Hermel, Monika, Karl Flesch (1853-1915) – Sozialpolitiker und Jurist (= Fundamenta Juridica 50). Nomos, Baden-Baden 2004. 150 S.

 

Karl Flesch ist auch heute noch aus zwei Gründen bekannt: Einmal war er von Miquel als (wohl nicht ständiges) Mitglied der 2. BGB-Kommission ins Gespräch gebracht worden, nachdem er sich zum 1. BGB-Entwurf aus der Sicht der Wohnungsfrage und der Armenpflege (Armenstiftungen) geäußert hatte. Zum anderen gilt er als „verdienstvoller Vorkämpfer für ein soziales Arbeitsrecht“ (Potthoff 1920; zitiert S. 10f.) vor allem aufgrund seiner Vorträge von 1901 („Zur Kritik des Arbeitsvertrages. Seine volkswirtschaftlichen Funktionen und sein positives Recht. Sozialrechtliche Erörterungen“) und von 1910 („Reform des Arbeitsrechts. Der Arbeitsvertrag im geltenden Recht und die notwendige Entwicklung des Arbeitsverhältnisses aus einem Gewaltsverhältnis zum reinen Rechtsverhältnis“). Karl Flesch (geb. 1853 als Sohn des Frankfurter Kinderarztes Jakob Flesch; gest. 1915) war nach dem Abschluss der juristischen Ausbildung zunächst von 1880-1884 als Rechtsanwalt tätig (in dieser Zeit auch sozialwissenschaftliche Studienreise nach Frankreich, Belgien und England). 1884 wurde er als Vertreter der Fortschrittlichen Volkspartei zum hauptamtlichen Stadtrat der Stadt Frankfurt am Main gewählt. Als solcher leitete er das Armen- und Waisenamt, das ihn mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der unteren Bevölkerungsklassen konfrontierte. Das von seiner Tochter Helene zusammengestellte, von Hermel teilweise korrigierte und erweiterte Schriftenverzeichnis von Flesch umfasst 191 Veröffentlichungen. Der Schwerpunkt liegt bei den Themen Armenpflege (Wohnungsfrage und Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen) und Arbeitsrecht im weitesten Sinn. Nach einem kurzen Lebensabriss beschreibt Hermel die Arbeitsbereiche von Flesch vornehmlich anhand der Publikationen: Allgemeine Armenpflege, Arbeitsvertrag, Gewerbegericht (1887 war Flesch erster Vorsitzender des Frankfurter Gewerbegerichts), Arbeitsnachweise, Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen, Hauspflegeverein und Volksbildung (Ausschuss für Volksvorlesungen). Über die Abgeordnetentätigkeit – Flesch gehörte dem Provinziallandtag und von 1908 bis zu seinem Tode dem Preußischen Abgeordnetenhaus für die Freisinnige Volkspartei an – bringt die Arbeit leider nur wenig Details (vgl. S. 14, 75f.).

 

Im Hauptteil des Werkes (S. 45-116) arbeitet Hermel die „arbeitsrechtlichen Prinzipien“ heraus, die den Publikationen von Flesch zugrunde liegen. Die Ergebnisse werden S. 117ff. unter der Überschrift „Flesch als Sozialpolitiker und Jurist“ zusammengefasst. Flesch war nicht wie seine Zeitgenossen Lotmar, Sinzheimer und Potthoff an einer wissenschaftlichen Erfassung des arbeitsrechtlichen Regelwerkes und an einer „neuen ideologischen Überprüfung“ der Arbeitsbeziehungen interessiert. Vielmehr ging es ihm unter Bejahung der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung darum, das von ihm „im Arbeitsverhältnis festgestellte Machtgefälle von Unternehmer und Arbeiter“ (S. 117) an den von ihm postulierten Prinzipien der Freiheit und Gleichheit zu messen. Hierbei stand das gewerbliche Arbeitsverhältnis der (ungelernten) Arbeitskräfte in der Großindustrie im Vordergrund. Das von Flesch aufgezeigte (außerrechtliche) Machtgefälle sollte durch gesetzliche Restriktionen (u. a. Schutz vor Kündigungen, die keine betriebliche oder persönliche Veranlassung hatten) und durch öffentliche oder innerbetriebliche Maßnahmen abgebaut werden. Hierzu gehörten nach Flesch Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit (u. a. Arbeitszeitregelungen), die Organisation eines öffentlichen Arbeitsnachweises, die Beteiligung der Arbeiter bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsvertrag sowie betriebliche Arbeitervertretungen in den Großbetrieben. Fleschs Ziel war nach Hermel „die größtmögliche Freiheitsgewährung durch gezielte Eingriffe bei willkürlicher Beschneidung der Freiheit“ der Arbeiter (S. 120), wobei sich Flesch auch „den Gesetzgeber ergänzende Koalitionen zur Durchsetzung der Interessen der Arbeiter“ vorstellen konnte. Im Vordergrund stand für Flesch nicht die Lösung der sozialpolitischen Probleme über den individuellen Arbeitsvertrag, sondern deren Lösung durch gesetzgeberisches Handeln (Arbeitslosenversicherung; öffentliche Arbeitsvermittlung). Nicht unbeeinflusst von den sozialpolitischen Diskussionen über den Familienlohn (salaire familiale) dürften die Vorschläge Fleschs zur Lohnregulierung sein. Während aber nach der in Frankreich vorherrschenden Meinung die Arbeitgeber vornehmlich zur Lohnregulierung aufgerufen waren, betrachtete es Flesch als Aufgabe des Gesetzgebers, „den Lohn so zu regulieren, dass die Interessen sowohl des Arbeiters mit als auch ohne Familie ,einigermaßen’ berücksichtigt“ wurden (S. 113). Hierzu gehörten nicht Lohnzuschüsse, sondern etwa unentgeltliche Volksschulen, Wöchnerinnenpflege, kostenfreie Beerdigung, öffentliche Bibliotheken, Erholungsheime für Kinder und Erwachsene, aber auch Maßnahmen zur Reduzierung der Säuglingssterblichkeit und für das Wohnungswesen (vgl. S. 114). Wie Ludwig Fuld (hierzu W. Schubert, in: Die Bedeutung der Wörter, Festschrift für Sten Gagnér, München 1991, S. 421ff.) gehört Flesch zu den herausragenden linksliberalen, auch praktisch tätigen Rechtspolitikern der Kaiserzeit, die durch sozialpolitische Fortschritte die bestehende liberale Gesellschaft festigen und ausbauen wollten. Dies klar herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst der Schrift von Hermel, die im Ganzen nur wenig Wünsche offen lässt. Im Einzelnen ist der Lebensabriss und die Beschreibung der praktischen Tätigkeit Fleschs als Stadtrat etwas sehr kurz geraten. Auch sind einige Veröffentlichungsschwerpunkte nur knapp behandelt, wenn sie wohl auch annähernd vollständig im Rahmen der „arbeitsrechtlichen Prinzipien“ angesprochen sind. Insgesamt liegt mit dem Werk von Hermel ein weiterer wichtiger Beitrag zur Herausbildung der „sozialen Aufgabe“ der Rechtsordnung (vgl. hierzu Tilman Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, Tübingen 2001) in der Vorkriegszeit vor, ein Erbe, das dann die Weimarer Zeit weiter geführt hat.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert