Kiehnle, Arndt, Der Erwerb kraft öffentlichen Glaubens in der württembergischen Pfandgesetzgebung von 1825/1828 und im Bürgerlichen Gesetzbuch (= Schriften zur Rechtsgeschichte 113). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 592 S.

 

In Württemberg galten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, vermittelt durch das dritte Landrecht von 1610, die Pfandrechtsregelungen des gemeinen Rechts, das ohne jedes Publizitätsmittel lediglich das bloße Vertragspfand anerkannte. Zahlreiche Gläubiger waren durch gesetzliche Pfandrechte und Pfandrechtsprivilegien gesichert. Ferner war die Begründung von Generalhypotheken zulässig, die auch das künftige Vermögen ergriffen. Dies hatte nach Kiehnle dazu geführt, dass ein Gläubiger sich dadurch, dass er sich von seinem Schuldner ein Pfandrecht habe bestellen lassen, keine Sicherheit habe verschaffen können, die diese Bezeichnung wirklich verdient hätte (S. 27). Die Reformbestrebungen der württembergischen Stände setzten 1816 ein, deren Initiativen zum „Pfandgesetz“ vom 15. 4. 1825 und zum Pfandentwicklungsgesetz vom 21. 5. 1828 führten. Kiehnle bringt zunächst einen Überblick über die Entstehung der Gesetze von 1825 und 1828 unter Hinweis auf die Vorentwürfe und die parlamentarischen Materialien sowie auf die wichtigsten Kommentierungen bzw. wissenschaftlichen Monographien (u. a. von Mayer von 1825/26, von Bolley von 1829, von Wächter von 1830, von Römer von 1876 und von Lang von 1893). Nach dem Gesetz von 1825 konnten Grundpfandrechte nur noch durch ihre Eintragung im Unterpfandsbuch entstehen. Die Grundsätze der Spezialität und Priorität sowie der Öffentlichkeit der Güter- und Unterpfandsbücher waren ausnahmslos durchgeführt, so dass in Zukunft Generalhypotheken und gesetzliche Pfandrechte ausgeschlossen waren. Ferner war ein gutgläubiger Erwerb eines Unterpfandrechts durch Bestellung seitens eines (im Güterbuch eingetragenen) Nichteigentümers möglich. Durch das Gesetz von 1828 wurde auch der gutgläubige Erwerb des Grundstückseigentums ermöglicht, eine Regelung, die bis heute nur wenig Beachtung gefunden hat, obwohl Württemberg mit der Anerkennung des Eigentumserwerbs kraft öffentlichen Glaubens den anderen größeren deutschen Territorien voranging (vgl. das sächsische Recht von 1843 und das preußische Eigentumserwerbsgesetz von 1872; 530f.). Die württembergischen Gesetze stießen, obwohl sie im Landtag glatt durchgegangen waren, auf scharfe Kritik, die sich gegen den gutgläubigen Ersterwerb eines Unterpfandrechts sowie gegen den redlichen einredefreien Zweiterwerb einer gesicherten Forderung durch einen Zessionar richtete (S. 53ff.). Nach Meinung der Kritiker war damit der Gesichtspunkt der Kreditförderung unter Vernachlässigung privatrechtlicher Aspekte zu stark betont.

 

Der Hauptteil der Untersuchungen Kiehnles befasst sich mit den Regelungen des württembergischen Rechts über den Erwerb kraft öffentlichen Glaubens. Dabei werden die verschiedenen Fallgruppen, in denen sich der Schutz des Rechtserwerbs in dieser Form verwirklicht hat, dargestellt. Dieser Vorgehensweise liegt die „Überlegung“ des Verfassers zugrunde, „dass eine ,allgemeine Theorie ... für alle diese Fälle ... nach Württembergischen Rechte’ (Römer, S. 16) wohl überhaupt nicht wird gebildet werden können“ (S. 24). Aus dem weiter verfolgten Ziel eines Vergleichs der württembergischen Regelungen mit denen des BGB folgt nach Kiehnle „allerdings zugleich der teilweise gewissermaßen ahistorische Charakter“ des Hauptteils der Arbeit, indem den vorgestellten Regelungen und Kontroversen des württembergischen Rechts jeweils im Ergebnis oder in der Begründung vergleichbare Erscheinungen des heutigen Rechts gegenüber gestellt werden. Soweit notwendig, wird in diesem Zusammenhang auch auf das sächsische und preußische Grundpfandrecht sowie auf die BGB-Materialien, insbesondere auf den Teilentwurf Johows von 1880 hingewiesen. Die vom Verfasser gewählte Methodik ist durchaus neuartig, da in vergleichbaren Darstellungen regelmäßig das geltende Recht und nicht eine frühere Kodifikation als Ausgangspunkt von Untersuchungen dient. Mit einbezogen hat der Verfasser auch die allgemeinen Voraussetzungen jeden Erwerbes.

 

Der Hauptteil der Arbeit befasst sich zunächst mit den Konstellationen des konstitutiven Erwerbs (Ersterwerbs) eines Unterpfandrechts (d. h. der akzessorischen Buchhypothek) und zwar mit dem Erwerb eines Pfandrechts durch Bestellung seitens eines Nichteigentümers und mit dem von dinglichen Belastungen des verpfändeten Grundstücks „freien“ Erwerb sowie mit dem Erwerb eines Unterpfandrechts vom bedingt berechtigten Eigentümer. Es folgen Abschnitte über den Erwerb eines Unterpfandrechts durch Bestellung seitens des Eigentümers im Verhältnis zu absolut wirkenden persönlichen Ansprüchen (u. a. Losungsrecht im Vergleich mit dem dinglichen Vorkaufsrecht der §§ 1094ff. BGB), über den Erwerb eines Unterpfandrechts durch Bestellung seitens des zur Übereignung des Grundstücks verpflichteten Eigentümers (Probleme der „Verwahrung“/„Bemerkung“ im Vergleich zum Widerspruch und zur Vormerkung des BGB) sowie über den Erwerbs- und Verfügungsschutz durch die Vormerkung. Weitere Abschnitte befassen sich mit dem translativen Erwerb eines Unterpfandrechts durch Abtretung der gesicherten Forderung seitens des im Unterpfandsbuch als Pfandgläubiger eingetragenen Nichtpfandgläubigers (u. a. redlicher Zweiterwerb bei Nichtexistenz des Pfandrechts; Zession einer nicht bestehenden oder einredebehafteten Forderung; mehrfache Zession). Abschließend geht der Verfasser auf den Eigentumserwerb nach § 15 des Pfandrechtsergänzungsgesetzes von 1828 ein (S. 528ff.).

 

Es ist im Rahmen dieser Rezension nicht möglich, auf den Inhalt der hinsichtlich der Details überaus reichhaltigen Darstellung in allen Einzelheiten einzugehen, zumal zahlreiche Passagen des Werkes die Auslegung des geltenden Grundpfandrechts und dessen Kommentierung betreffen. Hingewiesen sei auf folgende Beobachtungen: Die Regelungen des württembergischen Rechts konnten kaum befriedigend erklären, wie ein an sich akzessorisches Recht nach dem Erlöschen des Hauptrechts weiterhin sollte Rechtsfolgen äußern können. Die Tendenzen zur Eigentümergrundschuld konnten erst mit dem Eigentumserwerbgesetz und dem BGB zu einem widerspruchsfreien Abschluss geführt werden (S. 122). Zwischen dem BGB und dem württembergischen Recht besteht hinsichtlich des Zeitpunkts, bis zu dem der Verfügende durch das öffentliche Buch ausgewiesen sein musste, Übereinstimmung. Entgegen der ganz h. M. zu § 892 BGB soll der redliche Erwerb ausgeschlossen sein, wenn die Eintragung des Erwerbers und die zur Unrichtigkeit des Grundbuchs führende Eintragung gleichzeitig erfolgen (so auch das württembergische Recht; S. 155). Überzeugend weist Kiehnle nach, dass die Kenntnis vom (unrichtigen) Grundbuch keine Voraussetzung des gutgläubigen Erwerbs nach § 892 BGB wie auch nach württembergischen Recht ist (S. 160ff.). Auf den Seiten 179ff. behandelt der Verfasser Übereinstimmung und Unterschiede zwischen der „Wahrung“ des württembergischen Rechts und dem Widerspruch (§ 899 BGB). Die nicht geringen Schwierigkeiten, die § 892 BGB mit sich bringt, würden nach Kiehnle durch die Übernahme der im württembergischen Pfandgesetz anerkannten Regel, dass die Voraussetzung des redlichen Erwerbs bis zur Vollendung des Erwerbstatbestandes vorliegen müssen, reduziert werden (S. 208ff.). S. 289ff. bringt der Verfasser eine gegenüber der h.M. dogmatisch einsichtigere Begründung (analog § 883 Abs. 2 S. 1 BGB) für den Erwerbsschutz des Vormerkungsberechtigten. Besonders ausführlich behandelt der Verfasser die Probleme des Erwerbs eines Unterpfandrechts durch Zession der gesicherten Forderung (einer nicht bestehenden, einredebehafteten Forderung) durch den im Unterpfandsbuch als Pfandgläubiger eingetragenen Nicht-Pfandgläubiger (S. 323-525). Der Verfasser diskutiert u. a. die Auslegung des § 1138 i. V. m. § 892 BGB und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass das Pfandgesetz sowohl den redlichen Erwerb einer nicht bestehenden Forderung als auch denjenigen einer dem Verfügenden nicht mehr zustehenden Forderung vorsieht (Art. 85 Abs. 1, 88), während das BGB den redlichen Zweiterwerber einer Hypothek die gesicherte Forderung prinzipiell nicht zuerkenne. Eine dem § 893 BGB entsprechende Generalklausel fehlt im württembergischen Pfandrecht (S. 525ff.). Auf den Seiten 534f. weist der Verfasser darauf hin, dass sich das württembergische Recht vom Recht der ZPO und des Zwangsversteigerungsrechtes hinsichtlich des Erwerbs in der Zwangsversteigerung erheblich unterscheidet. Nach seiner Meinung sollte der Erwerb in der Zwangsvollstreckung entweder trotz entgegenstehender Rechte Dritter jedem Redlichen ermöglicht oder generell von der Berechtigung des Schuldners abhängig gemacht werden.

