Mertens, Bernd, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen. Theorie und Praxis der Gesetzgebungstechnik aus historisch-vergleichender Sicht (= Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 98). Mohr (Siebeck), Tübingen, 2004. XVI, 549 S.

 

Die Tübinger Habilitationsschrift von Mertens befasst sich mit den seit der Aufklärungzeit entwickelten Theorien zu einer vorteilhaften Abfassung von Gesetzen sowie mit der Gesetzgebungspraxis bei ausgewählten Kodifikationsprojekten. Gegenstand der Untersuchung sind mithin die „methodischen Aspekte der Gesetzesentstehung und die formalen Anforderungen an die Gesetzesgestaltung aus historischer Sicht“ (S. 3). Ein erster Teil geht der Entwicklung des zweckmäßigen Verfahrens zum Abfassen, Bekanntmachen und Verbessern von Gesetzen nach, während der zweite Teil des Werkes die Entwicklung der formalen Anforderungen an den Gesetzesinhalt behandelt. In die Untersuchung werden einbezogen das preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811, das bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das preußische StGB von 1851 (einschließlich dessen langer Vorgeschichte), das StGB für Britisch-Indien von 1860, das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 und das Schweizer Zivilgesetzbuch von 1907. Die Heranziehung der englischen Gesetzgebungstheorie und –praxis insbesondere in Britisch-Indien, erweist sich als eine gute Entscheidung, da sich auf diese Weise die spezifischen Besonderheiten der kontinentalen gegenüber der englischen Gesetzgebungspraxis detaillierter herausarbeiten ließen. Hinzu kommt noch der überragende Einfluss Benthams auf die englische und, wenn auch in abgeschwächter Form, auf die kontinentale Gesetzgebung (hierzu jetzt für Deutschland Steffen Luik, Die Rezeption Jeremy Benthams in der deutschen Rechtswissenschaft, Köln 2003). Der erste Hauptteil des Werkes behandelt in acht Schritten chronologisch die verfahrensmäßigen Schritte der Gesetzesentstehung: Veranlassung zur Gesetzgebung und deren Ausgangspunkt, Vorbereitung neuer Gesetze, Ausarbeitung und Veröffentlichung der Entwürfe, Beratung und Beschlussfassung über die Entwürfe im Parlament, Schlussredaktion, Sanktion und Publikation, Inkrafttreten, Förderung der Gesetzeskenntnis als staatliche Aufgabe sowie Kontrolle, Bereinigung und Revision der Gesetze (S. 17-286). Im ersten Abschnitt stellt der Verfasser das bewahrende dem reformierenden Element der Gesetzgebung gegenüber, das Ende des 18. Jahrhunderts in den Vordergrund tritt. Wenn auch für die großen Kodifikationen das Anknüpfen an das bestehende Recht außer Frage stand, so fehlte auch beim BGB schon bei der 1. Kommission nicht die rechtspolitische Komponente des Auftrags an die BGB-Redaktoren (S. 36). Lediglich der StGB-Entwurf für Indien nahm für sich einen radikalen Neuanfang in Anspruch (S. 39). Während in England eine vorbereitende Tatsachenermittlung durch Enqueten bei größeren Gesetzesprojekten nicht selten stattfanden, kam es auf dem Kontinent nicht zu systematischen, vorbereitenden Tatsachenermittlungen. Die 1. BGB-Kommission benutzte nur für Einzelfragen von den Bundesregierungen angefordertes Tatsachenmaterial. Die Kenntnisnahme und Übernahme von fremden Gesetzen stehen im Zusammenhang mit den vielfältigen Rezeptionsdiskussionen insbesondere über das französische Recht (S. 63 ff.). Die Vorarbeiten zum BGB bedeuteten, „was das Spektrum und den Detaillierungsgrad bei der Berücksichtigung ausländischer Rechtsquellen betrifft, einen zuvor nicht erreichten Höhepunkt“ (S. 77).

