„Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, hg. v. Hoßfeld, Uwe/John, Jürgen/Lemuth, Oliver/Stutz, Rüdiger. Böhlau, Köln 2003. 1160 S., Ill.

 

Ein Jahr nach Hendrik Eberles Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in der Zeit des Nationalsozialismus haben sich Jenaer Geschichtswissenschaftler und Wissenschaftshistoriker der Aufarbeitung ihrer Universitätsvergangenheit im „Dritten Reich“ angenommen. Für den horrenden Preis von 154,- Euro wird dem Käufer in 32 Einzeluntersuchungen eine nahezu umfassend anmutende Darstellung der Entwicklung der Gesamtuniversität, Fakultäten und Institute einschließlich vergleichender Perspektiven geboten. Ein einleitendes Interview mit den Herausgebern führt den Leser in die Thematik und Fragestellungen ein. Hieran anknüpfend schildert ein Beitrag der Herausgeber Hoßfeld, John und Stutz („Kämpferische Wissenschaft“: Zum Profilwandel der Jenaer Universität im Nationalsozialismus) das vom Rassehygieniker und Kriegsrektor Karl Astel propagierte Universitätskonzept einer „kämpferischen Wissenschaft“ als eine Verflechtungsstrategie von Universitätsressourcen, Großindustrie und Institutionen des NS-Staates namentlich auf den Gebieten der Rasse- und Gesundheitspolitik, Raum- und Wirtschaftsplanung, Aufrüstung sowie Kriegsführung (S. 76f. und passim). Entgegen dem apologetisch verwandten Stereotyp der Nachkriegsgeschichtsschreibung wird das NS-System nicht mehr als genuin wissenschaftsfeindlich eingestuft, sondern die nachhaltig betriebene Funktionalisierung des Wissenschaftssystems aufgezeigt. Element dieses Konzepts ist zugleich eine „Art Selbstmobilisierung“ der Wissenschaftler für die „nationale Forschungsfront“ (S. 85), also ein wechselseitig verfolgtes Nutzenkalkül, das sich insbesondere noch in der Etablierungsphase befindliche Wissenschaftsdisziplinen zu eigen machten, um auf diese Weise für ihre Forschungsaufgaben Fremdressourcen zu gewinnen. Eingebunden in diese Betrachtung werden am Beispiel der Industrie- und Wissenschaftsstadt Jena bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgte gesellschaftliche Modernisierungsprozesse, die vorwiegend die Naturwissenschaften begünstigten, die Geisteswissenschaften hingegen wie auch das Bildungsbürgertum in die Defensive drängten (S. 34ff.). Der Umbruch der städtischen Submilieus im Zuge des Aufstiegs der Zeiss- und Schottwerke, die gleichzeitige Ansiedlung der Verlage Gustav Fischer und Eugen Diederichs, das avantgardistische Wirken des Jenaer Kunstvereins, die Polarität des sozialdarwinistisch angelegten monistischen Biologismus Ernst Haeckels einerseits und die auf den „Geist von 1914“ zulaufende Denkbewegung des Literatur-Nobelpreisträgers Rudolf Eucken andererseits (S. 37f.) werden zu einem Portrait verarbeitet, das die Moderne schon deutlich auch in ihren dunklen Schattierungen darstellt. Zu den Jenaer Besonderheiten gehört schließlich, daß die alte ernestinische und seit 1921 thüringische Landesuniversität bereits 1930 unter die Kuratel eines nationalsozialistischen Volksbildungsministers (Wilhelm Frick) gerät, der ebenso wie der spätere Gauleiter und 1932/33 leitende Staatsminister Fritz Sauckel die Jenaer Universität als ein Experimentierfeld der NS-Wissenschaftspolitik benutzt. Gegen den Willen der Professoren, des Senats und Rektors wird 1930 von der Weimarer Landesregierung der nicht habilitierte Schriftsteller Hans F. K. Günther, der sog. „Rasse-Günther“, auf einen Lehrstuhl für Sozialanthropologie berufen, der Sache nach der von Hitler angekündigte „Lehrstuhl für Rassefragen und Rassekunde“ (S. 48). Die Antrittsvorlesung vom November 1930 in Anwesenheit von Göring und Hitler soll der erste und letzte Besuch Hitlers in einer deutschen Universität gewesen sein (S. 49). Nachdem der Strafrechtler Heinrich Gerland, ursprünglich der DDP zugehörig, seine Rede zur universitären Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1933 unter das Motto „Vorwärts mit Schiller“ (S. 51) gestellt hatte, sollte es nur noch anderthalb Jahre dauern, bis die Universität in Anknüpfung an Schillers Jenaer Geschichtsprofessur offiziell den Namen Friedrich-Schiller-Universität erhielt, eine Parallelaktion zum abgesondert in Weimar begangenen Staatsakt zu dessen 175. Geburtstag. Die Erinnerungen eines hohen Vertreters der Sowjetischen Militäradministration in Thüringen belegen, wie viel die Alma mater Jenensis von den großen Namen ihrer Geschichte in Umbruchsituationen profitierte, wenn ein Zusammenhang zwischen der Promotion von Karl Marx (1841) und der feierlichen Wiedereröffnung schon im Oktober 1945 als erste Hochschule in der SBZ aufscheint (S. 83f.).

 

Bezogen auf die im Einleitungsessay oftmals nur angedeuteten, teilweise jedoch zentralen Details der Universitätsgeschichte verdienen besondere Erwähnungen die Ausarbeitungen von Ronald Hirte und Harry Stein, die „Die Beziehungen der Universität Jena zum Konzentrationslager Buchenwald“ untersuchen und über den Bereich der Medizin hinaus belegen, die Aufsätze von Herbert Gottwald und Matthias Steinbach zur Jenaer Geschichtswissenschaft bzw. zu „Friedrich Schneiders ,Kaiserpolitik des Mittelalters’: Zur Karriere eines Bestsellers im Spannungsfeld ideologisierter Geschichtsbilder und universitärer Machtkämpfe“, aber auch die Abhandlung von Hans-Joachim Dahms über „Jenaer Philosophen in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Folgezeit bis 1950“, die auch dem Rechtsphilosophen Carl August Emge gelten, der bereits 1931 in die NSDAP eingetreten war (S. 735). Emge, der sich zudem im von Elisabeth Förster-Nietzsche gehüteten Nietzsche-Archiv in Weimar eingenistet hatte, spielte auch eine bedeutende Rolle im Rahmen des zeitgenössischen „Weimar-Jena-Plans“, der auf eine Fusion der Weimarer Klassiker- und Forschungsstätten mit der Universität Jena ausging (S. 328ff.). Schließlich betrifft auch der Beitrag Carsten Klingemanns „Wissenschaftsanspruch und Weltanschauung: Soziologie an der Universität Jena 1933 bis 1945“ insofern die Rechtsgeschichte, als hier als Protagonisten der Jenaer Rechtswissenschaftler Franz Wilhelm Jerusalem und sein ehrgeiziger und illoyaler Assistent Reinhard Höhn figurieren.

 

Die Universitätsjuristen behandelt Jörg Opitz (Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Jena und ihr Lehrkörper im „Dritten Reich“), allerdings sehr formal angelehnt an personelle und institutionelle Veränderungen. Der Leser erfährt zunächst, daß die aus der Philosophischen Fakultät herausgelöste Nationalökonomie mit der Juristischen Fakultät im Oktober 1923 zur „Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät“ verbunden wurde und daß bereits im Mai 1919 unter Federführung Justus Wilhelm Hedemanns das Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht ins Leben gerufen worden war, was den Juristen nun auch das finanziell lukrative Interesse der Carl-Zeiss-Stiftung sicherte. Erwähnt werden die Promotion Roland Freislers 1921 (S. 474), die Habilitation Arnold Köttgens 1928 wie überhaupt die mit Jena verbundene juristische Prominenz, namentlich Hans Carl Nipperdey, Alfred Hueck, Karl Blomeyer und Rudolf Hübner, ergänzt auf der wirtschaftswissenschaftlichen Seite um Wilhelm Röpke sowie Franz Böhm, der in Begleitung seiner Schwiegermutter Ricarda Huch nach Jena gekommen war und bald Opfer einer Denunziation wurde (S. 484). Zur Entwicklung im Nationalsozialismus gehört Otto Koellreutters Austritt aus der DVP, sein gemeinsames Eintreten mit Emge für Hitler bei der Reichspräsidentenwahl 1932, während u. a. Hedemann für Hindenburg warb, obgleich auch er schon in einem Festvortrag 1931 die Fühler in Richtung nationalsozialistischer Hochschulpolitik ausgestreckt hatte (S. 476f.). Nach Koellreutters Weggang nach München trat mit Ulrich Scheuner 1933 ein mit der nationalsozialistischen Doktrin vertrauter Staatsrechtslehrer an seine Stelle. Nach einer abgewandten Fakultätsauflösung fand ein Generationenwandel statt, der u. a. Richard Lange, Günther Beitzke, Arved Blomeyer, Hermann von Mangoldt, Gerhard Wacke und Falk Ruttke nach Jena führte, letzteren auf ein in Deutschland einmaliges Ordinariat für „Rasse und Recht“ (S. 487). Der bereits vor seiner Jenaer Zeit durch die Bearbeitung des „Blutschutz“- sowie „Heimtückegesetzes“ im Strafrechtskommentar Eduard Kohlrauschs hervorgetretene Richard Lange profilierte sich 1942 als Universitätsrichter in einem durch eine Eingabe des Gaustudentenführers und Ruttke-Mitarbeiters Kurt Bach initiierten fakultätsübergreifenden Konflikt, der ihm das Vertrauen nicht nur des Rektors Karl Astel, sondern auch des Gauleiters Fritz Sauckel eintrug (S. 488f.). Trotz Mitgliedersperre wurde Langes Parteiaufnahmeantrag durch eine von Martin Bormann gebilligte Sonderverfügung stattgegeben, die allerdings wohl dem Bombenkrieg zum Opfer fiel (S. 489f.), so daß Lange nach 1945, von einer NSDAP-Mitgliedschaft unbelastet, als neuer Dekan antreten konnte. Dabei soll ihm die Bach-Denunziation dazu gedient haben, die Haltung seiner Fakultät im Nationalsozialismus zu schönen (S. 81), da Bach nicht nur den Rektor der Führungsschwäche, sondern auch die Juristen einer Distanz zum Nationalsozialismus beschuldigt hatte, die ihnen im nachhinein nicht bescheinigt werden kann (S. 500).

 

Jena                                                                                                                           Walter Pauly