Jacobi, Andrea-Sabine, Ludwig Enneccerus 1843-1928 Rechtswissenschaftler und nationalliberaler Parlamentarier. Eine politische Biographie (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit 16). Kovač, Hamburg 1999. 545 S.

 

Eine Geschichte der rechtswissenschaftlichen Lehrbücher ist noch nicht geschrieben. In ihr verdiente Ludwig Enneccerus wie Struve, Heineccius, Mackeldey, Windscheid, Larenz oder Brox einen hervorragenden Platz. Beherrschte doch sein Lehrbuch des bürgerlichen Rechts das frühere 20. Jahrhundert ziemlich eindeutig, ehe es nach 1933 wegen der Fortführung durch Martin Wolff verboten wurde.

 

Bei dieser Sachlage erstaunt es, dass es lange Zeit keine Monographie über diesen Marburger Gelehrten gab. Diese Lücke schließt die im Sommersemester 1997 am Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität angenommene, von Hellmut Seier betreute Dissertation. Allerdings will sie eine politische Biographie sein, nicht eine Biographie schlechthin.

 

Sie verwertet erstmals umfassend zwei bislang kaum erfasste Quellenbestände. Zum einen bezieht sie den persönlichen Nachlass ein. Zum anderen greift sie auf den Geschäftsnachlass Friedrich Althoffs zu, der von 1882 bis 1908 die Universitätsangelegenheiten Preußens maßgeblich mitbestimmte.

 

Die grundsätzlich chronologisch aufgebaute Arbeit gliedert sich in neun Abschnitte. Sie beginnt mit dem jungen Enneccerus, der als Pfarrerssohn in Neustadt am Rübenberge geboren wurde, früh den Vater verlor, mit der Mutter nach Hannover überrsiedelte, 1860 zu Garibaldis Freikorps nach Italien strebte und nach diesem erfolglosen Ausflug in Göttingen das Studium der Mathematik und nach Eintritt in das Corps Hildesco-Guestphalia und der Nachholung des Abiturs 1862 das Studium der Rechtswissenschaft aufnahm, dort den aus Hannover stammenden Professor für römisches und Landwirtschaft August Ubbelohde (1833-1898) für sich gewann , am 23. Juni 1868 mit summa cum laude promoviert wurde, sich am 22. April 1870 für römisches Recht habilitierte und am 13. Januar 1873 unter Förderung durch den zwischenzeitlich nach Marburg gewechselten Ubbelohde nach Marburg berufen wurde. Es folgen die Marburger Anfangsjahre mit den persönlichen Lebensverhältnissen, die liberale Politik in Marburg mit der Gründung des liberalen Vereins (1874), das Wirken als Politiker im Kommunallandtag und im Provinziallandtag (1877-1898), parallel dazu die Etablierung in Marburg, die Stellung als Vertrauensmann Althoffs (1883-1908) und die politische Betätigung in Preußen (1882-1898) sowie die reichspolitische Wirksamkeit (1887-1898). Den Beschluss bildet das Wirken in Marburg von 1898 bis zum Tod am 31. Mai 1928 kurz nach Erscheinen der von ihm verantworteten ersten beiden Teilbände seines 1898 bzw. 1900 gemeinsam mit Heinrich Otto Lehmann vorgelegten und nach Lehmanns Tod (27. 1. 1904) mit Theodor Kipp (1862-1931) und Martin Wolff (1872-1953) fortgeführten, durch die erfolgreiche Verbindung von wissenschaftlicher Systematik mit praktischen Fallbeispielen gekennzeichneten Lehrbuchs in der 34. bzw. 30. Auflage (12. bzw. 10. Bearbeitung).

 

Am Ende ihrer gut lesbaren, eindringlichen Untersuchung sieht die Verfasserin Enneccerus stark von der Jugendzeit in Hannover geprägt. Sein gesamtes politisches Handeln ist maßgeblich vom Gedanken des nationalen Gemeinwohls der Deutschen bestimmt. Daneben fühlt er sich aber deutlich dem Mittelstand, der ihn in seine politischen Ämter wählte, verpflichtet.

 

Großes Gewicht hatte die Beziehung zu Friedrich Althoff. Ihm war er Zuträger und Vermittler. Zum Ausgleich zog er aus dieser Tätigkeit auch persönlichen Nutzen für sich und seine Schwiegersöhne.

 

Als Liberaler stand er dem Streben der Arbeiterschaft nach politischer Teilhabe zurückhaltend gegenüber. Auch an der Leistungsfähigkeit eines parlamentarischen Systems im demokratischen Sinn hegte er Zweifel. Dementsprechend war er Bismarck stärker verbunden als Weimar.

 

Dass in einer politischen Biographie eines Rechtswissenschaftlers und Parlamentariers die Rechtswissenschaft in den Hintergrund gerät, ist verständlich. Immerhin wird die Bedeutung für die Rechtswissenschaft nicht ganz ausgegrenzt und werden die Daten der wichtigen Werke im Anhang aufgeführt. Vielleicht ermuntert die einleuchtende Enthaltsamkeit der Verfasserin eines Tages auch einen Juristen, sich mit den rechtswissenschaftlichen Leistungen von Ludwig Enneccerus, den Gerd Kleinheyer und Jan Schröder immerhin in den Anhang ihrer deutschen und europäischen Juristen aus neun Jahrhunderten aufgenommen haben, ähnlich sorgfältig auseinanderzusetzen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler