Rättshistoria i förändring. Olinska stiftelsen 50 år. Ett internationellt symposium i Stockholm den 19-21 november 1997. Legal History in Change. The Olin Foundation for Legal History 50 Years. An International Symposium in Stockholm November 19-21, 1997, red. v. Modéer, Kjell Åke (= Skrifter utgivna av Institutet för rättshistorisk forskning, Serien II Rättshistoriska studier 22). Rönnells antikvariat i distribution Stockholm 2002. XII, 335 S. viele Abb.

 

Am 19. November 1947 gründeten der Hofgerichtsrat Gustav Olin und seine Frau Carin das Institut für Rechtshistorische Forschung in Stockholm. Zum 50-jährigen Jubiliäum veranstaltete die Stiftung vom 19. bis 21. November 1997 ein internationales Symposium in Stockholm mit dem Titel ‚Rechtsgeschichte im Wandel‘, an dem Rechtshistoriker aus ganz Europa teilnahmen. Der Band erinnert nicht nur an 50 Jahre erfolgreicher Tätigkeit der Stiftung für die schwedische Rechtsgeschichte, sondern blickt durch die dort versammelten Referate auch auf die Zukunft der Rechtshistorie in Europa. Als das Ehepaar Olin die Stiftungsurkunde unterzeichnete, war Gustav Olin (geb. am 19. November 1872 in Lund) bereits 75 Jahre alt. Er blickte auf eine brillante Karriere in der Justiz zurück, die er als Hofgerichtsrat und Abteilungssprecher im schwedischen Hofgericht beendete. Zwischenzeitlich hatte er als Sachverständiger im Justizministerium stiftungsrechtliche Fragen bearbeitet, war also mit stiftungsrechtlichen Fragen bestens vertraut. Gustav Olin war historisch sehr belesen, besonders an der heimischen Rechtsgeschichte und an römischem Recht interessiert. Da er nicht unvermögend war, stattete er seine Stiftung mit erheblichen finanziellen Mitteln aus. Er gab ihr einen auf Schweden beschränkten, aber wissenschaftlich umfassenden Auftrag: Sie sollte die schwedische rechtshistorische Forschung fördern, die Geschichte des öffentlichen und privaten schwedischen Rechts und der Rechtswissenschaft sowie die Kulturgeschichte des Rechtslebens erforschen, Rechtsquellen herausgeben und die Ergebnisse veröffentlichen. Es entstanden zunächst zwei Schriftenreihen, die Rechtshistorische Bibliothek (bisher 60 Bände) und die Rechtshistorischen Studien (bisher 22 Bände). 2001 kam eine dritte Reihe dazu, die Rechtshistorischen Schriften (bisher 3 Bände). In den ersten Vorstand trat Olin selbst ein, berief dazu aber auch die rechtshistorischen Professoren der schwedischen Universitäten Jan Eric Almqvist, Stockholm, Ivar W. Sjögren, Lund und Henrik Munktell Uppsala sowie als Praktiker den damaligen Hofgerichtsassessor Sture Petrén, Stockholm. Bereits 1952 sah Olin seine Mission als Impulsgeber erfüllt und verließ den Vorstand der Stiftung. An seine Stelle trat der Historiker Sven Tunberg. Gustav Olin starb am 14. März 1955[1], seine Frau Carin am 8. August 1963. Auf Grund ihres Testamentes erbte die Stiftung die gesamte Hinterlassenschaft des Ehepaars, so daß das Stiftungsvermögen am Ende des Jahres 1963 insgesamt 2.228.424 Kronen betrug und eine finanziell sichere Grundlage für die künftige Arbeit bot.

 

Das Symposion widmete den ersten Tag der Geschichte der Stiftung. Hier begrüßte der Regierungsrat Magnus Sjöberg, Vorsitzender der Stiftung, die versammelten Wissenschaftler und der Hofgerichtsrat und frühere Vorsitzende Mauritz Bäärnhielm zog eine Bilanz der Stiftungsgeschichte. Der Präsident von Svea Hofrätt, Johan Hirschfeldt, berichtete über Vorarbeiten zum 400-jährigen Jubiläum dieses schwedischen Obergerichts im Jahre 2014. Das Gericht stellt einen wichtigen Faktor der schwedischen Rechtsgeschichte dar, weil es bereits 1614 gegründet wurde, also bereits 120 Jahre vor dem Reichsgesetzbuch von 1734. Da seine Akten wohlbehalten im Reichsarchiv ruhen und inzwischen 4,8 Regalkilometer messen, gewähren sie – bei entsprechender Bearbeitung – reiche Aufschlüsse über die gelebte Rechtswirklichkeit in Schweden.

