Levack, Brian P., Hexenjagd. Die Geschichte der Hexenverfolgungen in Europa, 2. Aufl. Beck, München 1999. 295 S.

 

Die Geschichtsschreibung der Hexenprozesse ist in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche regionale Untersuchungen bereichert worden. Der Versuch einer Gesamtdarstellung wurde jedoch bisher nur selten unternommen, und das inzwischen zur Einführungslektüre für Proseminare und Seminare gewordene Buch Gerhard Schormanns beschränkt sich auf die deutschen Länder. Das Buch Levacks, das 1999 bereits in zweiter Auflage und 2003 in dritter Auflage vorgelegt wurde, schließt eine Lücke im Angebot, weil es das Hexenthema als Gesamtphänomen darstellt, und zwar mit drei Besonderheiten. Erstens wird die Hexenverfolgung im gesamten europäischen Raum und nicht nur in Deutschland dargestellt, was die regionalen Unterschiede noch mehr hervorhebt. Zweitens fokussiert Levack die Darstellung schon von der ersten Seite an ganz auf die Frage, wie sich das Phänomen der Hexenjagd erklären läßt. Drittens schließlich verarbeitet er überwiegend englischsprachige Literatur, so daß er eine hilfreiche Ergänzung zu den deutschsprachigen Untersuchungen bietet. Der Levack hat damit alles, um ein wichtiges Einführungs- und Nachschlagewerk zur Geschichte der Hexenverfolgung zu werden. Wünschenswert wäre dazu in einer späteren Auflage die Beifügung eines Sachregisters.

 

Mit dem Titel des Buches stellt Levack die These auf, daß die Hexenverfolgung sich als gesamteuropäisches Phänomen darstellen und erklären lasse. Schon die einführenden Kapitel, erst recht aber die chronologisch-regionale Übersicht (S. 176ff) lassen jedoch daran zweifeln, ob man statt von „der Hexenjagd“ nicht besser von „den Hexenjagden“ sprechen sollte. Auch Levack kommt zu dem Ergebnis, daß „Hexenjagden außerordentlich vielschichtige historische Phänomene“ sind, „die nur aus einer Interaktion philosophischer, gesetzlicher und psychologischer Tendenzen zu erklären sind“ und „daß man von einer typischen Hexenjagd nicht sprechen kann“ (S. 175). Später zweifelt er sogar daran, „ob es tatsächlich einen allgemeinen europäischen Hexenwahn gegeben hat“ (S. 215).

 

Die gesamteuropäische Deutung wird in erster Linie dadurch erschwert, daß es, wie Levack nicht einen Moment außer Acht läßt, zwei unterschiedliche Modelle von Hexerei gegeben hat, die aus unterschiedlichen Wurzeln stammen und auch sehr unterschiedlich verfolgt wurden. Das erste, vor allem in der Anfangsphase der Verfolgungen und später beispielsweise in England virulente Modell war der Schadenszauber (maleficium). Die Angst vor Hexen, die durch Zauberkünste etwa Stürme oder Mißernten hervorrufen könnten, ging keinesfalls nur auf Wahnvorstellungen zurück, sondern hatte in manchen magischen Praktiken der frühen Neuzeit einen realen Kern; diese Angst war vor allem unter einfachen Leuten sehr verbreitet und kennzeichnet die Verfolgungswellen, die „von unten“ angestrengt wurden. Das zweite, davon zunächst unabhängige Modell war der Satanskult, den vor allem gebildete Kreise von Theologen, Philosophen und Juristen in ihren dämenologischen Schriften verbreiteten und der vor allem bei obrigkeitlich initiierten Verfolgungswellen zum Zuge kam. Diese Vorstellung wirkte sich hauptsächlich in den Grenzen des Heiligen Römischen Reichs, der Schweiz und Teilen Frankreichs aus (S. 14ff). An der Rezeption von Hexensabatt und Hexenflug liegt es vor allem, daß in Deutschland, wie man heute annimmt, bis zu drei Viertel aller Hexenprozesse geführt wurden, während auf die Schweiz immerhin ein Sechstel entfällt. Was die Gesamtzahl der Verfahren betrifft, korrigiert Levack diese gegenüber früheren Publikationen stark nach unten. Er geht von ca. 110.000 Verfahren aus, von denen ca. 60.000 mit der Hinrichtung endeten (S. 34f). Gloger und Zöllner sprachen 1983 noch von „vielleicht mehreren Millionen“ (wobei sie die Ketzerei einbezogen).[1]