 

Während im 18. Jahrhundert die öffentliche Ausschreibung von Entwürfen nicht selten war, bevorzugte das 19. Jahrhundert entweder die Ausarbeitung von Entwürfen durch eine Einzelperson (Redaktor; so für das bayerische StGB und das StGB für Britisch-Indien) oder durch eine Kommission. In der Praxis war auch ein Mischsystem nicht selten (Ausarbeitung von Teilentwürfen durch Einzelpersonen; Beratung durch Kommissionen; so beim BGB). In England waren ständige councils für die Entwurfsarbeit zuständig. Eine wichtige Frage war, ob und inwieweit amtliche Begründungen zu veröffentlichen waren und gegebenenfalls zu welchem Zweck (Auslegungshilfe; Unterrichtung der Gesetzgebungsorgane; Überzeugung der Gesetzesadressaten). Der ALR- und ABGB-Gesetzgeber war gegenüber Motiven der Gesetzesverfasser ablehnend bzw. sehr zurückhaltend. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts setzten sich amtliche Begründungen im Zusammenhang mit den Parlamentsvorlagen durch (nicht selten auch schon bei Referentenentwürfen). Nachdem Carmer 1784 mit der Veröffentlichung von Vorentwürfen begonnen hatte, setzte sich hinsichtlich der Kodifikationsvorhaben im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Bekanntgabe der Entwürfe durch wie beim 1. BGB-Entwurf, der eine Vielzahl von Kritiken hervorrief. Ausführlich geht Mertens der Behandlung der Gesetzentwürfe im Parlament nach, zu der Bentham ausführliche und sehr einflussreiche Vorschläge in seinem Essay „On political tactics“ (1816 in französischer Übersetzung erschienen; S. 167) vorlegte. Wichtig waren in diesem Zusammenhang die Geschäftsordnungen der Parlamente, nach welchen ein Gesetzentwurf in der Regel einer Kommission zur Vorberatung überwiesen wurde. Eine Beschränkung der Plenarverhandlungen auf die Grundsätze konnte sich nicht allgemein durchsetzen. Tatsächlich übten jedoch wie beim BGB der Bundesrat und der Reichstag Zurückhaltung bei Detailregelungen. Seit Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte die Publikation der Gesetze in einem Gesetzblatt (in Frankreich seit 1793, in Bayern seit 1799). Mit der Rückwirkung von Gesetzen setzten sich schon Bacon und Hobbes differenziert auseinander. Aber erst die Französische Revolution fixierte ein Rückwirkungsverbot in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789). Seitdem befassen sich die Kodifikationen mit Fragen der Rückwirkung z. T. sehr detailliert wie das BGB. Nach Meinung von Mertens waren für Feuerbachs Rückwirkungsverbot (bzw. das Postulat nulla poena sine lege) nicht primär rechtsstaatliche Überlegungen (Schutz des Bürgers vor dem Staat), sondern in erster Linie die von ihm vertretene Strafzweck- und Strafgrundtheorie maßgebend (S. 241f.). Die Förderung der Gesetzeskenntnis gehörte noch im 18. Jahrhundert zu den staatlichen Aufgaben (Theorie des doppelten Gesetzbuchs); gegenläufig war die Entwicklung bereits bei Zeiller. Beispielsweise traten die Reichsjustizgesetze von 1877 im Oktober 1879 ohne detaillierte Vorbereitung der Richterschaft und der Öffentlichkeit durch die Ministerialbürokratie in Kraft.

 