 

Den zweiten Tag widmete das Symposion der schwedischen und nordischen Rechtsgeschichte in drei Themenkreisen. Zunächst berichteten die Professoren Kjell Åke Modéer, Lund, Claes Peterson, Stockholm, und Rolf Nygren, Uppsala, über ihre Erfahrungen mit der rechtsgeschichtlichen Lehre in der Juristenausbildung. Modéer knüpfte an Olins Humanismus an und schilderte zunächst die verschiedenen schwedischen Studienreformen von 1957 und 1978, die dazu beitrugen, die Rechtsgeschichte zu einer Randerscheinung zu machen, weil die Forderung nach gesellschaftswissenschaftlicher Ausrichtung des Rechts stärker war als die nach seiner historischen Vertiefung. Im Folgenden plädierte er dafür, die Rechtsgeschichte mit der Rechtskultur näher zu verknüpfen, indem sie sich mit den Nachbarwissenschaften Allgemeine Rechtslehre, Rechtsphilosophie und Ideen- sowie Wissenschaftsgeschichte verbünde. Zusammen mit der Rechtsvergleichung versprach er seinem Fach nicht nur spannende Forschungsthemen, sondern auch neue Perspektiven bei der Juristenausbildung. Demgegenüber hielt Claes Peterson dafür, daß die Rechtsgeschichte als Spezialwissenschaft keinen Platz im juristischen Studium habe, sondern daß sie eine selbständige Stellung nur dann erobern könne, wenn sie ihren juristischen Grundcharakter wahren und praktische Relevanz erlangen könne. Beides glaubte er zu gewinnen, wenn er sie mit der juristischen Methodenlehre verbinde. Seine zehnjährige Lehrerfahrung zeige, daß die jungen Juristen auf diese Weise auch die Rechtsgeschichte als Teil ihrer Ausbildung akzeptierten. Doch räumte er ein, daß so die bisherige Rechtsgeschichte auf Methodenlehre verkürzt und der Rest dann den Historikern anheimfalle. Rolf Nygren stellte fest, daß auch Olin noch in der Tradition Savignys und Carl Johan Schlyters stand, daß sich aber seitdem die Gesellschaft und das Rechtsdenken geändert und sich allgemein von der Geschichte abgekehrt habe. Demzufolge müsse auch die Rechtsgeschichte sich wandeln, nämlich mit anderen Wissenschaften, der praktischen Jurisprudenz, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte und der Gesellschaftswissenschaft zusammenarbeiten und dabei einem Theorien- und Methodenpluralismus folgen, um der veränderten Rolle des Rechts in der Gesellschaft gerecht zu werden.

 

Es folgten Meinungsäußerungen zur Rechtsgeschichte von Praktikern und Professoren des geltenden Rechts. Erland Aspelin meinte, der Richter müsse rechtsgeschichtliche Kenntnisse haben, um den Hintergrund der Gesetze zu kennen und um beurteilen zu können, ob eine neue Regelung ein wirklichen Fortschritt bringe. Bertil Bengtsson bestritt dagegen den Wert rechtshistorischer Kenntnisse für die praktische Rechtsanwendung im Sachenrecht. Auch Per Ole Träskman zweifelte, ob man aus der Historie Lehren für die Gegenwart ziehen könne, doch meinte er, sie sei wenigstens geeignet, Perspektiven zu vermitteln und heutige Positionen zu hinterfragen. Schließlich bekannte sich der Prozessualist Peter Westberg aus Lund als Positivist, und erklärte, die Rechtsgeschichte für seine täglichen Aufgaben nicht zu brauchen. Immerhin wünschte er eine Vertiefung der Juristenausbildung durch Grundlagenfächer wie Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsökonomie, um Problem- und Argumentationsanalyse zu betreiben. Demgegenüber forderte Mauritz Bäärnhielm, der Gesetzgeber müsse gewisse Mindestkenntnisse der Rechtsgeschichte haben, um brauchbare neue Gesetze schaffen zu können.

 

Den zweiten Tag beschlossen Äußerungen nordischer Juristen zum Thema ‚Rechtsgeschichte und Nordische Rechtsgemeinschaft‘. Das grundlegende Referat unter diesem Titel hielt Ditlev Tamm aus Kopenhagen. Ihm folgte der Bericht Lars Björnes über die Entwicklung der rechtshistorischen Forschung und Lehre in Finnland nach dem Kriege. Sigurður Líndal, Reykjavík, fragte, ob die Rechtsidee des isländischen Freistaates die nordische Gesetzgebung und Rechtsgemeinschaft befruchten könne. Er bejahte dies, weil damals Gesetze auf altem Herkommen beruhten, nach Verhandlungen von der Volksversammlung beschlossen, aber nicht durch Befehl verordnet wurden. Insofern gehörten diese Ideen zur Staatsphilosophie der westlichen Länder bis heute. Es folgten kurze rechtshistorische Forschungsberichte für Island von Líndal und für Norwegen von Dag Michalsen, Oslo.

 

Der dritte Tag des Symposions war den internationalen Bezügen der Rechtsgeschichte gewidmet. Michael Stolleis, Frankfurt, referierte über die Traditionen und Visionen europäischer Rechtsgeschichte. Obwohl ein europäisches Netzwerk rechtshistorischer Forschung existiere, gebe es bisher kein zufriedenstellendes europäisches Lehrbuch der Rechtsgeschichte. Es bestehe jedoch die Hoffnung, daß die Rechtsgeschichte zukünftig nicht mehr nach heimischem, römischen und kanonischen Recht gegliedert werde, sondern nach Zeitabschnitten, daß die Trennung zwischen Rechtsgeschichte und Geschichte überwunden werde, daß die Forschungsfelder gleichmäßiger bearbeitet und daß schließlich die nationalen Forschungsgrenzen überwunden würden. Robert W. Gordon, Yale, untersuchte das historische Argument in der amerikanischen Rechtskultur und meinte, daß die liberalen Gesellschaften der Gegenwart Raum für Freiheit und Erneuerung nicht durch Flucht vor der Geschichte schaffen, sondern dadurch, daß sie entdecken, welche historischen Alternativen in der gegenwärtigen Praxis verborgen sind und die Traditionen wählen, denen sie folgen wollen. Bernhard Diestelkamp, Frankfurt, prüfte, ob das ius commune der Vereinheitlichung des europäischen Rechts dienlich sein könne. Obwohl er derartigen Versuchen skeptisch begegnete, hielt er sie als Denkanstoß zur europäischen Rechtsvereinheitlichung für bedeutsam. Die französische Sicht dieser Frage hat Philippe Cocatre-Zilgen, Paris dargestellt. David Sugarman, Lancaster, berichtete über das Verhältnis von Rechtsgeschichte, Common Law und englischer Eigenart und stellte fest, daß sich der bisher auf England fixierte Blick durch die transnationalen Strukturen der Wirtschaft, der Informationstechnik und der allgemeinen Globalisation geweitet habe und langsam kosmopolitisch zu werden beginne. Wilhelm Brauneder, Wien, gab einen Überblick über die österreichische rechtshistorische Forschung, skizzierte ihre Ergebnisse und betonte die Vielfalt der europäischen Rechtsgeschichte insgesamt.

 

Einen eher pessimistischen Bericht über die Rolle des Neopandektismus in Spanien lieferte Carlos Petit, Huelva. Dem schlossen sich die Ausführungen von Dirk van den Auweele, und Randall Lesaffer, beide Löwen, für Belgien und die Niederlande an, die der Rechtsgeschichte eine wichtige Rolle in der Juristenausbildung zubilligten, um das Verständnis der Grundsätze des geltenden Rechts und aktuellen Gesellschaftsorganisation zu fördern. Paolo Cappellini, Florenz, kritisierte vor allem die undurchdachten italienischen Vorschläge für eine Reform des Jurastudiums in Richtung Effektivität, Produktivität und Professionlität, berichtete über die verschiedenen Zweige der italienischen rechtsgeschichtlichen Forschung und möchte die Rechtsgeschichte zukünftig dem Staate zurückgewinnen.

 

Peter Järvelaid, Tallinn, berichtete über die Rolle der Rechtsgeschichte bei der Wiedererrichtung der Souveränität in den baltischen Staaten. Hier diente die Rechtsgeschichte zunächst kurzfristigen politischen Zwecken. Sie könne aber ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie sich mit längerfristigen Forschungsprojekten befasse, die auf der gemeineuropäischen Kultur beruhen. Auch aus dem Bericht Kazimierz Baran, Krakau, folgte, daß in Polen die Rechtsgeschichte nach dem Niedergang des Kommunismus politisch geholfen hat, sich auf die historischen Grundlagen des polnischen Staates zu besinnen. Der rechtsgeschichtliche Unterricht in Polen sei derzeit noch recht umfangreich, doch mache sich seit den späten 1980er Jahren auch hier die Tendenz bemerkbar, die juristischen Studien pragmatisch und utilitaristisch im Hinblick auf das Examen zu betreiben, so daß die polnischen Rechtshistoriker sich mit denselben Problemen konfrontiert sähen, die im übrigen Europa schon lange bestehen. Die Tagung endete am 21. Nov. 1997 mit den Dinnerreden von Robert Feenstra, Leiden, welcher der Stiftung gratulierte, und von Mauritz Bäärnhielm, Stockholm, der das schwedische Ritterhaus als rechtshistorische Arena vorstellte.

 

Der Band zeigt nicht nur eindringlich, welch wichtige wissenschaftspolitische Funktion eine wirkungsmächtige rechtshistorische Stiftung hat, sondern ebenso, daß die Rechtsgeschichte europaweit in einer Krise steckt, aus welcher ihr der Weg in eine ersprießliche Zukunft noch zu weisen ist.

 

Köln am Rhein                                                                                                           Dieter Strauch

 



[1] Vgl. den Nachruf Sture Petréns in: Rättshistoriska Studier Bd. II, Stockholm 1957, S. XI–XLIV.