Lehmann, Jochen, Sachherrschaft und Sozialbindung? Ein Beitrag zu Gegenwart und Geschichte des zivilrechtlichen Eigentumsbegriffs (= Schriften zum bürgerlichen Recht 284). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 353 S.

 

1. In seinem ersten Teil (23-132) untersucht Lehmann den „Eigentumsbegriff des geltenden Zivilrechts“. Er legt dar, dass sich der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs bewusst einer Definition des Eigentums enthalten und lediglich eine Inhaltsbestimmung hat treffen wollen (31); er lehnt daher die Auffassung etwa von Sontis ab, der in § 903 S. 1 BGB[1] eine Legaldefinition erblickt (40, 44). Die Trennung von (unbeschränktem) Begriff und (beschränkbarem) Inhalt des Eigentums sei für das BGB prägend. Er tritt für die herrschende Meinung ein, die im Eigentum das umfassendste Recht an körperlichen Sachen sieht; nur diese Ansicht sei auch diejenige des Gesetzgebers gewesen (50). Die anderen Auffassungen, die zum Eigentumsbegriff vertreten werden, lehnt Lehmann als mit der Konzeption des BGB unvereinbar ab, wie das Eigentum als Ausschließungsrecht (Schloßmann), als Letztentscheidungsbefugnis (Schmidt-Rimpler), als Rechtsverhältnis (Blomeyer, Larenz, Georgiades) oder als Zuordnung (Westermann). Der herrschende Eigentumsbegriff habe die Funktion, dem Eigentümer ein subjektives Recht zuzuordnen, das dieser für seine eigenen Interessen verwerten könne und so die Herrschaft der Privatautonomie sichere; die zweite Funktion bestehe darin, die Einteilung unserer Sachenrechtsordnung in ein umfassendes Recht und beschränkte dingliche Rechte zu ermöglichen (90). Die drei Begriffe Totalität, Abstraktheit und Absolutheit kennzeichneten diesen Eigentumsbegriff; nicht auf derselben Stufe wie diese Begriffe stehe hingegen die sog. Elastizität des Eigentums, also seine Fähigkeit, nach Wegfall der dinglichen Belastung wieder zur umfassenden Berechtigung zu erstarken (91f.). Abschließend stellt Lehmann fest, dass der Eigentumsbegriff im 20. Jahrhundert keine Wandlung erfahren habe und noch der gleiche sei wie der des BGB-Gesetzgebers (113, 116, 120).

 

Lehmann ist in der Ablehnung der Ansichten, welche das Eigentum als Rechtsverhältnis oder als Zuordnung und nicht als subjektives Recht begreifen, beizupflichten, weil sie in der Tat die Pflichten oder Lasten, die das Eigentum mit sich bringt, schon auf die Ebene seiner begrifflichen Erfassung heben und nicht erst als beschränkende Inhaltsbestimmung ansehen und so den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff mit dem verfassungsrechtlichen des Art. 14 GG vermengen (69). In diesen Ansichten lebt letztlich namentlich Otto von Gierkes Auffassung fort, der dem kodifizierten romanistischen, individualistischen und unsozialen Eigentumsbegriff einen „deutschen“ und sozialen entgegensetzte (121f.), was Lehmann ausführlicher in seinem dritten Teil erläutert.

 

Das Verhältnis von Eigentumsbegriff und Eigentumsbeschränkungen versuchen die sog. Außen-, Immanenz- und Trennungstheorie zu beschreiben (92ff.). Zu Recht macht Lehmann deutlich, dass unter der Immanenzlehre jeder Autor etwas anderes verstehe (102), weshalb die echte von der unechten Immanenztheorie zu scheiden sei. So unterschieden, unterscheide sich die richtige unechte Immanenzlehre von der von Johow favorisierten Trennungslehre jedoch nur terminologisch (107). Zutreffend diagnostiziert Lehmann daher einen „fruchtlosen Streit um Worte“ (108), was wohl für weite Passagen des ersten Teils überhaupt gilt.

 

Ein Exkurs zur „Herkunft der Beschränkung des Eigentums auf körperliche Sachen“ beschließt den ersten Teil (123-132). Ohne eigenständige Quellenarbeit und gestützt auf das bereits existierende Schrifttum, vor allem Coing[2], legt Lehmann dar (124), dass Bartolus als erster das dominium im weiteren Sinne verstanden habe (et potest appellari largissime pro omni iure incorporali: ut habeo dominium obligationis ut puta ususfructus), sich aber unter dem Einfluss der die Leistung der Postglossatoren geringschätzenden historischen Schule sowie Kants der enge, nur auf körperliche Sachen bezogene Eigentumsbegriff des BGB durchgesetzt habe (129f.).

 

2. Der zweite Teil der Arbeit ist der „Entwicklung des durch die Sachherrschaft des Eigentümers gekennzeichneten Eigentumsbegriffes im 19. Jahrhundert“ gewidmet (133-213). Unter Hinweis auf die Forschungen Simshäusers[3] weist Lehmann kurz und zutreffend die Gegensatzbildung: römischer und individualistischer Eigentumsbegriff – deutscher und sozialer Eigentumsbegriff als quellenmäßig nicht belegbare und sachlich falsche Erfindung des 19. Jahrhunderts zurück (133-135).

 

Die Durchsetzung des heutigen Eigentumsbegriffs sei Hand in Hand gegangen mit der Verwerfung der Idee des geteilten Eigentums (138). Diese – richtige – Einschätzung nimmt Lehmann zum Anlass, auf etwa 30 Seiten die Geschichte des geteilten Eigentums seit den Glossatoren darzulegen. Man sieht freilich nicht recht, warum dies in solcher Breite in einer auf das 19. und 20. Jahrhundert konzentrierten Untersuchung geschieht, zumal Lehmann nicht aus den Quellen heraus arbeitet, sondern sich auf die zahlreichen Voruntersuchungen stützt und es ihm ersichtlich nur auf das – unbestrittene – Ergebnis dieser Entwicklung ankommt. Im Naturrecht ist der Gedanke eines „wahren“, also ursprünglich ungeteilten Eigentums aufgekommen (152), ALR und ABGB haben gleichwohl das geteilte Eigentum, das (noch) die Rechtswirklichkeit prägte, kodifiziert, obwohl es bereits im Entwurf Horten hatte abgeschafft werden sollen. Das mag das Ergebnis der durch die französische Revolution geschürten Ängste gewesen sein. Die in den beiden Kodifikationen verankerte Vermutung für das ungeteilte Eigentum wird als Ausdruck des naturrechtlichen Einflusses angesehen (162f.). Damit war der Sache nach bereits die Trennung von (ursprünglich unbeschränktem) Eigentumsbegriff und inhaltlich möglicher Beschränkung vollzogen: Die Einräumung noch so weitgehender Rechte war nicht mehr Ausdruck der Spaltung des Eigentums, sondern musste als Begründung von Rechten an einer fremden Sache erscheinen (164).

 

Der heutige Eigentumsbegriff hatte sich in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts maßgeblich aufgrund der Schrift Thibauts „Über dominium directum und utile“ von 1801 durchgesetzt (168). Lehmann zeigt plausibel auf, dass Thibauts Schrift naturrechtlich beeinflusst war (177), aber sowohl zeitlich wie sachlich unabhängig von der Bauernbefreiung (167, 181f.): Während die römische Rechtslehre den Obereigentümer als Eigentümer angesehen hat, machte die Bauernbefreiung den Untereigentümer zum Eigentümer. Das erste Gesetzbuch, welches den neuen Eigentumsbegriff kodifiziert habe, sei das sächsische gewesen (§ 226). Letztlich sei er Produkt liberalen Denkens, zumindest insofern über Savigny die Ideen Kants als des Wegbereiters liberalen Gedankenguts rezipiert worden seien (205, 209). Abschließend stellt Lehmann fest (211), dass der neue Eigentumsbegriff ebenso wie der abgelöste alte, vom geteilten Eigentum ausgehende auf Bartolus zurückzuführen sei (dominium est ius de re corporali perfecte disponendi, nisi lex prohibeat).

 

3. Der dritte Teil handelt von der „Entwicklung des deutschen Eigentumsbegriffs“ (214-321), welcher auf unsere Rechtsordnung ohne Einfluss geblieben ist (221). Lehmann schildert ausführlich die Lehre Otto v. Gierkes, die er insbesondere in seinem „Deutschen Privatrecht“ 1895/1905 darlegte und wonach die Beschränkungen des Eigentums, zumal des Grundeigentums, diesem wesensimmanent seien und nicht nur seinen Inhalt bestimmten. Gierke habe seinen „Beweis“ mittels Projektionen seiner eigenen Vorstellungen in die mittelalterlichen, vor der Rezeption des römischen Rechts geführt und an entscheidender Stelle Quellenangaben vermissen lassen (216f., 226). Gerade in seiner Wiener Rede über „Die soziale Aufgabe des Privatrechts“ (1889) habe Gierke den Gegensatz zum unsozialen römischen Recht besonders scharf herausgestellt (225). Die soziale Ausrichtung müsse mit einem „sozialen, pflichtgebundenen und deutschen Eigentumsbegriff“ gesichert werden (230); nur das geteilte Eigentum sei seinem Wesen nach deutsch.

 

In einem nächsten Abschnitt sondiert Lehmann die Einflüsse auf Gierke. Wichtig waren Albrechts Monographie über die Gewere von 1828 (232), sein Lehrer Beseler, der die Rezeption des römischen Rechts als nationales Unglück empfunden hatte (238), das Erwachen des Nationalgeists, welches zum Studium des eigenen „vaterländischen“ Rechts anhielt (244), und insbesondere der Nationalökonom Adolph Wagner, der eine „socialrechtlich haltbare Eigentumslehre“ hatte entwerfen wollen und mit dem Gierke im „Verein für Socialpolitik“ verbunden war (273). Einen unmittelbaren Einfluss Schmidt von Ilmenaus auf Gierke, der in seiner Schrift „Der prinzipielle Unterschied zwischen römischem und germanischem Recht“ (1853) von einem sittlich gebundenen deutschen Eigentumsbegriff ausging, leugnet Lehmann (249ff.). Insgesamt kommt Lehmann jedoch zu dem zutreffenden Schluss, dass Gierke bei der Formulierung seines sozialen Eigentumsbegriffs kein Neuland betreten hatte (272).

 

Der Einfluss Gierkes auf das BGB blieb (auch) in dieser Frage gering. Von der kosmetischen Änderung abgesehen, dass der Gesetzgeber auf seine Kritik hin im Vorläufer des § 903 BGB statt von der „Willkür“ des Eigentümers nun von seinem „Belieben“ sprach und das Schikaneverbot des § 226 BGB aufnahm[4], hat sich Gierkes Auffassung nicht durchgesetzt. Allenfalls kann man im verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff der Art. 153 WRV und später in Art. 14 GG mit ihrer Betonung der Pflichtbindung des Eigentümers ein Nachwirken seiner Lehren sehen (283, 298). Mit Klippel nimmt Lehmann einen „Kontinuitätszusammenhang“ zwischen Gierke und, vermittelt über Spengler, Eichler und Hedemann, den Bestrebungen einer Neuordnung des Eigentums- und insbesondere des Bodenrechts im Nationalsozialismus an (289). Die Ablehnung des römischen Rechts und des auf dieses zurückzuführenden Eigentumsbegriffs des BGB ging mit der Betonung der Pflichten des Eigentümers gegenüber der Volksgemeinschaft einher (292). Es fehlt nicht der Hinweis darauf, dass Hans-Jochen Vogel 1972/73 die Idee des geteilten Eigentums wiederbeleben und bei einer Neuordnung des Bodenrechts ein Verfügungseigentum von einem Nutzungseigentum unterscheiden wollte (300). Der germanische Eigentumsbegriff eignete sich also nicht nur auf der rechten, sondern auch auf der linken Seite als Waffe im rechtspolitischen Kampf gegen das Individualeigentum. Diese Parallelität stellt Lehmann gebührend heraus (303).

 

Abschließend untersucht Lehmann, ob sich in verschiedenen geltendrechtlichen Instituten die Lehre vom geteilten Eigentum wiederfindet. Zutreffend, freilich mit recht kursorischer Begründung, verneint er dies für das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers (304f.), das Recht des Eigentümers an der eigenen Sache (306f.), das Sicherungseigentum (312ff.) sowie für die Wohnraummiete (315f.).

 

4. Ein „Schlußwort“ (319-321) fasst die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammen, dieses Mal in der chronologischen Reihenfolge, beginnend mit Bartolus. Während die Begriffsbestimmung des Bartolus, die sehr an § 903 BGB erinnert, noch in die komplexe mittelalterliche Rechts- und Sozialordnung eingebunden gewesen sei und die Entwicklung der Idee des geteilten Eigentums dem heutigen Begriff, der vom Eigentum als Vollrecht ausgehe, diametral entgegenstehe, habe das Naturrecht erstmalig Ansätze erkennen lassen, wonach das ungeteilte Eigentum als ursprünglich und daher logisch vorrangig behandelt worden sei; auch hier habe diese Eigentumsidee jedoch neben einer umfassenden Pflichtenlehre gestanden. Erst Thibaut und die historische Rechtsschule hätten sodann unter Kants Einfluss unseren heutigen Begriff und damit die strikte Trennung von Eigentumsbegriff und Eigentumsinhalt gefunden. Der Eigentumsbegriff habe sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gewandelt.

 

5. Die Arbeit hinterlässt einen ambivalenten Eindruck: Die Sprache ist flüssig, der Stil angenehm, wenn man von der gehäuften Verwendung des inexistenten und unsinnigen, aber wohl modernen Worts „Begrifflichkeit“ einmal ab-, über die mittlerweile allzuoft anzutreffende, aber in einer rechtshistorischen Arbeit ärgerliche Falschschreibung Andreas v. Tuhrs (199, 304) hinweg- und das falsche Genus von Topos (214) übersieht.

 

Das Hauptergebnis der Untersuchung ist keinesfalls überraschend; dass es keine Wandlung des Eigentumsbegriffs gegeben habe, wurde schon andernorts festgestellt[5]. Auch die vielen anderen meist überzeugenden Einzelergebnisse sind in aller Regel keine Neuentdeckungen, zumeist konnte der Verfasser auf bestehendes Schrifttum zurückgreifen, welches er freilich umfassend ausgewertet hat. Die Abfolge der Kapitel erscheint auch keineswegs glücklich. Der wenig fruchtbare erste Teil hätte m. E. viel besser am Schluss gestanden; das hätte dem Leser nicht nur Vorgriffe auf spätere Ausführungen, etwa bezüglich Gierkes, sondern auch nicht wenige Wiederholungen erspart. Ohnehin ist Lehmanns Vorliebe, wohlbekannte Entwicklungen wie etwa diejenige der historischen Rechtsschule (236ff.) auszubreiten, eher ermüdend; man hätte sie ohne weiteres voraussetzen können. Wer sich rasch über die zum Eigentumsbegriff in Geschichte und Gegenwart vertretenen Auffassungen informieren möchte, dem kann das gut über ein „Sach- und Personenverzeichnis“ und viele „Ergebnisse“ und „Zusammenfassungen“ erschlossene Buch dennoch empfohlen werden.

 

Trier                                                                                                              Thomas Finkenauer

 



[1] „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“

[2] Coing, Helmut, Zur Eigentumslehre des Bartolus, in: ZRG Rom. Abt. 70 (1953), 348ff.

[3] Sozialbindungen des spätrepublikanisch-klassischen römischen Privateigentums, in: Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, München 1982, 329ff.

[4] Dazu nun Haferkamp, in: Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band I: AT 2003, §§ 226-231, Rn. 13f.

[5] Vgl. nur Wieling, Hans, Sachenrecht I, Berlin 1990, 262.