Hyams, Paul R., Rancor and Reconciliation in Medieval England (= Conjunctions of Religion and Power in the Medieval Past). Cornell University Press, Ithaca/New York 2003. XXVII, 344 S.

 

Dieses Buch folgt einem Trend, der seit einigen Jahren in der englischsprachigen Rechtsgeschichte zu beobachten ist, nämlich der Kontextualisierung des Rechts innerhalb der Gesellschaft. Während sich andere mit den Erwartungen der Menschen beschäftigten (Anthony Musson, Hg., Expectations of the Law in the Middle Ages. Boydell und Brewer, Woodbridge 2001) oder nach der Moral im Recht fragten (Peter Coss, Hg., The Moral World of the Law [= Past and Present Publications]. Cambridge University Press, Cambridge 2000), wird hier das Augenmerk auf eine Emotion (Rache) gelegt. Hyams untersucht anhand von erzählenden Quellen, Rechtstraktaten und Gerichtsprotokollen, wie in der englischen Gesellschaft des Früh- und Hochmittelalters auf Ungerechtigkeit (injustice) und Unrecht (wrong) reagiert wurde und leistet damit einen Beitrag zur mediävistischen Konfliktforschung.

 

Um Vergeltung für begangenes Unrecht zu üben, standen dem Geschädigten verschiedene Wege offen, die von Stillhalten (lumping it) über Fehdehandlungen bis hin zum Beschreiten des Rechtsweges reichten, wobei der kreative Gebrauch der rechtlichen Möglichkeiten Gelegenheit bot, Rache zu nehmen, ohne sich selbst groß in Gefahr zu bringen (S. 209). Da Hyams Fehde nicht als Institution, sondern als „live process with a positive side“ (S. xvi) versteht, kann er „feud-like impulses“ identifizieren, „that motivated litigants in respectable legal systems.“ (S. 7). Ziel von Fehdehandlungen war die Beschämung und Erniedrigung des Gegners (S. 11). Hyams sieht darin also keine gezielten Drohgebärden, die den Gegner zum Nachgeben und Einlenken aufforderten, sondern eher eine „wie du mir, so ich dir“ – Mentalität („tit-for-tat“), wobei letztendlich Einigung (concord) und Genugtuung (satisfaction) für die Menschen aber doch wichtiger waren als Strafe (punishment) und Urteil (judgment).

 

Der durch ein begangenes Unrecht hervorgerufene Hass (rancor) - gepaart mit der Bereitschaft zur Aussöhnung (reconciliation) – wird als Motor der Rechtsentwicklung gesehen, da eine „vengeance culture“ während der ganzen hier untersuchten Zeit zu konstatieren ist und es auch im mittelalterlichen England Bestrebungen gab, private Rachefeldzüge einzuschränken. Dies versuchte man, indem man das öffentliche Interesse an der Vergeltung begangenen Unrechts deutlich machte, etwa durch die Einführung öffentlicher Strafverfolgung (Jury of Presentment), die Ausdehnung des Königsfriedens (den man durch ein Writ de minis für sich persönlich in Anspruch nehmen konnte) oder die vereinfachte Anrufung königlicher Gerichte (indem man zum Beispiel ein Unrecht zugleich auch als Bruch des Königsfriedens darstellte).

 

Das erste Kapitel (Understanding Feud and Friendship, S. 3-33) definiert Fehde als „kind of ideal type for all potentially violent acts rationalized and designed to redress wrong“ (S. 3) und versteht sie als eine dem Geschädigten offen stehende Option unter vielen. Ein Aggressor musste die verschiedenen möglichen Reaktionen seines Gegners (Flucht, Rache/Vergeltung, Entschädigungsforderungen etc.) bereits mit in sein Kalkül ziehen, und auch der Geschädigte hatte das Umfeld (moral and material constraints) zu bedenken und zudem stets auf die Legitimation und Angemessenheit seiner Reaktion zu achten, denn auch die Gesellschaft hatte eine Wahl (Intervention/Neutralität). Bei der Beendigung der Fehde spielten Freunde - nicht nur enge persönliche Freunde und Verwandte, sondern auch „support groups“, deren Zusammensetzung und Größe sich im Laufe der Zeit jedoch ändern konnten – eine große Rolle, und im Idealfall wurde nicht nur der aktuelle Konflikt beendet, sondern auch Freundschaft (wieder) hergestellt.

 

Jede Ungerechtigkeit und jedes Unrecht rief selbstverständlich Emotionen hervor, und mit den öffentlich zur Schau gestellten „Social Emotions in a Culture of Vengeance“ beschäftigt sich dann auch das zweite Kapitel (S. 34-68). Im Rachegedanken steckte, so Hyams, eine eigene Auffassung von Gerechtigkeit, denn das Ziel der Rache war nicht so sehr die Wiederherstellung des status quo ante, sondern vielmehr „the way things ought to have been“ (S. 39). Man bediente sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen der Emotion: sie wurden benutzt sowohl, um königliche Aktionen zu rechtfertigen (Inquest of Sheriffs), als auch „to establish moral standards of conduct in public life and the law“ (S. 67).

 

Auf diese beiden grundlegenden Kapitel folgen drei chronologische, in denen Hyams das Hauptthema des Buches von der angelsächsischen Zeit bis hin zum Ende des 13. Jahrhunderts verfolgt. Zunächst wendet er sich dem „Redress for Wrong in the Governance of Late Anglo-Saxon England“ zu (S. 71-110). Obwohl das angelsächsische England eine hoch zentralisierte Gesellschaft war, spielte die Fehde hier eine wichtige Rolle. Fehdehandlungen, so wird argumentiert, waren durchaus kompatibel mit einer zentralisierten Rechtsprechung und einem starken Herrscher, und so war denn auch das angelsächsische England in der letzten Phase „a feud culture with public courts and an active monarchy“ (S. 72).

 

Im folgenden Kapitel (Vengeance and Peacemaking in the Century after the Norman Conquest, S. 111-154) wird untersucht, in wie weit die normannische Eroberung Veränderungen bewirkte. Bei Orderic Vitalis und in den Leges Henrici Primi ist zu erkennen, dass auch nach 1066 eine „vengeance culture“ vorherrschte, in der selbst die Kirche Verständnis für Rachegefühle aufbrachte. Allerdings sind in dieser Zeit noch keine Ansätze zur Unterscheidung von crime und tort zu erkennen, sondern nur ein undifferenziertes Verständnis von „wrong“, wohl aber Vorläufer der Common Law Klageformen „appeal of felony“ und „action of trespass“ („appeal“ und „proto-trespass“), die beide benutzt werden konnten, um Kompensation zu fordern, was bei den späteren Formen nicht mehr der Fall war.

 

Kapitel 5 (Common Law and Central Order in Angevin England, S. 155-186) fragt, welche Absicht hinter den Reformen Henrys II. stand. Diese werden als Ergänzung zum bestehenden System von Recht und Ordnung gesehen, das die Mächtigen bevorzugt hatte. Der König wollte nun jedoch Gerechtigkeit für alle Untertanen gleichermaßen schaffen. Da diese Neuerungen mit Skepsis aufgenommen wurden (S. 163), wurde das ´öffentliche Interesse´ besonders betont. Hyams sieht in den Reformen einen gezielten und bewussten Versuch, den lokalen Mächten die Kontrolle über Recht und Gesetz zu entziehen und der königlichen Zentralgewalt zu unterstellen. Allerdings misslang dies langfristig gesehen. Ein Grund hierfür war das Writ de odio et athia, mit dem die Motive eines Klägers bzw. einer Jury of Presentment unter die Lupe genommen werden konnten. Durch den mit diesem Writ ermöglichten Rückgriff auf die Jury (anstatt eines Duellbeweises) wurde den lokalen Mächten erneut Zugriff auf Recht und Gesetz ermöglicht, und zwar durch Einflussnahme auf die Geschworenen. Dies führte dazu, dass die Grand Juries – entgegen der ursprünglichen Absicht - bevorzugt Schwache und Feinde der Reichen anklagten. Die sich in dieser Zeit langsam herausbildenden Klageformen „appeal of felony“ und „action of trespass“ sieht Hyams als „twin procedures“ mit gemeinsamen Ursprung, nämlich dem individuellen Recht, sich gegen Unrecht jeglicher Art zur Wehr zu setzen. Welche der zwei Klageformen gewählt wurde, hing nicht zuletzt von den Zielen der klagenden Partei ab und von ihren Ressourcen. Beide waren jedoch „part of a history, already ancient in the late twelfth century, to tame feud“ (S. 174).

