Günther, Bettina, Die Behandlung der Sittlichkeitsdelikte in den Policeyordnungen und der Spruchpraxis der Reichsstädte Frankfurt am Main und Nürnberg im 15. bis 17. Jahrhundert (= Rechtshistorische Reihe 289). Lang, Frankfurt am Main 2004. 221 S.

 

Die Untersuchung ist die im Graduiertenkolleg Rechtsgeschichte an der Universität Frankfurt am Main entstandene Dissertation der zeitweise am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte als wissenschaftliche Hilfskraft, seit 1999 in der Arbeitsgerichtsbarkeit Hessens tätigen Verfasserin. Sie verfolgt für die Zeit zwischen 1450 und 1650 die Zielsetzungen der Räte der Reichsstädte Frankfurt am Main und Nürnberg für Sittlichkeit und Ehe. Darüber hinaus geht sie auch an Hand unveröffentlichter Quellen auf die Durchsetzung der Ordnungen in der Wirklichkeit ein.

 

Dementsprechend gliedert sie die Arbeit in vier Teile. In der Einleitung beschreibt sie zunächst ihre Grundlagen und den Forschungsstand. Danach legt sie ihre Vorgehensweise dar, mit der sie innerhalb der Strukturen und Konstellationen Entstehung und Wirksamkeit von Polizeiordnungen ermitteln will.

 

Im Rahmen des theoretischen Entwurfs des reichsstädtischen Sittenlebens durch die Normsetzung des Rates behandelt sie die Beseitigung sittlicher Unordnung im allgemeinen, den Schutz der Ehe, den Schutz der Ehre der Frau, Verhaltens- und Kleidervorschriften, gewerbliche Unzucht und den Schutz unehelicher Kinder. Ziemlich ausführlich erörtert sie die in Begründungen erkennbaren Motive, die teils sozialer, teils ökonomischer und teils religiöser Natur sind. Als Anlässe und Ursachen von Regelungen werden Angst vor dem Zorn Gottes und Ohnmacht gegenüber Seuchen, Naturkatastrophen und Krieg sichtbar.

 

Bei der Durchsetzung der gesetzten Vorschriften schildert sie die drei vorhandenen Verfahrensarten und die Urteilsgrundlagen im schöffengerichtlichen Prozess (Halsgericht, Ehegericht) und im niedergerichtlichen, autonom-städtischen Verfahren. Dabei ordnet sie dem Prozess vor den Schöffen das gesetzte Recht zu. Demgegenüber sieht sie das niedergerichtliche, autonom-städtische Verfahren als Verfahren nach Willkürrecht.

 

Im Ergebnis erkennt sie sittlich-religiöse und weltliche Determinanten. Sie erweist den emanzipatorischen Charakter städtischer Ordnungsgebung und Rechtsprechung, in deren Verlauf die Polizeiordnung von der deklaratorischen Verlautbarung zur Normengrundlage wird. Für ihren Untersuchungszeitraum ermittelt sie dabei überzeugend, dass der Wandel der Polizeiordnung zur verbindlichen Normengrundlage für die Rechtsprechung noch nicht vollzogen ist.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler