalitätsformen, welche im Vordergrund des vorliegenden Projekts stehen, seien typische Abweichungsformen vom „modello coniugale prevalente nelle società europee di antico regime“. „Un largo consenso storiografico“, wird auf S. 7 festgehalten, „circonda la definizione di questo modello. Legame monogamico e indissolubile, luogo esclusivo dell’esercizio della sessualità e della procreazione legittima, strettamente connesso al regime dotale, il matrimonio dell’età tardo-medievale e moderna era l’approdo di laboriose trattative famigliari dettate da interessi patrimoniali, o funzionali agli equilibri di potere dei casati, le quali tenevano in scarsa considerazione inclinazioni e sentimenti dei contraenti.” Der sakramentale Charakter der Eheschließung, vor allem nach dessen Präzisierung im Tridentiner Konzil, habe das beschriebene juristische und soziale Modell der Ehe im katholischen Europa, vor allem in Italien, besonders gefestigt, auch wenn es als soziales Modell ebenso in den außeritalienischen Territorien und im evangelischen Europa zu finden sei. Bezogen auf diese strenge Vorstellung der Ehe seien Verhaltensweisen wie das Konkubinat, der Ehebruch, die Polygamie oder das „Stuprum“, worunter nicht nur sexuelle Gewaltanwendungen, sondern jegliche uneheliche Beziehung damals subsumiert wurden, als schwerwiegende Übertretungen der göttlichen Normen und Grundprinzipien der zivilen Konvivenz angesehen worden. Der Analyse der juristischen und sozialhistorischen Aspekte dieser Formen von sozialer Devianz gelten alle hier versammelten Beiträge.

 

Ein erster Abschnitt („Norme e dottrine“, S. 21-229) ist der juristischen Qualifikation und Erörterung dieser Untaten gewidmet. Zahlreiche Beiträge beleuchten die juristische, sich in der Zeit verändernde Qualifikation und dogmatische Einordnung etwa des „Adulterium“ und des „Stuprum“. Ebenso werden die jeweiligen, in der Statutargesetzgebung vorgesehenen Sanktionen analysiert und die rechtsgelehrte Erörterung dieser Fragen in der kriminalistischen Rechtsliteratur des 16. und 17.Jahrhunderts. Genannt seien hier im einzelnen die Beiträge von Anna Esposito, „Adulterio, concubinato, bigamia: testimonianze dalla normativa statutaria dello Stato pontificio (Secoli XIII-XVI)“ (S. 21-42); Giuliano Marchetto, „,Primus fuit Lamech’. La bigamia tra irregolarità e delitto nella dottrina di diritto comune“ (S. 43-106); Lucia Ferrante, „,Consensus concubinarius’: un’invenzione giuridica per il principe?“ (S. 107-132); Andrea Marchisello, „,Alieni thori violatio’: l’adulterio come delitto carnale in Prospero Farinacci (1544-1618)“ (S. 133-184); Marco Bellabarba, „I processi per adulterio nell’Archivio Diocesano Tridentino (XVII-XVIII secolo)“ (S.185-229). Ein zweiter Abschnitt des Bandes („Procedure e conflitti“, S. 231ff.) ist der Geschichte und Analyse einzelner gerichtlicher Auseinandersetzungen gewidmet. Im Vordergrund steht hier die sozialhistorische und juristische Rekonstruktion von Einzelfällen, die anhand der archivalischen Prozessunterlagen in einzelnen kirchlichen Gerichtsarchiven rekonstruiert und dargestellt werden. Eine Auflistung der einzelnen Beiträge vermittelt die Vielzahl von Sachverhalten und Gerichtsorten, welche hier, z. T. sehr ausführlich, präsentiert werden: Ermanno Orlando, „Il matrimonio delle beffe. Unioni finte, simulate, per gioco. Padova e Venezia, fine secolo XIV-inizi secolo XVI“ (S. 231-268); Emlyn Eisenach, „,Femine e zentilhomini’: concubinato d’élite nella Verona del Cinquecento“ (S. 269-304); Laura Turchi, „Adulterio, onere della prova e testimonianza. In margine a un processo correggese di età tridentina“ (S. 305-350); Daniela Lombardi, „Il reato di stupro tra foro ecclesiastico e foro secolare“ (S. 351-382); Sara Luperini, „Il gioco dello scandalo. Concubinato, tribunali e comunità nella diocesi di Pisa (1597)“ (S. 383-416); Cristina Galasso, „,La moglie duplicata’. Bigamia e levirato nella comunità ebraica di Livorno (secolo XVII)“ (S. 417-442); Pierroberto Scaramella, „Controllo e repressione ecclesiastica della poligamia a Napoli in età moderna: dalle cause matrimoniali al crimine di fede (1514-1799)“ (S. 443-502); Kim Siebenhüner, „,M’ha mosso l’amore’: bigami e inquisitori nella documentazione del Sant’Uffizio romano (secolo XVII)“ (S. 503-534); Silvana Seidel Menchi, „Il matrimonio finto. Clero e fedeli post-tridentini tra sperimentazione liturgica e registrazione di stato civile“ (S. 535-572); Alessandra Contini, „Verso nuove forme di regolazione dei conflitti: la vicenda di Marianna Scartabelli (Firenze, 1783)“ (S. 573-596); Georgia Arrivo, „Storie ordinarie di matrimoni difficili. Assunta Tortolini e Giuseppe Mozzanti di fronte al Supremo Tribunale di Giustizia di Firenze“ (S. 597-618). Eine sehr umfassende Bibliographie erfasst sämtliche zitierten, gedruckten juristischen und statutarischen Quellen sowie die ebenso reichhaltige herangezogene Sekundärliteratur. Ein Namensregister erfasst sämtliche beteiligten Personen. Dasselbe gilt auch für Orte und Institutionen (S. 621-686). Alle zitierten Beiträge betreffen italienische Territorien zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert. Wegen der sorgfältigen und reichhaltigen Erschließung durch diese Register zeichnet sich der Band deshalb als eine Fundgrube für jeden Leser, der an der Geschichte der italienischen Territorien der Neuzeit interessiert ist, aus.

 

Die Beiträge aus dem ersten Abschnitt stellen die statutarische Gesetzgebung und die rechtsdogmatischen Ausführungen der Kriminalisten der Zeit in den Vordergrund. Sie sind ausgesprochen rechtshistorisch ausgerichtet und stellen eine wertvolle Grundlage für eine künftige, bis heute noch nicht geschriebene Geschichte des italienischen Strafrechts dieser Zeit dar. Die Beiträge aus dem zweiten Abschnitt wollen dagegen anhand einzelner, typisch ausgesuchter und analysierter Fallkonstellationen die sozialen und auch politischen Implikationen dieser Formen von Sozialdevianz konkret verdeutlichen. Die jeweiligen Fallgeschichten werden liebevoll und sehr ausführlich mit umfassenden Hinweisen auf die archivalischen Quellen präsentiert. In vielen Fällen werden Auszüge aus Zeugenverhören oder Parteienschriften z. T. wörtlich wiedergegeben. Wie bereits bei der Rezension des vorherigen Bandes in dieser Zeitschrift vermerkt (Germ.Abt. 120, 2003, insb. S. 593), zeichnet sich hier die ausgesprochene Vorliebe bei den heutigen italienischen Historikern für die „Mikrohistorie“ ab. Der historisch-quantitative Zugang zu solchen Quellen scheint unbeliebt zu sein. Als Vorbild sei die berühmte Studie von Carlo Ginzburg, Il formaggio e i vermi. Il cosmo di un mugnaio del ‘500, Torino (: Einaudi) 1976, genannt. Ginzburg beschreibt hier als epochentypisch einen Häresieprozess gegen einen Müller aus dem Friaul vom Ende des 16. Jahrhunderts. Es ist bezeichnend, wie Ginzburg (aaO., S. XIX) bereits damals seinen Zugang zur Geschichte der „classi popolari“ gegen „lo studio quantitativo delle società del passato“ verteidigt. Kirchliche und staatliche Gerichtsarchive böten allerdings eine privilegierte Quelle gerade auch für historisch quantitative Studien zu diesen Themen. Die Zurückhaltung der italienischen Historiker gegenüber quantitativen statistischen Methoden bestätigt hier exemplarisch der vorliegende Band: Keine einzige der versammelten, durchaus lesenswerten, Studien hat eine solche Arbeitsstrategie gewählt.

 

Saarbrücken                                                                                                  Filippo Ranieri