Olechowski, Thomas, Rechtsgeschichte. Materialien und Übersichten, 3. Aufl. Wiener Universitätsverlag, Wien 2003. 150 S.

 

Nach Friedrich Carl von Savigny sieht die ungeschichtliche Schule die Geschichte bekanntlich nur als moralisch-politische Beispielssammlung an, während sie nach der geschichtlichen Schule der einzige Weg zur wahren Erkenntnis des eigenen Zustandes ist. Als Folge dieser Einsicht hat die Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert einen festen Platz in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung errungen. In seiner mehr und mehr gefährdeten Wahrung finden rechtsgeschichtliche Forschung, Lehre und Prüfung statt.

 

Dabei besteht Einigkeit darüber, dass die Rechtsgeschichte wie jede andere Wissenschaft im Einzelnen endlosen Stoff umfasst. Aus diesem Grund ist in der Lehre eine zielgerechte Auswahl zu Gunsten der Studierenden notwendig. Sie wird in einem Handwörterbuch oder Handbuch der Rechtsgeschichte nicht eng genug erfolgen können, wird in einer Rechtsgeschichte - Übungs- und Prüfungsgrundlage -, die ausdrücklich nur den Prüfungsstoff eines fachfremden, sitzengebliebenen, seinen Kirchenrechtler schlicht beerbenden, kollusiven Landgeistlichen, den dieser nach eigener Entscheidung und Mitteilung an einer bekannten provinzialen Universität prüfen wird, enthält, im entsprechenden Umfeld mit den beiden Schwerpunkten Verfassungsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart und Grundzüge der europäischen Privatrechtsentwicklung mit besonderer Berücksichtigung des kanonistischen Anteils so eng und sekundärmotiviert erfolgen, dass Studierende dadurch den Weg zur wahren Erkenntnis des eigenen Zustandes nicht wirklich finden können werden.

 

Wo immer ein angemessener Kanon des allgemein für Studierende als notwendig und sinnvoll Anerkannten überschritten oder unterschritten wird, kann das erstrebenswerte Ziel nicht erreicht werden. Dies ist besonders dort leicht der Fall, wo eine sich selbst ergänzende wissenschaftliche Personalauswahl jedes Maß verloren hat. Was könnte beispielsweise wo auch immer in der Welt eine von ausgewiesenen Nachtwächtern, Berufslosen, Sitzengebliebenen, Wundertandlern, Lügnern, Betrügern, Fälschern und Schmierern in Inzucht, Betrug und Korruption geübte Lehre selbst des Rechts bei Studierenden naheliegenderweise anderes bewirken als weitere Inzucht, weiteren Betrug und weitere Korruption?

 

Der vorbeugenden Sicherung hiergegen dient die Öffentlichkeit. Deswegen gebührt den auf dem Markt sichtbaren Büchern der Vorzug vor den Geheimnissen der dunklen Winkel. Zwar bringt das verlegte Buch dem Verfasser unmittelbar geringeren liquiden Ertrag, doch stellt es sich jedenfalls der allgemeinen Kontrolle des Publikums.

 

Mit dieser lobenswerten Zielsetzung bietet Thomas Olechowski in der Hauptstadt Wien seit 1999, zunächst mit Karin Hrdlicka, jetzt allein in bester Absicht das Werk Rechtsgeschichte – Materialien und Übersichten – als Behelf für Studierende der Rechtswissenschaften zur Vorbereitung auf die Diplomprüfung aus Rechtsgeschichte im ersten Studienabschnitt des Rechtsstudiums in Österreich sowohl zur Unterstützung entsprechender (eigener?) Lehrveranstaltungen als auch zum autodidaktischen Studium, nicht anstelle eines Lehrbuchs, sondern als sinnvolle Ergänzung desselben. Diese Materialien und Übersichten enthalten eine Zeittafel zu dreizehn Epochen von der Völkerwanderung bis zur offiziellen Erklärung der Beendigung des kalten Krieges durch die Vereinigten Staaten von Amerika und die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken am 3. 12. 1989 mit schätzungsweise 800 chronologischen Daten, rund 250 meist ins Deutsche übersetzte rechtsgeschichtliche Quellenbruchstücke von Tacitus bis zum Bundesgesetz Österreichs, mit dem das Bundesvergabegesetz 1997 geändert wird, vom 24. November 2000, die graphisch dargestellten Wahlergebnisse der (21) Nationalratswahlen Österreichs seit 1919, sechs Regententafeln (in Auswahl), die österreichischen Staatsoberhäupter seit 1918, die österreichischen Regierungschefs seit 1848, die europäischen Kommissionspräsidenten, Stammtafeln der Habsburger und einige Literaturhinweise. Dadurch werden offensichtlich aus der Sicht der Studierenden so große Lücken der sonstigen rechtsgeschichtlichen Literatur geschlossen, dass der dadurch eröffnete Weg zur wahren Erkenntnis des eigenen Zustands bereits zum dritten Mal aufgelegt werden kann.

 

Man wird allerdings nicht ausschließen können, dass sich zahlreiche Studierende auf diese Ergänzung beschränken werden, wenn der Verfasser ausdrücklich kundtut, dass in sie verstärkt seine eigenen Prüfungsschwerpunkte eingeflossen sind. Werden sie erkennen können, dass der Haupttitel Rechtsgeschichte nur Blickfang ist und ein solches Buch keine Rechtsgeschichte sein kann? Werden sie verstehen können, dass der einzige Weg zur wahren Erkenntnis des eigenen Zustandes mehr sein muss als eine Aneinanderreihung aufsagbarer Daten, die wo immer auch in der Welt (außerhalb Wiens) in Inzucht, Betrug und Korruption zudem durch eine beschriebene, in der Wirklichkeit irgendeiner aus Mitteln der Allgemeinheit unterhaltenen Universität eigentlich kaum vorstellbare Personalauswahl angeboten und abgefragt werden kann?

 

Losgelöst von diesen umfassenderen Überlegungen ist jede Sammlung von Materialien und Übersichten in jedem Wissensgebiet als solche hilfreich und begrüßenswert, sowenig sie wissenschaftliche Darstellung der jeweiligen Sache sein kann. Vielleicht gelingt Thomas Olechowski auf dieser einfacheren Grundlage auch jene. Ich würde mir dies jedenfalls sehr wünschen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler