Holzfurtner, Ludwig, Gloriosus Dux. Studien zu Herzog Arnulf von Bayern (907-937) (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Beiheft 25). Beck, München 2003. XIV, 152 S. Kart.

 

Holzfurtners Ziel ist es, eine Monographie über den (ersten) bayerischen Liutpoldingerherzog zu schreiben und ihn dabei vom negativen Makel der bisherigen Forschung zu befreien: nicht „der Böse“, sondern, mit dem Etikett, das ihm das zeitgenössische ‚Fragmentum de Arnulfo duce’ beilegte, „der Ruhmreiche“ sei Arnulf gewesen und „ein politischer Kopf von weitaus größerem Format“, als seine historische Position ihn dies umsetzen ließ (S. 7). Dieses „Programm“ sucht der Autor einzulösen, indem er zunächst die „Vorgeschichte“ unter Markgraf Luitpold und dann, ausführlich und strukturell gegliedert, die einzelnen Aspekte des Herzogtums Arnulfs analysiert: die Herrschaftsübernahme, Ungarnkriege und Säkularisationen, die innere Führung (Herrschaftsinstrumentarium, Kirche, Reichsgut, Grafschaften, Adel), „Außenpolitik“ (Böhmen und Italien) sowie das Verhältnis zu den einzelnen Königen. So entsteht ein umfassendes, die Quellen und die bisherige Forschung ausgiebig (und kritisch) diskutierendes Bild.

 

Methodisch wäre allerdings mancherlei zu bemerken: Holzfurtner nimmt die Quellenbelege verschiedener Zeiten mehr oder weniger unterschiedslos für Arnulf in Anspruch, etwa wenn er den liutpoldingischen Besitz zusammenstellt (Karte S. 31). Daß die allein auf zeitgenössische Quellen gestützten Aufstellungen in meiner Dissertation nur ein Minimum des Besitzes wiedergeben, wie Holzfurtner zu Recht feststellt (und seinerseits nun durch alle Zeugnisse ergänzt), ist unbestreitbar, sie hatten aber den Vorteil, das Bild nicht durch spätere Zeugnisse zu verfälschen, wenn wir Herkunft und Alter dieses Besitzes nicht kennen. Gleiches gilt für eine zeitgenössisch nicht erkennbare herzogliche Hoheit über die Grafen, die Holzfurtner aus den Ranshofener Gesetzen vom Ende des 10. Jahrhunderts erschließt (und zudem mit Handlungen Heinrichs des Löwen und der Wittelsbacher begründet!), da sie kein neues Recht geschaffen, sondern bestehendes übertragen hätten (S. 92) und die Arnulf daher „vermutlich“ von Anfang an gehabt habe. Daß sich solche Rechte vielleicht erst in ottonischer Zeit unter liudolfingischen Bayernherzögen ausgebildet haben könnten, wird nicht thematisiert.

 

Die komplexen Diskussionen um den dux-Begriff und dessen noch nicht eindeutige Bedeutung im frühen 10. Jahrhundert außer Acht lassend, ist Arnulf für Holzfurtner nach wie vor „Herzog“, weil er im ‚Fragmentum’ so betitelt wird, und entsprechend werden die herzoglichen Befugnisse zusammengestellt: die Herrschaft über das Land, das Herrschaftsinstrumentarium (Kanzlei, Siegel, Münzen, missi, concilia), die Kirchenhoheit, die Hoheit über Grafen und Adel. Das alles ist möglich, bleibt im einzelnen aber problematisch: So ist die Leitung der Landesversammlungen nirgends belegt (daß der Herzog sie leitet, wird allein aus ihrer Existenz gefolgert), beweist die Ausstellung von Urkunden nicht in sich schon die Existenz einer eigenen Kanzlei, können missi außerhalb der Salzburger Provinz nicht einfach postuliert werden, wenn es keine Belege gibt; die Existenz von Vasallen wird ohne jede Diskussion auf die neuere Kritik am Lehnswesen angenommen. Die vielbeschworene Kirchenhoheit Arnulfs (916) wird aufrechterhalten, obwohl, wie Holzfurtner selbst zugibt, Bischofserhebungen durch Arnulf nicht belegt sind, und auch die „enge mentale Bindung zwischen Herzog und Adel“ (99) setzte eine kaum unbestreitbare „bayerische“ Einhelligkeit voraus: „Seit es das regnum Bavariae gab, hatten sich seine Herrscher auf den bayerischen Adel verlassen können“ (100). Holzfurtners bayerische Einstellung wird auch spürbar, wenn er im folgenden umgekehrt die Bedeutung der Italienpolitik des „gloriosus dux“ herunterspielt und als ihr Ziel „nur“ die „Ausstattung“ seines Sohnes Eberhard annimmt (108) oder wenn er die vieldiskutierte Frage nach dem Königsplan Arnulfs damit beantwortet, daß der Bayernherzog „kein Interesse“ an einem ostfränkisch-deutschen Königtum gehabt haben kann, und einen solchen Königsplan entsprechend abstreitet, da das ‚Fragmentum de duce Arnulfo’ Arnulf nur dux, nicht aber rex nennt (112ff.). Heinrich den I. habe Arnulf nach der Einigung von 921 lediglich als primus inter pares anerkannt, obwohl Holzfurtner selbst die relativ häufigen Interventionen Arnulfs in Königsurkunden hervorhebt.

