Hoeck, Joachim, Verwaltung, Verwaltungsrecht und Verwaltungsschutzrecht in der Deutschen Demokratischen Republik (= Schriften zur Rechtsgeschichte 103). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 486 S.

 

Die Aufarbeitung der Rechtsgeschichte der vergangenen „Deutschen Demokratischen Republik“ ist in vollem Gange. Dabei stehen naturgemäß Staats- und Verwaltungsrecht im Vordergrund. Die vorliegende Heidelberger Dissertation setzt sich mit der „Staatsphilosophie“ und den „Staatsorganen“ dieses deutschen Übergangsstaates auseinander. Es zeichnet vor allem die Entwicklungslinien des Verwaltungsrechts in der ehemaligen sowjetisch besetzten Zone – der nachmaligen DDR – nach und zieht dazu die nunmehr zugänglichen Archivbestände für den gesamten Zeitraum von der Kapitulation bis zur Wiedervereinigung heran. Vor dem Hintergrund eines Beitrages zur Zeitgeschichte des Rechts zeichnet Hoeck zunächst die justizpolitischen Rahmenbedingungen und Institutionen der Rechtssetzung in der sowjetischen Besatzungszone. Dabei legt er besonderes Gewicht auf die Wiedereinführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Thüringen – beispielgebend auch und gerade für die Wiedereinführung im westlichen Deutschland. Sehr deutlich wird aber schon bald, dass eine Verwaltungsgerichtsbarkeit nach vor dem Kriege vorherrschendem Verständnis, an das die Thüringer Landesverwaltungsordnung angeknüpft hat, sich mit kommunistischem Rechtsverständnis nicht vereinbaren ließ.

 

Der zweite Teil der Arbeit befasst sich dementsprechend auch mit dem Niedergang des Verwaltungsrechts und der Substituierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Ära Ulbricht. Besonders gut herausgearbeitet wird die Etablierung des Eingabenwesens als „Ersatz“ einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dazu unterscheidet Hoeck deutlich zwischen den theoretischen Grundlagen des Eingabenwesens und der praktischen Durchführung. Den Abschluss des zweiten Teils bilden „Experimente mit Formen externen Verwaltungsrechtsschutzes in der Ära Ulbricht vor dem Hintergrund einer Neubestimmung der Rolle des Staates und des Rechts“. Einen Schwerpunkt ergeben dabei die Verfahren der Beschwerdeausschüsse.

 

Im dritten und letzten Teil zeichnet Hoeck dann die Bemühungen und die Ansätze zu einer Renaissance des Verwaltungsrechts auf. Ausgehend von einer Wiederbelebung des Verwaltungsrechts als Organisations- und Leitungsrechts und seiner Ausgestaltung als „Besonderer Teil“ des Staatsrechts wird in der Ära Honecker die Intensivierung der verwaltungsrechtswissenschaftlichen Diskussion untersucht. Dabei wird die einheitliche Lenkung durch das einzige Lehrbuch des Verwaltungsrechts aus dem Jahre 1979 deutlich. Die intensive Diskussion hat schließlich zu dem am 14. 12. 1988, also kurz vor dem Ende der DDR, erlassenen Gesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen geführt. In der Praxis blieb dieses Gesetz freilich wirkungslos.

 

Mit der vorliegenden Dissertation ist erstmals eine umfassende Darstellung und Erläuterung des Stellenwerts – des Nicht-Stellenwerts – des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsrechtsschutzes sowie der Verwaltungsrechtswissenschaften im DDR-System zugänglich. Gerade der ständige Blick auf die politischen Rahmenbedingungen zeigt deutlich, dass die Haltung der SED zur Institution der Verwaltungsgerichtsbarkeit maßgeblich von den politischen Beziehungen zum westlichen Teil Deutschlands beeinflusst wurde. Als Quintessenz stellt Hoeck zu Recht heraus: „Je angespannter die deutschlandpolitische Situation war, desto stärker wurde das Bedürfnis der SED-Führung, sich von der Bundesrepublik auch institutionell abzugrenzen.“ Auch und gerade unter diesem Aspekt haben Staats- und Parteiführung mit dem Beschwerdewesen funktionale Äquivalente zur traditionellen Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen versucht. Das Rechtsschutzvakuum konnte dadurch freilich nicht aufgefüllt werden.

 

Die verdienstvolle Arbeit Hoecks ist es wert, auch in der heutigen Diskussion um die Verwaltungsgerichtsbarkeit immer wieder einmal herangezogen zu werden. Sie vermag uns den hohen Stellenwert und die tiefe Ausformung unseres Rechtsschutzsystems in der Bundesrepublik erst wirklich vor Augen zu führen, das mit der Wiedervereinigung eins zu eins auch in den östlichen Ländern übernommen worden ist.

 

Würzburg                                                                                           Franz-Ludwig Knemeyer