Lüpkes, Heiko, Die Verbrechen der Diener des Staats im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 und ihre Entwicklung zu den Vergehen und Verbrechen im Amte im Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten von 1851 (= Rechtshistorische Reihe 287). Lang, Frankfurt am Main 2004. 238 S.

 

Während sowohl für die Zeit bis zur Kodifizierung der landrechtlichen Amtsdelikte als auch für das Recht der Kompetenzkonflikte (seit 1854) umfangreiche Untersuchungen vorliegen, sind bisher die Entstehung der landrechtlichen Amtsdeliktstatbestände, die Reformarbeiten der Gesetzesrevision für dieses Rechtsgebiet (1826-1848) sowie die Amtsdelikte des preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 noch nicht monographisch erschlossen worden. Gleiches gilt für die Herausbildung eines vom Strafverfahren unabhängigen Disziplinarverfahrens, eine Thematik, die im Titel des Werkes nur unvollständig zum Ausdruck gekommen ist. Lüpkes, der mit seinem Werk diese Lücke schließt, gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Amtsdelikte bis zum StGB von 1851; anschließend behandelt er die allgemeinen Grundlagen der Amtsdelikte und kommt dann im dritten Teil zu den einzelnen Tatbeständen der Pflichtverletzungen. Mit Recht geht der Verfasser bereits im ersten Teil auf das römische und gemeine Amtsträger- bzw. Beamtenstrafrecht ein, das Ausgangspunkt des landrechtlichen Abschnitts „Von den Verbrechen der Diener des Staats“ (II 20 §§ 323-504) war. Die Kodifikatoren des Allgemeinen Landrechts stellten erstmals ein umfassendes Sonderstrafrecht der Beamten auf, das sämtliche Pflichtverletzungen als Verletzungen der besonderen Beamtentreue inner- und außerhalb des Dienstes in einer einheitlichen Tatbestandsgruppe, die an die persönliche Eigenschaft der Täter anknüpfte, zusammenfasste (vgl. S. 36). Neben den Straftatbeständen für besonders wichtige, bereits im gemeinen Strafrecht bekannte Pflichtverletzungen enthielt das ALR auch Generalklauseln, die auf das Innominatdelikt zurückgingen. Umfassende Vorschläge zu den landrechtlichen Deliktstatbeständen stellte der Gesetzrevisor Bode, die Gesetzrevisionskommission und Kamptz zwischen 1828 und 1837 im Rahmen der Strafrechtsrevision auf. Sie wurden anschließend von einer Staatsratskommission und vom Staatsrat (1839-1842) eingehend beraten, den Provinziallandtagen 1843 vorgelegt, 1845-1847 erneut überarbeitet und 1847/1848 in einem Ausschuss des Vereinigten Landtags behandelt. Nach der von Bode bereits festgelegten Zielsetzung sollten nur die schwersten Pflichtwidrigkeiten bestraft werden, die übrigen lediglich disziplinarisch geahndet werden, eine Linie, der auch das StGB von 1851 verpflichtet war.

 