Der zweite Hauptteil befasst sich mit der Entwicklung der formalen Anforderungen an den Gesetzesinhalt (S. 287-486). Die Gesetzgebungstheorie des 18. und 19. Jahrhunderts befürwortete eine „an verallgemeinernden Grundsätzen orientierte Regelungstechnik und lehnte eine kasuistische Gesetzgebungstechnik“ ab (S. 288). Auch das ALR kannte verallgemeinernde Grundsätze, die allerdings sehr detailliert ausgebreitet wurden. Für das BGB trat Planck für abstrahierende Regelungen ein, die nach Möglichkeit alle regelungsbedürftigen Fallgestaltungen abdecken sollten, während Huber für das ZGB anschauliche Leitgedanken bevorzugte und auf abstrakte Vollständigkeit verzichtete. Eine Milderung der Abstraktion setzte sich vor allem im Strafrecht durch Einzelfallbeispiele (britisch-indisches StGB) oder durch Anführung von Hauptanwendungsfällen durch. Demgegenüber hielt die englische Gesetzgebungspraxis entsprechend dem Muster des case law an der kasuistischen Regelungstechnik fest (S. 309ff.), schon um der Interpretationstechnik der Gerichte Rechnung zu tragen. Während die Naturrechtskodifikationen noch zahlreiche belehrende und doktrinäre Elemente enthielten, findet sich bereits im bayerischen StGB von 1813 eine klare Abkehr von der Lehrhaftigkeit; auch das britisch-indische StGB verwandte keine bloß begründenden Elemente (S. 220). Für das BGB haben die Vorkommission des Reichsjustizamts und die 2. BGB-Kommission die doktrinären Passagen aus dem 1. BGB-Entwurf rigoros entfernt (S. 324). Den Abschnitt über „Vollständigkeit der Gesetzgebung“ untergliedert Mertens in „Lückenlosigkeit“, „vollständige Kodifizierung des Rechts“ und in „vollständige Erfassung des Regelungsgegenstandes in einem Gesetz“. Die ALR-Gesetzgeber versuchten noch, dem Ideal möglichst lückenloser Gesetzgebung nahe zu kommen (S. 327ff.); demgegenüber gestattete § 7 ABGB dem Richter, bei Gesetzeslücken auf die Analogie zurückzugreifen und notfalls nach „den natürlichen Rechtsgrundsätzen“ zu entscheiden. Auch dem BGB liegt eine deutliche Ablehnung des kasuistischen Konzepts der Lückenlosigkeit zugrunde. Lücken waren mit Hilfe der von der Wissenschaft entwickelten Auslegungsgrundsätze auszufüllen (vgl. noch weitergehend Art. 1 ZGB). Demgegenüber strebte die englische Gesetzgebung größtmögliche Lückenlosigkeit und Präzision an (häufiger Gebrauch von Legaldefinition). Hinsichtlich der Vollständigkeit verzichtete der BGB-Gesetzgeber auf den „aufklärerisch-absolutistischen Anspruch auf Alleinzuständigkeit für die Ausformung der Rechtsordnung“ (S. 343) und verwies für die Ausformung der Rechtsordnung auf die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung. Anders als dem ALR lagen dem ABGB und vor allem dem BGB eine vollständige Erfassung eines Regelungsbereichs fern. Nach den BGB-Redaktoren sollte die Anpassung der Rechtsordnung an veränderte Bedürfnisse vor allem im sozialen Bereich durch eine parallel zum Gesetzbuch erfolgende Spezialgesetzgebung erfolgen (S. 348). Für das Strafrecht ist auf die umfangreichen nebenstrafrechtlichen Regelungen hinzuweisen.

 

