Nitschke, Wolf, Adolf Heinrich Graf v. Arnim-Boitzenburg (1803-1868). Eine politische Biographie (= Studien und Texte zur Erforschung des Konservativismus 5). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 462 S.

 

Den Leser dieser von Gerd Heinrich betreuten Dissertation, die neben der Berufstätigkeit als Gymnasiallehrer entstanden ist, wie Nitschke mit verhaltenem Stolz im Vorwort erwähnt, erwartet eine beachtliche Menge an Stoff. Neben einer Einleitung und kurzen Schlußbetrachtungen fünf unterschiedlich umfangreiche Kapitel, insgesamt über 2700 Fußnoten, ein beeindruckendes Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 399-444), eine Zeitleiste vom 10. 04. 1803 bis zum 08. 01. 1868 sowie ein Personen- (S. 448-456) und ein Stichwortverzeichnis (S. 457-462).

 

Die Arbeit ist in der noch jungen, von Caspar von Schrenck-Notzing herausgegebenen Reihe Studien und Texte zur Erforschung des Konservatismus erschienen, über deren Anliegen – eine ernsthafte, um wertfreies Urteil bemühte Konservatismusforschung – und die bisherigen Bände am Ende des Buchs kurz informiert wird.

 

Diese Biographie des Grafen v. Arnim-Boitzenburg soll auch zur Geschichte des Konservativismus einen Beitrag leisten, wobei Nitschke, auf vier Prämissen fußend (S. 21f.), wesentliche Gedanken Kondylis’ Studie über den Konservativismus entnimmt, nicht aber die Vorstellung einer damals homogenen konservativen Partei (S. 23f.). Insoweit unterscheidet der Autor vorhandene Differenzierungen aufgreifend für die Zeit von 1820-1866 zwischen dem am status quo orientierten, von ihm als altkonservativ bezeichneten Flügel (unter der Führung Ernst Ludwig v. Gerlachs), der auf seinen ständischen Rechten auch gegenüber der Krone beharrte und dem staatskonservativen Flügel, anderwärts auch als gouvernementaler, bürokratischer oder aufgeklärter Konservativismus firmierend, der für eine starke monarchische Exekutive eintrat (S. 26ff.; dort auch Hinweise zu den konservativen Katholiken, zur nationalkonservativen Wochenblattpartei und zu den ab 1855 verstärkt hervortretenden Sozialkonservativen; ferner S. 304, 320f., 347; zur Entwicklung der konservativen Fraktionen S. 332ff.). Im Vordergrund steht die politische Biographie des aus einem der ältesten und vornehmsten kurbrandenburgischen Adelsgeschlechter stammenden Grafen v. Arnim-Boitzenburg, über den der Autor urteilt, er sei weder ein großer Theoretiker noch ein großer Akteur gewesen, wohl aber ein Exponent bedeutsamer Bewegungen und insofern typisch für seine Zeit (S. 12f.). Kernstück soll die Beschreibung der Position des Grafen innerhalb des konservativen Spektrums sein (S. 29), wobei Nitschke sich aus der Verbindung sozial- und politikgeschichtlicher Grundsätze im Medium einer biographischen Darstellung auch einige Erkenntnisse über den märkischen Adel, die preußische Verwaltung und den preußischen Konstitutionalismus erhofft (S. 33). Das theoretische Fundament der Untersuchung bilden die Stichworte Adelsherrschaft, Bürokratie, Konservativismus und Parlamentarismus, die der Verfasser in der Einleitung unter Rückgriff auf vorhandene Literatur etwas näher beleuchtet (S. 14-33).

 

Kapitel I (die Zeit 1803-1840 betreffend) umreißt v. Arnims Herkunft, Ausbildung und Prägung, den Beginn seiner Karriere im Staatsdienst sowie die Grundlagen seines politischen Denkens (S. 35-102). Da die Mutter schon 1805 die Familie verläßt und 1812 der Vater stirbt, wird auf dessen Wunsch der befreundete Freiherr vom Stein Vormund, eine Aufgabe, die dieser sehr ernst nimmt, wie der Autor gut belegen kann. Nitschke charakterisiert das Denken des jungen v. Arnim als eher rationell denn romantisch (S. 62), nüchtern, praktisch orientiert, aber auch wenig kunstsinnig (S. 74, 93), sein späteres Auftreten als weltmännisch, distinguiert, was ihm hohes Ansehen eingebracht habe (S. 75, 90). Eigen sei dem standesbewußten, strengen Aristokraten als Verwaltungsbeamter der Sinn für Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit gewesen (S. 90, 95).

 

Kapitel II (1841-1847) schildert v. Arnims weitere Laufbahn als Oberpräsident in Posen sowie als Innenminister 1842-1845. Gut heraus kommt das Aussichtslose des mutigen Bemühens, unter Friedrich Wilhelm IV. eine eigenständige Politik – durchaus im Interesse der Krone – zu entwickeln, aber auch die Entschlossenheit des Grafen, nach dem dritten Rücktrittsgesuch sich selbst vom König nicht mehr umstimmen zu lassen. Entsprechende Erfahrungen macht Graf v. Arnim auch mit seinen Ratschlägen zum ersten Vereinigten Landtag; Friedrich Wilhelm IV. ignoriert sie ebenso wie auch die anderer. Man hat Ähnliches wie hier über diesen König und von ihm schon öfter gelesen und ist doch immer von neuem berührt, wie hartnäckig er bei aller Sprunghaftigkeit an seiner Vorstellung monarchischer Autorität als gegenrevolutionärem Modell festgehalten hat.