 

Im Mittelpunkt der Untersuchung des Verfassers stehen die Regelungen des württembergischen Grundpfandrechts und dessen Auslegung. Die Vergleiche der Lösungen des württembergischen Rechts mit den Parallelregelungen des BGB nehmen einen Großteil der zwölf Hauptabschnitte ein, was sich nach Ansicht des Verfassers dadurch erklärt, dass der öffentliche Glaube auch heute noch mehr Probleme biete, als dies manch gegenteilige Äußerung erwarten lasse (S. 24). Die Komplexität dieser Probleme machte eine sehr ins Einzelne gehende Darstellung sowohl für das württembergische als auch für das heutige Grundpfandrecht notwendig, deren Lesbarkeit allerdings durch die oft sehr langen Fußnoten nicht unerheblich erschwert ist. Wer an einer in der heutigen Literatur weitgehend fehlenden kritischen Durchdringung des heutigen Grundpfandrechts im Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb interessiert ist, wird mit der Darstellungsweise des Verfassers voll auf seine Kosten kommen. Insoweit stellt die Arbeit Kiehnles einen beachtenswerten Beitrag zur Auslegung des geltenden Grundstücks- und Grundpfandrechts dar. Bei der rechtsdogmatischen Durchdringung des württembergischen Grundpfandrechts, die alle Bewunderung verdient, kommt allerdings der Verlauf der Auslegungsgeschichte der Gesetze von 1825/1828 nicht immer klar zum Ausdruck. Eine Untersuchung darüber, ob die württembergische Pfandgesetzgebung ihren „wirtschaftspolitischen Zweck“ erreicht habe, hätte – so Kiehnle mit Recht – den Rahmen der rechtsdogmatisch-historischen Arbeit gesprengt (S. 65). Auf der anderen Seite vermisst der Leser eine zusammenfassende Aussage über die rechtliche Leistungsfähigkeit bzw. Praktikabilität des württembergischen Grundpfandrechts im Vergleich zu den parallelen Regelungen des BGB im Hinblick auf den Erwerb kraft öffentlichen Glaubens. Dies hätte eine noch detailliertere historische Einordnung der württembergischen Grundpfandgesetze und ihres Entwicklungspotentials im Rahmen der partikularen Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts ermöglicht. Bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang, dass Württemberg in seinen „Bemerkungen“ zum 1. BGB-Entwurf „in erster Linie nach den bestehenden Verhältnissen seines Landes“ wünschte, dass die Vormerkung obligatorischer Ansprüche berücksichtigt würde und dass „die Grundschuld von der Aufnahme in das BGB überhaupt ausgenommen werden möchte, und dass nach ihrer Beseitigung die Eigentümergrundschuld, welche vermöge der zugelassenen Weiterbegebung ohne Forderung, dazu verwendet werden könnte, tatsächlich die Grundschuld mit den ihr anhaftenden volkswirtschaftlichen Nachteilen auf einem Umwege einzuführen, in dieser Beziehung einer Prüfung und Umgestaltung unterzogen werde“. Sollte dies nicht geschehen, sollte den Landesgesetzgebungen die Ausschließung des Instituts der Grundschuld freigestellt werden (vgl. Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen zu dem Entwurf eines BGB, gefertigt im Reichs-Justizamt, Bd. 1, 1891, S. 114, 128). Insgesamt hat Kiehnle mit seinem Werk über das württembergische Grundstücks- und Grundpfandrecht von 1825/1828 einen wichtigen Beitrag zur partikularen Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts geleistet und dabei die in den bisherigen Darstellungen regelmäßig vernachlässigten Leistungen der württembergischen Gesetzgebung und Rechtsdogmatik (man vergleiche hierzu auch die bisher wenig gewürdigte vorbildliche ZPO von 1868; hierzu W. Schubert, Die Civilprozessordnung für das Königreich Württemberg, Bd. 1, Goldbach 1997, S. XXIff.) nachdrücklich in Erinnerung gerufen.

 

Kiel

Werner Schubert