Das Bestimmtheitsideal der Aufklärung (Bacon, Bentham) spielte insbesondere im Strafrecht eine dominierende Rolle (vgl. bayr. StGB von 1813). Eine präzise Terminologie diente gleichzeitig dem Rechtssetzungsmonopol des Staates sowie der Rechtssicherung der Bürger. Im BGB überwog zwar das Streben nach umfassender Bestimmtheit; jedoch bedeuteten die Generalklauseln ein breites Einfalltor zur Herstellung von Einzelgerechtigkeit (noch verstärkter Gebrauch von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln im ZGB). Das Postulat der Gemeinverständlichkeit der Gesetze, mit dem sich bereits Bacon, Montesquieu und Bentham beschäftigt haben, diente u. a. dem Schutz des Bürgers vor „Rechtsverdrehungen und arglistigem Ausnutzen rechtlicher Unkenntnis“ (S. 394). Der Topos der leichten Verständlichkeit und Volkstümlichkeit der Gesetze war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts lebendig. Auch das BGB machte Konzessionen an die Forderungen nach Volkstümlichkeit durch den Verzicht auf Fremdworte (Eindeutschung der Fachbegriffe, S. 401 ff.). Jedoch blieb es selbst für den Juristen schwer zugänglich wegen der dem Gesetzbuch zugrunde liegenden sehr ausgefeilten Rechtsdogmatik und wegen jeglicher Vermeidung belehrender Rechtssätze. Das ZGB stellte dann einen Gegenentwurf zu den von Planck 1890 für das BGB entwickelten Thesen dar. Die Forderung nach kurzen Gesetzen wurde schon in den Gesetzgebungstheorien von Svarez, Feuerbach, Zeiller und Bentham relativiert (S. 416ff.). Das BGB erreichte seine vergleichsweise Kürze durch verschiedene gesetzestechnische Instrumente wie inhaltliche Dichte, hohen Abstraktionsgrad, Vermeidung von Wiederholungen und durch eine ausgefeilte Verweisungstechnik; das ZGB verkörperte insoweit wiederum das Gegenmodell (S. 421 f.). Der Abschnitt „Aufbau und Gliederung der Gesetze“ (S. 416 ff.) behandelt den „systematischen und widerspruchsfreien Aufbau“, die „klare äußere Gliederung“, die Präambeln sowie die Frage eines „allgemeinen Teils“ (einschließlich vergleichbarer Abstraktionstechniken). In England setzte sich erst ab 1850 eine äußere Gliederung der Gesetze durch, während Deutschland schon früh eine ausdifferenzierte Gliederungstechnik kannte (im ALR vier verschiedene Gliederungsebenen; durchlaufende Nummerierung erstmals im österreichischen StGB von 1803; Paragraphenabsätze im ABGB und im bayr. StGB von 1813). Ein allgemeiner Teil erschien in den Strafgesetzbüchern früher als in den Zivilrechtskodifikationen (S. 446ff.). Die Diskussion über die Zweckmäßigkeit eines zivilrechtlichen Allgemeinen Teils entstand erst im Zusammenhang mit dem sächsischen BGB und erreichte „im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Wegen, die das deutsche BGB und das schweizerische ZGB in dieser Frage beschritten, ihren Höhepunkt“ (S. 450). Jedoch weist Mertens mit Recht darauf hin, dass man die Unterschiede zwischen der Regelungstechnik des BGB und des ZGB nicht überbewerten sollte, da es eher graduelle Unterschiede seien, die beide Kodifikationen in Fragen der Verallgemeinerung trennten (S. 452). Das ALR und das ABGB verwandten das Instrument der Legaldefinition noch in weitem Umfang (so auch die englische Gesetzgebung im gesamten 19. Jahrhundert). Nach der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertretenen Gesetzgebungstheorie sollte der Gesetzgeber nicht in Konstruktionsfragen eingreifen. Gleichwohl verwendete auch der BGB-Gesetzgeber Legaldefinitionen, wenn es um den Bedeutungsgehalt einer konkreten Anordnung ging (S. 470 f.). Ein Vertragstypus wurde nicht selten, wie in § 433 BGB, mit Umschreibung der sich hieraus ergebenden Hauptpflichten festgelegt, so dass Definition und Anordnung verbunden waren. Hinsichtlich der Verweisungen stand im 19. Jahrhundert die Abkürzungsfunktion im Vordergrund, wobei das BGB auch die „ergebnisoffene“ Verweisung verwendete (z.B. in § 1192 Abs. 1). Demgegenüber machte Huber von der Verweisung und der Fiktion im ZGB nur selten Gebrauch, während die häufigere Verwendung der Technik der Gesetzesfiktion für das BGB durchaus kennzeichnend ist.

 