 

Im III. Kapitel (1848-1850) bildet einen Schwerpunkt die Ministerpräsidentschaft des Grafen vom 19. 03. 1848 bis zum 29. 03. 1848 (S. 189-221). Sie ist im Grunde schon am 21. 03. zu Ende anläßlich der Frage, ob der König sich an die Spitze Deutschlands stellen solle, was v. Arnim verneinte, sein mehrheitlich liberales Kabinett hingegen bejahte (S. 213f.). Nach Ablehnung seines Rücktrittgesuchs hält ihn nur das Pflichtgefühl gegenüber dem König im Amt, was – folgenreichste Tat seines Ministeriums – mit den sogenannten Märzverheißungen zum ersten Schritt zur Konstitutionalisierung Preußens führte (S. 216f.). Was dem Grafen versagt blieb, erreicht das nachfolgende Ministerium Camphausen/Hansemann, den zumindest verbalen Verzicht des Königs am 30. 03. 1848 auf die Fortführung einer eigenen Verfassungspolitik. Nach einem kurzen Gastspiel in der deutschen Nationalversammlung (S. 224ff.) und der Ablehnung im September 1848, erneut Ministerpräsident zu werden, engagiert v. Arnim sich wieder durch Unterstützung des Ministeriums Brandenburg nach der Verlegung und Vertagung der Constituierenden Versammlung für Preußen (S. 230f.). Entgegen den Altkonservativen spricht er sich am 02. 04. 1849 für die Annahme der Kaiserkrone durch den preußischen König aus. Beteiligt war v. Arnim auch an den Arbeiten zur Revision der Verfassung von 1849 in der Zweiten Kammer, wo er sich vergeblich für die Erhaltung des Art. 108 als wichtigem Vorrecht der Krone einsetzte, erfolgreich aber dafür, entgegen dem Versprechen vom März 1848, das Heer nicht auf die Verfassung zu vereidigen (S. 241ff.).

 

Kapitel IV. beschreibt das Wirken v. Arnims in der Reaktionszeit (1851-1858). Der Graf hat hier – anläßlich einer Grundsatzdebatte in der Zweiten Kammer am 24./25. Februar 1851 zur Reichweite des Budgetrechts – seinen Auftritt als Begründer der dann im Verfassungskonflikt 1862 so bedeutsam gewordenen Lückentheorie (S. 311ff., 360ff.). Eine weitere umstrittene Steuerreformfrage führte im Frühjahr 1856 zu einem Zerwürfnis der Regierung mit den in Aussicht genommenen Zahlern, den Grundbesitzern, und zwar altkonservativ wie staatskonservativ orientierten, nach Nitschke der Höhe- und Wendepunkt einer ganzen Ära (S. 314 ff., 317). Graf v. Arnim sprach zu den Prinzipien des Budgetrechts – und entschied im Ergebnis nach dem eigenen Interesse (S. 319). Bei den Differenzen innerhalb der konservativen Partei in diesen Jahren schwieg v. Arnim zur Abspaltung der Nationalkonservativen (auch Wochenblattpartei genannt) mangels eines echten Interesses an Außenpolitik (S. 322), während er hinsichtlich der Verfassungsfragen weiterhin staatskonservativ dachte, also das Ministerium v. Manteuffel stützte.

 

Kapitel V. behandelt sodann die Neue Ära und den Verfassungskonflikt (1858-1866), wobei v. Arnim anläßlich eines erneuten Grundsteuerreformentwurfs wiederum eine größere Rolle spielte, sich aber nicht durchsetzen konnte, dafür jedoch bei König Wilhelm I. in Ungnade fiel, weil er hier gegen den ausdrücklichen Willen der Krone opponiert hatte (S. 342ff., 348). Mit dem Tod Friedrich Wilhelms IV. zu Beginn 1861 und den Wahlen am Ende dieses Jahres, die die alten 48er wieder ins Parlament brachten, ging die Neue Ära zu Ende und wurden die Konservativen marginalisiert (S. 356ff.). Im Verfassungskonflikt stellten die Liberalen Regierung und Krone sodann die Machtfrage. Der neu ernannte Ministerpräsident von Bismarck wußte sich der Unterstützung des Königs und des Herrenhauses, insbesondere der Staatskonservativen v. Arnims sicher, für den die Antwort auf die Frage, ob der Schwerpunkt der Macht beim König oder bei der Volksvertretung liegen solle, zeitlebens klar war. Im Krieg gegen Dänemark unterstützte v. Arnim mit dem Herrenhaus die Politik Bismarcks, der das zu nutzen wußte (S. 372ff.). Auch als dieser sich mit Österreich nicht über die künftige Verwaltung Schleswig-Holsteins einigen konnte, stellte der Graf sich letztlich auf die Seite der Regierung (S. 376f.). Im Abschnitt die Krise der Konservativen (1858-1866) faßt Nitschke nochmals die Ereignisse mit Blick auf v. Arnim zusammen (S. 378ff.). 1866 erkrankt der Graf schwer und kehrt nicht mehr in die Politik zurück. In den Schlußbetrachtungen (S. 391-398) bündelt Nitschke die wesentlichen Erträge seiner Arbeit mit Blick auf den Grafen v. Arnim-Boitzenburg.

 

Der Autor hat sein Augenmerk auf einen bisher nicht eingehender untersuchten Akteur der preußischen Geschichte des 19. Jahrhunderts bis 1866 mit langer parlamentarischer Karriere gerichtet und dessen politisches Wirken unter Auswertung des umfangreichen Nachlasses ausführlich dargestellt. Es ist ihm mit großem Fleiß gelungen, den bisherigen Erkenntnissen der Historiographie, den Grafen betreffend, einige Facetten hinzuzufügen.

 

Mainz                                                                                                                  Michael Hettinger