 

So entsteht aus lauter (vom Autor selbst zugegebenen) unsicheren Grundlagen und Vorannahmen ein scheinbar sicheres Bild über das Herzogtum Arnulfs. Zwar wird dem Rezensenten durchaus zugestanden, daß das Herzogtum dieser Zeit noch keine feste verfassungsgeschichtliche Größe gewesen sei, doch werden die Zweifel an der Existenz eines „Stammesherzogtums“ für Bayern schlichtweg bestritten (S. 40f.): Arnulf habe ein solches geschaffen und geformt. Für die vielberufene Mitwirkung des „Stammes“ bei der Errichtung des „Stammesherzogtums“ bleibt aber auch Holzfurtner den Beweis schuldig, weil er ein solches bereits voraussetzt, ohne neuere Studien über den Zusammenhang von Herzogtum und Ethnogenese aufzugreifen (M. Becher zu Sachsen). Arnulfs Herrschaft beruhe nicht einfach darauf, daß er der mächtigste Mann in Bayern war (so seinerzeit der Rezensent), zumal gerade die Machtgrundlage im Südosten mit dem Ungarneinfall zum guten Teil weggebrochen war; Arnulf sei 907 vielmehr dank des Stammeswillens in ein staatliches System eingetreten, das schon längst vor 907 ausgebildet war, jedoch habe er diese Stellung erst begründen müssen (S. 63f.)! Solche Widersprüchlichkeiten durchziehen die Arbeit und machen dem Leser ein Urteil schwer (oder leicht). Die Ergebnisse leiden jedenfalls unter der uneinheitlichen Argumentation, welche die Befunde interpretiert: Für den Besitz werden zwanglos spätere Quellen herangezogen, die Säkularisationen Arnulfs aber werden bestritten, weil es keine zeitgenössischen Quellen dafür gebe! Umgekehrt wird das Schweigen der Quellen über eine bischöfliche Opposition 918/19, anders als in Hohenaltheim 916, ebenso zwanglos als Beweis dafür interpretiert, daß die Bischöfe jetzt offenbar wieder ganz auf Arnulfs Seite standen. Solche Inkonsistenz in der Auswertung erweckt wenig Vertrauen in die Folgerungen.

 

Holzfurtners Verdienst liegt in der Zusammenstellung und Diskussion des Belegmaterials über ein Herzogtum Arnulfs, wobei gegensätzliche Meinungen durchaus nicht übergangen werden. Die Folgerungen aber sind weitreichend: Arnulfs Stellung habe nicht nur die aller anderen Herzöge seiner Zeit (146), sondern seine Leistung selbst die Karls des Großen übertroffen (149), ja ohne ihn wäre die Entwicklung im 12./13. Jahrhundert (also die Wittelsbacher) nicht denkbar (148f.)! Das ist denn doch ein bißchen zuviel Kontinuität. Daß der Rezensent seinerzeit nur wenige Kapitel zu Arnulf ohne neue Erkenntnisse geliefert hat (so H. S. 4), sei gern zugegeben, aber man wird dem strukturellen Rahmen (einschließlich der Bezeichnungen) des frühen Herzogtums andererseits kaum gerecht, wenn man Arnulf, einen der „Begründer der historischen Staatlichkeit Bayerns“, aus strikt bayerischer Sicht (so die Zielsetzung auf S. 6) ohne den notwendigen Blick über den bayerischen Horizont hinaus betrachtet und die Ergebnisse übergreifender Arbeiten oder Vergleiche mit anderen Regionen ausblendet. Holzfurtners Studie mag Arnulf – zu Recht – vom Makel „des Bösen“ befreit haben. Die verfassungsgeschichtliche Erforschung des Herzogtums wirft sie, sollte man den Thesen folgen, trotz unbestreitbarer Verdienste um die Zusammenstellung und Diskussion der einschlägigen Belege, wieder um Jahrzehnte zurück.

 

Hamburg                                                                                              Hans-Werner Goetz