Der Darstellung von Mertens liegt ein sehr breiter Begriff der „Gesetzgebungskunst“ bzw. der Gesetzgebungstechnik/-methodik zugrunde, so dass nicht nur die formale Seite der Gesetze, sondern auch die ganze Breite des Entstehungsprozesses behandelt wird. Neben den konkreten Gesetzesvorhaben hat der Verfasser auch die reichhaltige Gesetzgebungstheorie (Bacon, Bentham, Globig, Kitka, Mohl, Wächter, Zitelmann) berücksichtigt. Die in der Sekundarliteratur verbreitete Vorstellung, dass die gesetzgebungstheoretische Diskussion mit dem Ende der Aufklärungszeit und dem Vorliegen der großen Kodifikationen dieser Jahre weitgehend versiegt sei, ist nach Mertens nicht zutreffend. Nach den „großen aufklärerischen Visionen von vollständigen und jeden Anwendungszweifel ausschließenden, zugleich aber auch kurzen und klaren, jedermann verständlichen Gesetzen“ traten nach Mertens in den Vordergrund „moderatere, zugleich aber auch konkretere gesetzgebungstechnische Detailfragen, welche außerhalb des legislativen Umfelds weniger Interesse hervorriefen und daher aus späterer Sicht den Eindruck erweckten, man habe es mit einem deutlichen Rückgang oder gar Versiegen der gesetzgebungstheoretischen Diskussion zu tun“ (S. 491). Allerdings fehlte es (in Deutschland bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts) an einer professionellen „Gesetzgebungslehre“ (S. 4 Fn. 3). Vielmehr war im 19. Jahrhundert die Theorie der Gesetzgebungstechnik weitgehend von der Gesetzgebungspraxis abhängig, auf welche die Theorie lediglich reagierte. Hinsichtlich der formalen Gesetzesgestaltung lagen die Diskussionspunkte zur Zeit der Spätaufklärung bei den Themen Kasuistik, Vollständigkeit, Bestimmtheitsstreben, Gemeinverständlichkeit sowie Verringerung von Zahl und Umfang der Gesetze (S. 490). Die gesetzestechnischen Fragen stellten sich – auch dies ein Fazit der Untersuchung – in der Zivil- und der Strafgesetzgebung in gleicher Weise. Letztere nahm im 19. Jahrhundert in Deutschland eine Vorreiterrolle hinsichtlich der möglichst lückenlosen Erfassung der Regelungsmaterie, des Rückwirkungsverbots und der Gesetzessprache ein. Im Gegensatz zum Kontinent kam es in England bereits seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts zu einer „Professionalisierung und Politisierung der Gesetzgebungsarbeit innerhalb und außerhalb des Parlaments“ (S. 501). Aus dem Fehlen des Kodifikationsideals lassen sich auch erhebliche Unterschiede der englischen Gesetzgebungstechnik gegenüber dem deutschsprachigen Raum feststellen (Kasuistik im Hinblick auf die restriktive Interpretation des statute law).

 

Mit dem Werk von Mertens liegt für die Geschichte der Gesetzgebungstechnik für die deutschsprachigen Länder und England ein Kompendium vor, dessen Reichhaltigkeit eine Rezension nur andeuten kann. Aufschlussreich wäre noch die Einbeziehung des Code civil (Code Napoléon), der einflussreichsten Zivilrechtskodifikation im untersuchten Zeitraum, in die Untersuchung gewesen. Die Begründung des Verfassers, dass dies den Rahmen des in einer Einzeluntersuchung verarbeiteten Materials endgültig gesprengt hätte (S. 9f.), vermag nicht ganz zu überzeugen. Für alle der behandelten Kodifikationen kann Mertens bisher nicht oder nur wenig beachtete Aspekte aufzeigen. Die dem ZGB im Vergleich zum BGB zugeschriebenen Vorzüge werden im historischen Vergleich deutlich relativiert. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass das Werk keine zusammenhängende Detailgeschichte der Gesetzgebungstechnik der beschriebenen Kodifikationen darstellt. Die systematische Anlage des Werkes führt dazu, dass der Leser die gesetzgebungstechnischen Besonderheiten der einzelnen Kodifikationen in ihrer Gesamtheit sich erschließen muss, was anhand des Personen- und Sachregisters unschwer möglich ist. Kritisch ist allerdings anzumerken, dass eine detaillierte Gesamtkennzeichnung der Entwicklung der Gesetzgebungstechnik für den deutschsprachigen Raum fehlt. Das Aufzeigen der „Entwicklungslinien“ (S. 486ff.) dürfte insoweit nicht ausreichen, da hiermit die Veränderungen bzw. die Fortschritte, die etwa das BGB und mit ihm die übrige Reichsgesetzgebung (vgl. etwa das GmbH-Gesetz von 1892) brachte, nicht voll erfasst werden. Insgesamt stellt die Schrift von Mertens ein sehr angenehm zu lesendes Werk dar, das für die neuere Gesetzgebungsgeschichte über die inhaltliche Seite hinaus, die bisher im Vordergrund stand, den Blick auf die methodischen Aspekte der Gesetzesgestaltung neu eröffnet und schärft.

 

Kiel

Werner Schubert