 

Trotz der enormen regionalen Unterschiede geht man sicher nicht fehl, wenn man mit Levack die Gemeinsamkeit der „Hexenjagden“ in gewissen geistigen und rechtlichen Rahmenbedingungen sucht, die in der frühen Neuzeit in ganz Europa gegeben waren. Dazu gehört zum einen die Herausbildung eines „kumulativen Konzepts“ von Hexerei, das sich in den Köpfen der Leute als Klischee verankern konnte, ohne daß man dazu übrigens die Realität einer „Hexensekte“ behaupten müßte (S. 37ff), zum anderen die Änderung des Prozeßrechts vom Akkusations- zum Inquisitionsverfahren, dessen rechtliche Garantien, wie die Möglichkeit der Verteidigung, die Einschränkung des Folterbeweises und die Zulassung der Appellation, bei Aufkommen der Hexenprozesse vielfach aufgegeben wurden (S. 75ff). Gegen das immer noch bestehende Vorurteil, die Hexenverfolgung sei vornehmlich eine Angelegenheit der Kirche gewesen, betont Levack, daß die Mehrzahl der Fälle vor weltlichen Gerichten verhandelt wurden. Nachdem die kirchlichen Gericht im 16. Jahrhundert an Gewicht verloren hatten, war der Staat der einzige Garant für die moralische Homogenität der Gesellschaft. Auf die Intensität der Verfolgungen wirkte es sich offenbar aus, wenn die lokalen Instanzen relativ unkontrolliert von der Zentralgewalt agieren konnten.

 

Völlig zu Recht und im Einklang mit der neueren Literatur[2] betont Levack als Voraussetzung der Hexenjagden die außerordentliche kollektive Angst vor dem Teufel, die sich mit der Reformation erheblich verstärkte (S. 105ff). Nur aus einer geradezu panischen Angst in der Bevölkerung (einschließlich der Oberschicht!) ist zu erklären, warum man „Hexen“ mit solcher Vehemenz verfolgte und dabei rechtliche Garantien über Bord warf. In diesem Zusammenhang glaubt Levack auch an die „Sündenbockthese“, wonach die gesteigerten moralischen Anforderungen der Reformationszeit zu Schuldgefühlen in der Bevölkerung geführt hätten, die man auf die Hexen als „Sündenböcke“ projiziert habe (S. 108ff).

 

Zu einseitig erscheint allerdings Levacks Ansicht, die „Scholastik“ habe den „Hexenwahn“ begünstigt, während der „Humanismus“ ihm skeptisch gegenüber gestanden habe (S. 67ff). Diese These übersieht, daß die „Scholastik“ der frühen Neuzeit dem „Humanismus“ durchaus aufgeschlossen gegenüberstand und eine eindeutige Einordnung bei vielen Autoren gar nicht möglich ist. In den Ländern, in denen die „Spätscholastik“ noch im 16. Jahrhundert eine Blüte erlebte, nämlich in Spanien und Italien, wurde zudem der für die Massenverfolgungen wichtigste Teil des kumulativen Hexenkonzepts, nämlich die Ansicht, daß Hexensabatt und Hexenflug reale Begebenheiten seien, gerade nicht anerkannt.[3]

 

Das schmälert jedoch nicht das Verdienst des Autors, der durch seine ursachenbezogene Fragestellung dem Leser einen facettenreichen und ausgewogenen Überblick über mögliche Hintergründe der Hexenverfolgungen in Europa bietet.

 

Basel                                                                                                             Harald Maihold



[1] Bruno Gloger, Walter Zöllner, Teufelsglaube und Hexenwahn, Leipzig 1983, Zürich 1985.

[2] Vgl. Günter Jerouschek, Forschungsbericht: Hexenverfolgungen, in: ZStW 111 (1999), S. 504-517.

[3] Die Zurückhaltung dieser Länder bei der Hexenverfolgung wird durch die neueste Forschung im 1998 geöffneten Geheimarchiv der Glaubenskongregation des Vatikans bestätigt. Dazu Rainer Decker, Die Päpste und die Hexen, Darmstadt 2003, dazu meine Rezension, ZRG Germ. Abt. 122 (2005).