 

Kapitel 6 stützt sich auf Gerichtsprotokolle und beschäftigt sich mit „Wrongs and their Righting in the Early Common Law“ (S. 189-215). Obwohl hinter jeder Anrufung des Gerichts ein wie auch immer gearteter Rachegedanke stand, sind in den Gerichtsakten nur selten Hinweise auf diese Emotionen zu finden. Sie treten immer nur dann in Erscheinung, wenn sie für das Verfahren von Bedeutung sind (wie zum Beispiel im Rahmen des Writs de odio et athia). Weiter wird untersucht, welche Möglichkeiten demjenigen zur Verfügung standen, der sich bedroht sah. Er konnte entweder die Situation aussitzen (lumping it), das Land verlassen (temporär oder für immer), Asyl in einer Kirche suchen oder sich dem Schutz des Königs unterstellen (mit Hilfe des Writs de minis seit den 1260er Jahren). Natürlich war auch ein Friedensschluss mit dem Widersacher möglich, und in diesem Fall wurde auf Rituale zurückgegriffen, die dem Angegriffenen Genugtuung verschafften, wie zum Beispiel „multiple acts of homage from members of the opposition party“ (S. 202).

 

Mit Kapitel 7 (The Differenciation of Wrongs: Trespass and the Appeal, S. 216-241) endet der chronologische Teil. Dieses Kapitel wendet sich vielmehr den Veränderungen zu, die zur Differenzierung des zunächst allgemein gefassten Unrechtsbegriffs (undifferentiated wrong) in den (strafrechtlichen) „appeal of felony“ und die (zivilrechtliche) „action of trespass“ führte. Hyams nennt fünf Vorbedingungen: 1) die Unterscheidung zwischen „fact“ (Fakten wie Tatzeit, Tatort, Täter etc.) und „law“ (der juristischen Einordnung der Tat); 2) die Unterscheidung zwischen crime (Straftat) und tort (Vergehen); 3) die zunehmende Ausweitung des Königsfriedens auf alle Untertanen; 4) die Einführung der öffentlichen Strafverfolgung und 5) und die Einführung der Straftat Felony.

 

Das abschließende Kapitel beantwortet die Frage „Was there an Enmity Culture in Thirteenth-Century England? (S. 242-266) affirmativ. Es gab diese latenten Feindschaften in allen Gesellschaftsschichten, und der Rachegedanke lässt sich nicht auf den Ehrenkodex der Adligen reduzieren. Allerdings konnten die Adligen des 13. Jahrhunderts - wie schon in früheren Jahrhunderten - auf „support groups“ vertrauen, wenn sie den Versuch unternahmen, selbst Rache zu üben oder Vergeltungsschläge abzuwehren. Dies führt zu der Frage, ob es „bastard feudalism“ bereits im 13. Jahrhundert gab. Der Begriff „bastard feudalism“ wurde von Bruce McFarlane geprägt und auf die Zeit nach 1300 angewandt. Hyams bezweifelt, dass „there was any substantial break in the development of nontenurial retaining (bastard feudalism, if you will) between the mid-twelfth century and the end of the period covered in this book“ (S. 260) und sieht „bastard feudalism as a continuous extension from earlier forms of power-mongering, including the maintenance of dependants in their lawsuits.“ (S. 261).

 

Die Studie enthält in einem Anhang 34 Quellen in englischer Übersetzung, die die Thesen des Buches untermauern sollen (pièces justificatives) und daher auch alle verfügbaren Informationen zu den Prozessbeteiligten zusammentragen. Leider ist der Anhang alphabethisch geordnet (vornehmlich nach den Nachnamen eines der Beteiligten), wo doch chronologische Reihenfolge meines Erachtens sinnvoller gewesen wäre. In der Bibliographie sind unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen zusammen mit der Sekundärliteratur enthalten, was gewöhnungsbedürftig ist. So findet man zum Beispiel die C 144 unter Inquisitions de Odio et Athia. Allerdings ist deutsch-, französisch- und italienischsprachige Literatur in der Bibliographie zu finden, was für ein Buch aus der anglo-amerikanischen akademischen Welt nicht gerade üblich ist und daher extra erwähnt werden soll.

 

Das Buch, dass durch ein Register erschlossen ist, ist sorgfältig gemacht (ich habe nur 5 Tippfehler entdeckt: S. xxii, 163, 316, 324, 328) und sehr anregend, selbst wenn man nicht allen Hypothesen des Autors zustimmt (so bezweifele ich, dass das Writ de odio et athia eingesetzt werden konnte, um einen „otherwise plausible appeal“ zu Fall zu bringen, S. 177), was vom Leser aber auch nicht erwartet wird. Die Studie regt zu weiteren Forschungen an, und erfüllt somit ein erklärtes Ziel (S. xiii). Sie ist klar gegliedert und geschrieben. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Studie, die die Rechts- und Sozialgeschichte bereichert, auch im ´native English´ gut zu lesen gewesen wäre und es der Übersetzung in „fair American“ (S. xx) nicht bedurft hätte.

 

Fürth                                                                                                                         Susanne Jenks