Die ersten materiellrechtlichen Grundlagen des späteren Disziplinarrechts, nämlich Generalklausel und besondere Maßstäbe für die Bewertung dienstlichen und außerdienstlichen Verhaltens der Beamten, waren bereits im Abschnitt über die landrechtlichen Amtsdelikten enthalten (vgl. S. 204). Die Kodifikatoren des Landrechts hatten nicht durchsetzen können, dass ein Beamter nur durch eine richterliche Entscheidung entlassen werden konnte. Allerdings konnte ein Beamter nur durch den Staatsrat (bis 1817 mit dem Staatsministerium personengleich; S. 81) entlassen werden. Festgeschrieben wurde im ALR (II 1 § 99) lediglich, dass ein Richter nur in einem gerichtlichen Verfahren abgesetzt werden konnte. Eine VO von 1808 machte entsprechend Art. 75 der Konsulatsverfassung von 1799 (Grundsatz der garantie des fonctionnaires publics) die Strafverfolgung eines Beamten von einem Antrag der Exekutive abhängig. Seit 1826 war auch eine Zwangspensionierung auf administrativem Wege zulässig. Schließlich war nach einem Reskript von 1828 die administrative Entlassung auch dann zulässig, wenn ein Gericht den Angeklagten im Strafverfahren vorläufig freigesprochen oder eine geringere Strafe als die Amtsentfernung ausgesprochen hatte (vgl. S. 97 f.). Nach den Disziplinargesetzen von 1844 (zur Entstehung vgl. die Quellen bei Schubert/Regge, Gesetzrevision, Bd. 11, Vaduz 1991, S. XXXIIff., 1059ff.) war das Disziplinarverfahren noch nicht vollkommen selbstständig gegenüber dem Strafprozess: „Es blieb bei der Regel, dass ein Disziplinarverfahren nach einem Strafverfahren stattfinden durfte, wenn im Strafverfahren die Tatsachen festgestellt wurden, die den Amtsverlust als Kriminalstrafe nicht erlauben. Außerdem durfte ein Disziplinarverfahren im Anschluss an ein Strafverfahren stattfinden, wenn der Beamte ein Amtsverbrechen und ein Dienstvergehen begangen hat, aber im Strafverfahren nicht entlassen wurde“ (S. 104). Die liberale Öffentlichkeit, allen voran der Breslauer Stadtgerichtsrat Heinrich August Simon, sah in der Möglichkeit einer unfreiwilligen Verletzung und der Pensionierung von Richtern ohne richterliches Verfahren einen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit. Bereits im Juli 1848 ergingen im Notverordnungsweg zwei Verordnungen über das Disziplinarverfahren der nichtrichterlichen Beamten und der Richter (Revision 1851/52), welch letztere nur aufgrund eines Richterspruchs ihr Amt verlieren konnten. Das Disziplinarverfahren trat neben das Strafverfahren: „Ein Amtsverbrechen war eine Straftat und zugleich ein Dienstvergehen, das ein Disziplinarverfahren nach sich zog. Disziplinarverfahren und Strafverfahren wurden nicht mehr alternativ durchgeführt, sondern wenn ein Straftatbestand verwirklicht wurde, kumulativ“ (S. 108). Hinzu kam allerdings noch, dass seit 1854 die Strafverfahren gegen nichtrichterliche Beamte, wenn die vorgesetzte Behörde ein Gerichtsverfahren verhindern wollte, von einer Entscheidung des 1847 begründeten Kompetenzgerichtshofs abhängig war. – Der zweite Teil des Werks befasst sich u. a. mit dem Kreis der strafbaren Personen (Beamtenbegriff) und mit der Konnivenz. Teilnehmer konnten mit der Kodifizierung des akzessorischen Standpunkts in § 331 Abs. 2 des StGB von 1851 bestraft werden (S. 54ff.). Im Abschnitt über die Beamtenstrafen behandelt Lüpkes die Degradation, die Suspension und den Amtsverlust. Der letzte Hauptteil der Arbeit befasst sich mit den einzelnen Pflichtverletzungen (Amtserschleichung/Amtsanmaßung, Bestechung, Kassendelikte, Rechtspflegedelikte und Sonderdelikte der Geistlichen und Lehrer) jeweils im ALR und in der Gesetzrevision (bis zum StGB von 1851). Waren die landrechtlichen Amtsdelikte noch weitgehend ein Abbild der gemeinrechtlichen Tatbestände, so wurden in der Strafrechtsreform nur noch die Tatbestände ausführlich behandelt, die weiterhin Straftatbestände bleiben sollten. Beispielsweise wurden die landrechtlichen Generalklauseln in der Gesetzrevision zum Tatbestand der Rechtsbeugung und zu weiteren Strafrechtspflegedelikten entwickelt. Das StGB von 1851 enthielt keine Sonderstrafandrohungen für Beamte (wie Entlassung aus dem Amt) mehr. Vielmehr konnte lediglich die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter ausgesprochen werden.

 

Das Werk von Lüpkes ist angesichts der Fülle des Quellenmaterials außerordentlich knapp geschrieben; einiges kommt etwas zu kurz, wie etwa die Disziplinargesetzgebung von 1844 und eventuelle französischrechtliche Einflüsse. Die detaillierte Gliederung des Werks, die sich dem Leser nur mit Mühe eröffnet, erschwert die Lesbarkeit und die Übersicht. Insgesamt erschließt das Werk erstmals anhand der unveröffentlichten Quellen und der erst kürzlich publizierten Materialien zur Gesetzrevision die materiellrechtlichen Grundlagen der Amtsdelikte und der disziplinarrechtlichen Generalklausel und stellt insoweit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des bis heute weiter wirkenden preußischen Beamtenrechts dar.

 

Kiel

Werner Schubert