Harke, Jan Dirk, Irrtum über wesentliche Eigenschaften. Dogmatische und dogmengeschichtliche Untersuchung (= Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen N. F. 41). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 147 S.

 

1. An Untersuchungen zur Geschichte des Irrtumsrechts herrscht wahrlich kein Mangel. In den letzten fünf Jahren wurden – das hier anzuzeigende Werk nicht mitgerechnet – wenigstens drei einschlägige Monographien publiziert[1]. Man ist daher gespannt, ob Jan Dirk Harke aus den schon oft hin und her gewendeten Quellen neue Erkenntnisse gewonnen hat. Um es vorwegzunehmen: An neuen Erkenntnissen mangelt es dem Werk nicht, doch sind sie häufig eher in die Quellen hineingelesen als ihnen abgelesen. Zuerst ist die Erkenntnis, dann folgt die Begründung aus den Quellen. Das lässt der Aufbau des Werks klar erkennen: Zuerst (S. 11-42) deutet Harke den Regelungszweck von § 119 Abs. 2 BGB, um sich anschließend seines Verständnisses dieser Norm „durch eine rechtshistorische Untersuchung (zu) vergewissern“ (S. 42). Wer, wie Harke beteuert, aus dem Ergebnis der Quellenexegese Schlüsse ziehen will, sollte diese Schlüsse nicht zuvor „objektiv-teleologisch“ (S. 42) aus dem geltenden Recht gewinnen.

 

2. Doch der Reihe nach: Harkes zentrale These ist, dass § 119 Abs. 2 BGB einen Fall des Erklärungs- oder Inhaltsirrtums regelt. Diese These entspricht der Deutung Schmidt-Rimplers[2]. Ein Irrtum über eine Eigenschaft des Vertragsgegenstandes sei daher wesentlich, wenn der Erklärende irrtümlich davon ausging, die Eigenschaft zum Inhalt seiner Erklärung gemacht zu haben (S. 38ff.). Eben diesen Fall des Eigenschaftsirrtums als eines Inhaltsirrtums hätten, so Harke (S. 43-48), schon die römischen Juristen gemeint, als sie von „error“ redeten. Anders als heute hätte man damals den Irrtum nicht auf den Inhalt einer Willenserklärung, sondern auf den Inhalt des geschlossenen Vertrags bezogen. Erst die „Byzantiner“ hätten im error einen reinen Sachverhaltsirrtum gesehen, und damit die spätere „Fehldeutung“ (S. 42) vorweggenommen (S. 48-52). Demnach hätte der Irrtum über die dem Vertrag zugrundeliegenden Umstände einen dissensus provoziert und so den Vertragsschluss scheitern lassen. Dieser Ansicht sei man im gemeinen Recht gefolgt (S. 52-97); erst Savigny hätte mit seiner Lehre vom „unächten Irrthum“ (Harke vermeidet den authentischen Begriff) in die Spuren des klassischen Rechts zurückgefunden (S. 101-117). Abschließend konfrontiert Harke sein Konzept des Eigenschaftsirrtums als Erklärungs- oder Inhaltsirrtum mit der Rechtsprechung zu § 119 Abs. 2 BGB seit 1900 (S. 121-147).

 

Das Buch ist voll von Thesen, alten und neuen, die der herkömmlichen Einschätzung des Eigenschaftsirrtums widersprechen. Drei davon sind besonders wichtig, geben jedenfalls der Arbeit ihr Gepräge: Zunächst die Deutung von § 119 Abs. 2 BGB als Erklärungs- oder Inhaltsirrtum, dann die Deutung des klassischen error als Inhaltsirrtum und schließlich die These, das Kausalitätskriterium hätte sich im Irrtumsrecht – zusammen mit der Bedingungslehre – erübrigt. Auf diese drei Punkte will ich mich konzentrieren.

 

3. Zunächst zur Genese von § 119 Abs. 2: Hier möchte Harke ergründen, welche Bedeutung man den beiden Tatbeständen des § 119 BGB geben wollte, die man heute als Erklärungs- und Inhaltsirrtum einerseits und als Sachverhaltsirrtum (und ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum) andererseits unterscheidet. Aus den Materialien (S. 13-19), kann er allerdings keine „klare() Gesetzgebungsabsicht“ (S. 21) erkennen. Tatsächlich dürften den Mitgliedern der 2. Kommission die Grenzen des Erklärungs- und Inhaltsirrtums nicht klar gewesen sein und daher auch nicht, ob es für „Sachverhaltsirrtümer“ noch eine besondere Regelung geben müsse und wie weit die schließlich gefundene Ergänzung (§ 119 Abs. 2) reichte.

 

Dennoch resigniert Harke vorschnell. Wer dem historischen Gesetzgeber auf die Spur kommen will, darf es nicht bei der Durchsicht der Motive und Protokolle belassen. Auch die von Jakobs/Schubert publizierten Materialien aus der 2. Kommission – auf die Harke sich im wesentlichen stützt – überliefern uns nur einen Ausschnitt der damals geführten Diskussion. Entscheidend für die in der 2. Kommission beschlossene Fassung des § 119 Abs. 1 BGB ist die Arbeit der Vorkommission im Reichsjustizamt, deren Bedeutung für die ersten zwei Bücher des BGB Schulte-Nölke vor einigen Jahren hervorgehoben hat[3]. Die Vorkommission war, als man den Allgemeinen Teil durcharbeitete, noch klein, und bestand neben dem Vorsitzenden Hanauer und dem Generalreferenten Planck nur aus den drei Hilfsarbeitern der 1. Kommission, die auch beauftragt waren, die gutachtlichen Äußerungen zum 1. Entwurf zusammenzustellen: Börner, Achilles und Struckmann. Diese drei waren, was die wissenschaftliche Diskussion zum rechtsgeschäftlichen Irrtum anbelangte, auf der Höhe der Zeit. Sie hatten sich auch mit den umfangreichen Gutachten und Diskussionsbeiträgen des 20. Deutschen Juristentages auseinandergesetzt[4]. Der Juristentag hatte empfohlen, jeden für den Irrenden wesentlichen Irrtum zu beachten, und als Einschränkung dieses Grundsatzes sowohl die psychologische Irrtumslehre Zitelmanns als auch die quellenmäßigen Fallgruppen verworfen[5]. Dennoch wollte man zu einer Einschränkung des subjektiv kausalen Irrtums kommen; eine bloße Ersatzregelung – wie sie später § 122 enthielt – erachtete man nicht für ausreichend. Nach eingehender Diskussion einigte man sich auf eine Formulierung von Enneccerus, wonach der beachtliche Irrtum „einen nach der allgemeinen Verkehrssitte wesentlichen Punkt“ betreffen musste. Auch diese Lösung hat ihre Vorgänger, aber offenbar war es die Fassung des Juristentags, die Börner, Achilles und Struckmann überzeugte. Übereinstimmend enthalten ihre Anträge an die 2. Kommission daher das Kriterium, dass Willenserklärungen nur dann angefochten werden konnten, „wenn anzunehmen ist, dass er (i. e. der Irrende) dieselbe bei Kenntnis der Sachlage in verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde“.

 

Diesen Hintergrund beleuchtet Harke nicht. Daher kommt er zu dem Schluss, dass das Kausalitätskriterium weder in seiner subjektiven, noch in seiner von Börner, Struckmann und Achilles vertretenen objektiven Form in der Gesetzgebung eine besondere Rolle gespielt hat (S. 18f.). Das zeige sich daran, dass die 2. Kommission über die Kausalität des Irrtums erst verhandelt habe, als man über den „Irrtumsbegriff“ bereits entschieden hatte (S. 18). Diese Folgerung ist unzulässig, die These insgesamt unrichtig. Die Folgerung ist deshalb unzulässig, weil sich aus der Ablehnung des Wilkeschen Antrags durch die zweite Kommission (auf die Harke sich im wesentlichen stützt) nur ergibt, dass man auf das Kriterium der Erkennbarkeit des Irrtums verzichten wollte. Unrichtig ist Harkes These insgesamt, weil mit der Bestimmung des „Irrtumgsbegriffs“ eben auch die Frage vorentschieden war, welcher Irrtum beachtlich sein soll – nämlich der subjektiv wie objektiv kausale Irrtum. Im übrigen kann auch Harke nicht bestreiten, dass in der Vorkommission und auch in der 2. Kommission das traditionelle Bild vom beachtlichen Erklärungsirrtum auf der einen und vom unbeachtlichen Motivirrtum auf der anderen Seite gehörig ins Wanken geraten war. Daher hatte man sich in der Vorkommission auf folgende Sprachregelung geeinigt: Mit dem Irrtum über den Inhalt der Erklärung erfasste man den Irrtum darüber, „was zum Thatbestande des Geschäfts erhoben sei“[6]. Diese Sprachregelung versuchte man – gegen Widerstände – auch in der 2. Kommission beizubehalten. Börner wurde dabei „von dritter Seite“ unterstützt[7] mit dem Hinweis, dass von der Regelung alle die Sachverhaltsumstände erfasst sein sollen, die „juristisch zum Inhalt des Rechtsgeschäfts“ gehören.

 

Das alles sind Tatsachen, nachlesbar und überprüfbar. Wie man sie bewertet, ist natürlich eine andere Sache. Zweifellos spielt dabei eine wesentliche Rolle, wen man als „Gesetzgeber“ ansieht. Harke hält dafür die 2. Kommission, in der den meisten Mitgliedern wohl tatsächlich nicht bewusst war, dass man mit der Übernahme des Börnerschen Vorschlags das Irrtumsmodell Savignys aufgab. Wenn man – was verfassungsrechtlich korrekt wäre – den Reichstag als Gesetzgeber ansieht, dann kommt man allerdings mit der dem Reichstag vorgelegten Denkschrift[8] zur alten Savigny-Zitelmannschen Irrtumslösung zurück[9]. Wenn man aber auf die Diskussion in der Vorkommission abstellt, weil die dort gefundene Textierung des § 119 Abs. 1 BGB schließlich Gesetz wurde, dann – ja dann ist klar, dass jeder Irrtum beachtlich sein muss, der „nach verständiger Würdigung des Falles“ für den Irrenden wesentlich war.

 

Harke entscheidet sich für keine dieser immerhin drei Möglichkeiten. Weil für ihn die subjektiv-historische Auslegung kein eindeutiges Ergebnis bietet, versucht er einen „objektiv-teleologischen“ Zugriff. Zunächst (S. 21ff.) erörtert und kritisiert er die Entwürfe von Titze (S. 21-24), Flume (S. 24-32) und Brauer (S. 33-38), ehe er sich – mit weiteren Argumenten – jenem von Schmidt-Rimpler anschließt (S. 38-42). Dagegen ließen sich, wie in der Vergangenheit bereits geschehen[10], verschiedene Einwände erheben; jedenfalls aber widerspricht diese Deutung dem Willen des Gesetzgebers – wen immer man dafür hält. Aus der Diskussion in der 2. Kommission ergibt sich eindeutig, dass § 119 Abs. 2 deshalb eingefügt wurde, weil man sich nicht einig war, ob § 119 Abs. 1 jeden Sachverhaltsirrtum, etwa auch den error in substantiali qualitate, erfasse. Auf dieses Problem, dass die subjektiv-historische Deutung die objektiv-telelogische ausschließt, geht Harke nicht ein. Hier, chronologisch am Ende der Geschichte des Eigenschaftsirrtums, kündigt Harke vielmehr an, die Deutung des Eigenschaftsirrtums als Sachverhaltsirrtum und Motivirrtum als Fehldeutung zu erweisen, und zwar als Fehldeutung aus der Sicht des römischen Rechts.

 

4. Damit kommt Harke zu einem weiteren Kernpunkt seiner Untersuchung, dem er allerdings noch eine besondere Publikation (seine Habilitationsschrift) widmen wird[11]: dem Irrtum beim Vertragsschluss im klassischen und justinianischen Recht. Vielleicht liegt es an der Kürze der hier vorweggenommenen Ausführungen, dass sie – jedenfalls beim Rezensenten – ein Fragezeichen hinterlassen. Harke sieht einen wesentlichen Unterschied zwischen der klassischen Irrtumslehre einerseits und der byzantinischen und der des gemeinen Rechts andererseits. Während für die Römer error der Irrtum über den „objektiven Geschäftsinhalt“ (so S. 44ff.) gewesen sei, soll Justinian error nur als einen von mehreren Fällen eines dissensus eingestuft haben. Das schließe aber nicht aus, dass auch Ulpian (D. 18,1,9) error und dissensus gleichsetze. Bei ihm führe nur ein error zum Dissens, bei den Byzantinern stehe der Dissens im Vordergrund, zu dem auch ein Sachverhaltsirrtum (error) einer Partei führe. Genau darin liegt aber der entscheidende Unterschied zu den Klassikern: Während die Byzantiner den error als Sachverhaltsirrtum beschreiben, hätten die Klassiker darin einen Irrtum über den „objektiven Geschäftsinhalt“ gesehen – den Vorläufer von Savignys „unächtem Irrthum“.

 

Diese These, die Klassiker hätten im konsenshindernden Irrtum einen Irrtum über den „objektiven Geschäftsinhalt“ gesehen, klingt interessant. Eigentlich ist es hier zu früh, diese These zu überprüfen; man sollte ihre ausführliche Deduktion aus den Quellen abwarten. Dennoch drängt sich die Frage auf, was für die klassischen Juristen „objektiver Geschäftsinhalt“ war. Beschreibt nicht auch Ulpian (D. 18,1,9 pr.) den Irrtum dahin, dass der Verkäufer dies, der Käufer jenes „glaubt“ (putarem/putasti)? Was ist da „objektiv“ geschehen? Man kann natürlich (was Harke nicht tut!) auf die lex venditionis (locationis) abstellen, von deren Auslegung den Geschäftsinhalt abhängig machen und jede davon abweichende Vorstellung als „error“ klassifizieren. Aber wie soll man dann bei der Stipulation verfahren, wo der Sachgläubiger (also der Käufer) den Vertragsinhalt formuliert und sich dabei über das corpus irrte (D. 45,1,83,1)? Ist dann die irrtümliche Vorstellung „objektiver Vertragsinhalt“ oder die objektive Bedeutung der Stipulationsfrage? Natürlich wird der römische Richter zunächst von der Behauptung des Gläubigers ausgehen; das war damals nicht anders als es heute ist: Der Gläubiger fordert die Leistung, an die er gedacht hat, der Schuldner wendet ein, er habe etwas ganz anderes versprochen. Dann müsste man aber den error darin sehen, dass der Schuldner darüber geirrt hat, was der Gläubiger gedacht hat, und folglich, dass genau das, was der Gläubiger gedacht hat, objektiver Geschäftsinhalt ist. Das wird wohl niemand annehmen.

 

Einfacher ist Harkes These zu erklären, wenn man auf die Fälle abstellt, wo ein bestimmter Gegenstand versprochen ist, und über seinen Stoff (bei der Sache) oder sein Geschlecht (beim Sklaven) geirrt wurde. Hier kann man ja sagen, dass der Gegenstand „objektiv festgestellt“ (vgl. S. 44) ist und der error in einer „Gattungsverwechslung“ (S. 47) besteht. Wenn man in der Einigung über das corpus den vertraglichen „Minimalkonsens“ sieht und insoweit den „objektiven Geschäftsinhalt“ erkennt, bleibt aber immer noch die Frage, worüber ein error in materia unterläuft. Der Minimalkonsens über das corpus sagt noch nichts darüber, ob man auch über den Stoff konsentiert hat. Insoweit besteht doch gerade kein „objektiver Geschäftsinhalt“. Das zuvor beschriebene Problem, „objektiv“ festzustellen, was Geschäftsinhalt werden sollte, wiederholt sich auf der Ebene von Stoff oder Geschlecht des Kaufgegenstands. Besonders deutlich sieht man das, wenn beiden Parteien ein error in materia unterlief (D. 18,1,14). Für Harke ist das kein Anlass, seine These zu hinterfragen: „Die gemeinsame Annahme einer anderen als der objektiv bestimmten (!) materia bewirkt keinen vom objektiven Vertragsinhalt verschiedenen consensus“ (S. 45). Genauer: Wenn der Käufer glaubt (sentit), die viriola sei von Gold, und ebenso der Verkäufer, dann unterliegen eben beide einem Irrtum über den „objektiven Geschäftsinhalt“. Der „objektive Geschäftsinhalt“ ergibt sich offenbar aus der Tatsache, dass die viriola tatsächlich aus Bronze ist. Wenn das wirklich Harkes Ansicht ist, wiederholt er nur die Identifikationstheorie seines Lehrers[12] und setzt sich damit all den Einwänden aus, der auch die Identifikationstheorie ausgesetzt war[13]. Insbesondere lässt sich dann nicht erklären, warum Julian (D. 18,1,41,1), Marcian (D. 18,1,45) und Paulus (D. 19,1,21,2) in einem solchen Fall beiderseitigen „Irrtums“ Gewährleistungsansprüche des Käufers vorsahen. Genau an diesem Punkt gerät Harkes Begründung ins Stocken. Über die bloße Behauptung, in den zuletzt genannten Texten läge kein Irrtum über den Geschäftsinhalt vor, kommt Harke nicht hinaus (S. 46).

 

Gleichwohl trifft Harke mit seiner These einen, um nicht zu sagen den dunklen Punkt der römischen Irrtumslehre: das Phänomen nämlich, dass die einschlägigen Quellen nur dann von einem wirksamen Konsens ausgehen, wenn der übereinstimmende Wille der Parteien den konkret vorliegenden Vertragsgegenstand in seinen wesentlichen Kategorien korrekt beschreibt. Einigt man sich über B, obwohl A vorliegt, scheitert der Vertrag am Dissens. Ein Gegenüber von Sein und Sollen, von Wirklichkeit und vertraglicher Leistungspflicht, thematisieren die römischen Juristen im Irrtumsrecht nicht. Diese – aus heutiger Sicht seltsame – Konsenslehre gab in den vergangenen Jahrzehnten Anlass zur Auseinandersetzung zwischen Dissens- und Identifikationstheorie[14]. Harke möchte diese Auseinandersetzung vom Boden der Identifikationstheorie aus dadurch entschärfen, dass er den Vertragsgegenstand selbst zum „Geschäftsinhalt“ erhebt und prüft, ob und inwieweit die Parteien über diesen „Geschäftsinhalt“ irren. Das Vertragsobjekt selbst kann den Geschäftsinhalt aber nur bestimmen, wenn feststeht, was Vertragsobjekt ist. Deswegen stützt Harke sich vor allem auf jene Entscheidungen, in denen die Parteien zwar über das corpus konsentierten, über seine materia (oder seinen sexus) aber irrten (S. 44-46). Damit gerät er aber nach zwei Seiten hin in Schwierigkeiten: Ein error in corpore lässt sich mit seinem Modell gar nicht erklären, weil es eben hier am „Geschäftsinhalt“ fehlt. Andererseits kann er sein Modell nicht gegen Gewährleistungsentscheidungen abgrenzen, in denen es um die Divergenz von Sollen (vertraglicher Konsens) und Sein (geleisteter Gegenstand) geht. Davon zu sprechen, die römischen Juristen hätten im error einen Irrtum über den Geschäftsinhalt gesehen, scheint mir unter diesen Umständen äußerst gewagt.

 

5. Sicher werden wir in der umfassenderen Publikation mehr über Harkes These erfahren. Hier allerdings bleibt sie vage, und das ist vor allem deshalb misslich, weil sie auch die zentrale These dieses Buchs ist. Wenn es keine „Rückkehr zur römischen Irrtumslehre“ (S. 97ff.) durch Savigny und das Bürgerliche Gesetzbuch gibt, fehlt dem Buch die Pointe. Alles andere nämlich, die Geschichte der abendländischen Irrtumslehre, der Harke sich im dritten Teil (S. 52-117) widmet, ist hinlänglich beschrieben. Erwähnenswert ist allerdings, wie Harke den Unterschied zwischen der Grotianischen und der Pufendorfschen Bedingungslehre herausarbeitet. In diesem Zusammenhang ist auf die dritte zentrale These einzugehen, die Harkes Arbeit kennzeichnet: Vielleicht angeregt durch die Bedingungslehre Pufendorfs (vgl. S. 84ff.) beschreibt Harke das Kausalitätskriterium als Funktion des Sachverhaltsirrtums und meint damit zeigen zu können, dass dieses Kriterium in der naturrechtlichen Bedingungslehre eine späte Blüte erlebt, um sich dann in der Irrtumslehre des Thomasius und später Savignys selbst aufzuheben.

 

Es würde hier zu weit führen, diese Gedankenreihe im einzelnen darzulegen und zu widerlegen. Lediglich auf drei wichtige Dinge möchte ich hinweisen. Der erste Punkt ist der geringste: Wenn man bedenkt, dass es Grotius um die Zurechnung von Handlungen, Pufendorf dagegen um die Gültigkeit von Verträgen geht, jener sich aber gleichwohl auf Grotius’ Theorie stützt, erhält der von Harke beobachtete Paradigmenwechsel im Bedingungsrecht etwas weniger drastische Konturen. Zumindest müsste man Christian Wolff nicht vorwerfen (S. 91), er habe Pufendorf oder Grotius (oder beide) missverstanden.

 

Entscheidend ist aber der zweite Punkt: Das Kausalitätskriterium ist nicht an den Sachverhaltsirrtum gebunden. Jeder Irrtum, gleich wie man ihn definiert, kann nur dann die Gültigkeit von Willenserklärung oder Vertrag treffen, wenn der Irrende bei Kenntnis der wahren Umstände nicht gehandelt – also etwa nicht erklärt oder kontrahiert – hätte. Zu den „Umständen“ rechnet natürlich auch der „objektive Geschäftsinhalt“ oder die objektive Erklärungsbedeutung. Mit anderen Worten: nur kausale Irrtümer wird eine Rechtsordnung beachten, wenn sie sich überhaupt dazu durchringt, auf den tatsächlichen Willen einer Partei zu achten.

 

Ebenso entscheidend ist der dritte Punkt: Die naturrechtliche Bedingungslehre ist nur eine Erscheinungsform, ein Reflex des Kausalitätskriteriums. Indem man dem Irrenden zubilligte, nur unter bestimmten Bedingungen kontrahiert zu haben, erspart man sich die durchaus aufwendige Begründung, warum man einen Irrtum überhaupt beachtet. Man macht so die Abwesenheit eines Irrtums einfach zur conditio tacita des Vertrags. Das ist ein dogmatischer Kunstgriff, der später noch vielfach wiederholt wurde[15], der aber immer (und bis heute) daran krankt, dass er mit einer Fiktion arbeiten muss: Der Irrende soll bei Vertragsschluss etwas vorausgesetzt haben, woran er – wegen seines Irrtums – noch gar nicht gedacht hat. Das ist solange unproblematisch, solange es (wie noch bei Grotius) um die Zurechnung, Vorwerfbarkeit oder Gültigkeit von Handlungen geht. Wo es aber nicht mehr um die Beurteilung einer Handlung geht, sondern um rechtliche Kommunikation, gerät diese Figur in Schwierigkeiten. Wie sollte der andere Teil etwas von der conditio tacita ahnen, wenn sie „tacita“ geblieben ist? Das ist die Überlegung, die Pufendorf und spätere Naturrechtler zu Änderungen von Grotius’ Bedingungslehre zwingt und die schließlich im kategorischen error nocet erranti des Thomasius mündet. Damit ist der Versuch endgültig gescheitert, die Beachtlichkeit eines Irrtums ausschließlich daran zu messen, ob er für den Irrenden selbst wesentlich war. Dieses also, die ausschließliche Orientierung des Irrtums an seiner subjektiven Kausalität, „drängt zu ihrer eigenen Aufhebung“, um mit den Worten Harkes zu reden (S. 78). Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

 

Die irrtumsrechtliche Bedingungslehre ist also nur eine handlungstheoretische Episode, das Kausalitätskriterium aber ein zentrales Kriterium jeder irrtumsrechtlichen Regelung. Denn wer auch ohne den Irrtum (gleich welcher Art) kontrahiert hätte, soll sich vom Vertrag nicht lösen können. Unterschiedlich sind die Wege, den Kreis denkbarer subjektiver Irrtümer einzuschränken. Nur insoweit unterscheiden sich die historischen und gegenwärtigen Modelle des beachtlichen Irrtums. Der Wechsel der Perspektive vom Sachverhaltsirrtum zum Erklärungsirrtum hat daran nichts geändert. Daher bleibt, jedenfalls für den Rezensenten, unklar, wie Harke den Kreis beachtlicher Irrtümer einschränken möchte, wenn er „das Kausalitätskriterium als Maßstab des relevanten Irrtums“ für untergegangen hält (S. 118).

 

6. Zum Schluss möchte ich auf zwei methodische Probleme hinweisen. Das erste wurde in den vorstehenden Bemerkungen bereits mehrfach angesprochen: Harkes tour d’horizon durch das europäische Irrtumsrecht ist eigentlich keine rechtshistorische, sondern eine rechtsvergleichende. Die verschiedenen irrtumsrechtlichen Entwürfe stehen für ihn nebeneinander und auf einer Stufe, und so vermeint er sie an modernen Maßstäben messen zu können. An zeitbedingte Besonderheiten verschwendet Harke kaum Gedanken. Dass etwa die römischen Juristen unter „Willen“ und „Konsens“ etwas anderes verstanden haben könnten als wir heute, kommt ihm gar nicht in den Sinn. So erklärt sich etwa die Behauptung, „seit den Byzantinern“ sei „der Vertrag keine unzerlegbare Einheit mehr, sondern die Summe von Parteiakten“ (S. 104). Erst Grotius aber „zerlegte“ den Vertrag in seine Beiträge, die promissiones, Vorläufer des actus iuridicus und damit der modernen „Willenserklärung“. Aus seiner Perspektive der Gleichzeitigkeit historischer Vorgänge und Ereignisse ist auch erklärlich, warum Harke den psychologischen Ansatz von Savignys Irrtumslehre als „Scheinwahrheit“ (S. 118) beurteilen kann. Eine Projektion moderner Dogmatik erkenne ich auch in Harkes Deutung von Savignys error in substantia als eines nur ausnahmsweise beachtlichen Irrtums (S. 108f.) Dass Savigny den error in substantia tatsächlich als Fall des „unächten“ Irrtums eingestuft hat, ergibt sich schlagend schon aus dem Satz, mit dem er § 139 seines „Systems“ einleitet[16]. Auf die weitere Beweisführung muss ich hier verzichten[17]. Wer allerdings von der modernen Lehre ausgeht, dass § 119 Abs. 2 BGB einen nur ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum regelt, kommt ohne weiteres zu Harkes Lesart von Savignys error in substantia. Dogmengeschichte sollte aber mehr sein als vergleichende Dogmatik; sie muss damit rechnen, dass Begriffe und Figuren, die heute wie damals auftauchen, verschieden konzipiert oder verstanden wurden. Das alles braucht Zeit, genaues Hinhören und intensives Quellenstudium – nicht nur der Quellen, die man verarbeitet und zitiert, sondern auch jener, die man im Umfeld des eigentlichen Themas ausfindig macht und die es erst erlauben, eine bestimmte Quelle so und nicht anders zu deuten.

 

Das zweite Problem fällt vielleicht nur dem Rezensenten auf, und zwar weil er persönlich davon betroffen ist. Mehrfach erhebt Harke Widerspruch gegen Befunde, zu denen ich angeblich in meiner Untersuchung über die Geschichte des beachtlichen Irrtums gekommen bin. Häufig geht der Widerspruch aber ins Leere, weil Harke mir Behauptungen zuschreibt, die ich gar nicht oder doch nicht in der von ihm gewählten Betonung gemacht habe. Natürlich neigt man dazu, den Standpunkt des anderen zu überzeichnen, um für die eigenen Argumente eine günstigere Angriffsfläche zu gewinnen. Aber die Fälle, in denen mir Harke unvollständige oder gar unrichtige Behauptungen in den Mund legt, gehen doch über das gewöhnliche Maß hinaus.

 

So schreibt Harke (S. 80) etwa: „Seine (i. e. des Connanus) Worte sind entgegen Schermaier nicht als Ausbruch aus dem Schema: essentialia- accidentalia, sondern als Plädoyer für dessen individuelle Interpretation zu verstehen“. Von einem „Ausbruch“ des Connanus habe ich aber nie gesprochen, im Gegenteil: „Connanus hält sich nicht … damit auf, einzelne Kategorien dem Schema essentialia/accidentalia contractus zuzuordnen, sondern hebt die Diskussion auf eine andere Eben: Den Ausschlag soll geben, was für die irrende Partei wesentlicher Bestandteil des Vertrages war.“ Harke behauptet also „entgegen Schermaier“ genau das, was Schermaier schon geschrieben hatte. Weiter: Wenn bei Pufendorf ein Irrtum nur beachtlich ist, wenn die (irrtümliche) praesumptio facti dem anderen Teil erkennbar war, habe ich darin nicht – wie Harke meint (S. 85 mit Anm. 144) – eine „Fortbildung des Vertrauensschutzes“, wie in Grotius installiert hatte, gesehen. Vielmehr habe ich gesagt, dass durch Pufendorfs Einschränkung der von Grotius durch einen Schadensersatzanspruch verwirklichte Vertrauensschutz sich erübrige[18].

 

Solche Beispiele lassen sich beliebig vermehren[19], aber nur drei davon, in denen Harke solcherart „Türken“ aufbaut, sollen noch erwähnt werden: Das Erfordernis Savignys, ein „unächter Irrthum“ müsse dem anderen Teil „erkennbar“ sein oder werden, habe ich als Problem seiner „Erweislichkeit“ bewertet[20]. Harke macht ohne weiteres daraus „Beweisbarkeit“ (S. 103). Auf S. 15 schreibt Harke: „Die zitierte Bemerkung, die Schermaier zur Deutung von Börners Antrag einsetzt, stammt im übrigen nicht von Börner, sondern von dritter Seite“ – eben darauf wies ich selber hin[21]; aber wer sich davon nicht gleich vergewissern kann, muss annehmen, dass mir dieser für meine Argumentation nicht ganz unwesentliche Umstand entgangen war. Mehrfach hatte ich betont, dass weder die 2. Kommission noch Börner selbst eine klare Vorstellung vom „Inhaltsirrtum“ hatte, und dass schon in der 2. Kommission die alten Vorstellungen vom „Motivirrtum“ das neue Kriterium der „objektiven Kausalität“ überwucherten[22]. Harke stellt meine Untersuchung allerdings so vor, als hätte ich beides, den „Geschäftsirrtum“ (wie man ihn heute nennen würde) und das Kausalitätskriterium, als planmäßige Entscheidung der 2. Kommission präsentiert. So heißt es bei Harke (S. 17): „Entgegen Schermaier hat Börner also keineswegs gewusst, dass der Inhaltsirrtum auch Sachverhaltsirrtümer erfasst“. Das habe ich auch nicht behauptet. Vielmehr liest man an der inkriminierten Stelle: „Man muss einräumen, dass weder Börner noch die Mitglieder der 2. Kommission eine klare Vorstellung vom ,Inhaltsirrtum’ hatten, außer dass er auch bis dahin mitunter zu den ‚Motivirrtümern’ gerechnete Sachverhaltsirrtümer erfassen sollte“[23]. Überhaupt gewinnt man aus Harkes Darstellung den Eindruck, ich hätte der 2. Kommission unterstellt, sie meine mit „Inhaltsirrtum“ die Fälle des Sachverhaltsirrtums (vgl. Harke, S. 17f.). Richtig ist aber, dass ich fortwährend betone, die Vorkommission und die 2. Kommission hätten zum Inhaltsirrtum auch Sachverhaltsirrtümer gerechnet[24].

 

7. Das anzuzeigende Werk hinterlässt insgesamt – zumal beim Rezensenten – einen recht gemischten Eindruck. Den erwähnten Unzulänglichkeiten steht gegenüber, dass Harke den erreichten Forschungsstand prägnant zusammenfasst und in vielen Details durch eigene Beobachtungen ergänzt. In der Darstellung ist er wortgewandt, knapp und wird sicher viele Leser in seinen Bann schlagen. Überall ist des Autors Wille zur Gestaltung spürbar, und sein Scharfsinn ermöglicht ihm neue Thesen und Deutungen. Dieser Segen wird im historischen Teil der Arbeit aber auch zum Fluch: Die Quellen bringt man zum Sprechen, indem man ihnen zuhört, nicht, indem man sie zum Reden zwingt.

 

Münster                                                                                                         Martin Schermaier



[1] M. J. Schermaier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB, 2000; D. Schwaab, Zum Irrtum beim Vertragsschluß, 2000; M. Löhnig, Irrtum über Eigenschaften des Vertragspartners, 2002. Nicht mit dem vertraglichen Irrtum, aber mit dem Irrtum als Grund fehlender Vorwerfbarkeit oder guten Glaubens beschäftigt sich D. Deroussin, Le juste sujet de croire dans l’ancien droit français, Paris 2001.

[2] Vgl. W. Schmidt-Rimpler, Eigenschaftsirrtum und Erklärungsirrtum, in: FS Lehmann (1956), 213ff.; ihm folgt Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 119 Rn. 25f.; weitere Hinweise bei HKK/Schermaier, §§ 116-124, Rn. 66.

[3] H. Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995.

[4] Inbesondere die Gutachten von M. Heinsheimer und R. Leonhard in: Verhandlungen des 20. Deutschen Juristentages, 3. Bd., Berlin 1889 sowie die Diskussionsberichte: 4. Bd., Berlin 1889.

[5] Ausführlich dazu und mit weiteren Nachweisen Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 664f.

[6] Jakobs/Schubert I, 623; dazu Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 669f.; Harke, S. 16f.

[7] So verzeichnen die Prot. I 109 (= Mugdan, I 717).

[8] Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, abgedruckt bei Mugdan I 821ff.

[9] Ausführlich dazu Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 694ff.

[10] Etwa von H. Goltz, Motivirrtum und Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag, 1973, 188ff.

[11] Angekündigt und mittlerweile erschienen als: J. D. Harke, Si error aliquis intervenit – Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht, 2004.

[12] J. G. Wolf, Error im römischen Vertragsrecht, 1961; ähnlich wie Wolf U. Zilletti, La dottrina dell’errore nella storia del diritto romano, 1961. Der Begriff „Identifikationstheorie“ stammt von F. Wieacker, Irrtum, Dissens oder gegenstandslose Leistungsbestimmung?, in Mélanges Meylan I, 1963, 383ff., 392.

[13] Im Überblick dazu M. Schermaier, Materia, 1992, 123ff.

[14] Für die Dissenstheorie etwa Th. Mayer-Maly, Bemerkungen zum Aspekt der Konsensstörung in der klassischen Irrtumslehre, in: Mélanges Meylan I, 1963, 241ff.; S. E. Wunner, Contractus. Sein Wortgebrauch und Willensgehalt im klassischen römischen Recht, 1964, 146ff.

[15] Hier sei nur erinnert an Windscheids Voraussetzungslehre oder Oertmanns Geschäftsgrundlagenlehre; zur conditio tacita als entscheidender Figur für die Fortbildung des englischen Leistungsstörungsrechts etwa R. Zimmermann, „Heard melodies are sweet …“, AcP 193 (1993), 121ff.

[16] Savigny, System III, 302: „Es ist bisher eine Reihe von Fällen angegeben worden, in welchen der Irrthum bey einem Rechtsgeschäft als ein wesentlicher, das heißt den Willen ausschließender, zu betrachten ist (§§ 135-138)“. In den §§ 137 und 138 wird der error in substantia behandelt.

[17] Vgl. aber Bestimmung (o. Anm. 1), 490ff.

[18] Schermaier, Bestimmung (o. :Anm. 1), 186.

[19] Z. B. Harke, S. 82 Anm. 126; S. 85 Anm. 146; S. 109f. Anm. 266; S. 111 Anm. 281.

[20] Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 490.

[21] Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), S. 682 Anm. 468.

[22] Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 682ff., 685, 717.

[23]             Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 717.

[24]             Vgl. vor allem Schermaier, Bestimmung (o. Anm. 1), 681 ff.