Frenz, Barbara, Frieden, Rechtsbruch und Sanktion in deutschen Städten vor 1300. Mit einer tabellarischen Quellenübersicht nach Delikten und Deliktsgruppen (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen 8). Böhlau, Köln 2003. XVII, 809 S.

 

Diese aus dem Sonderforschungsbereich „Entstehung des öffentlichen Strafrechts“ erwachsene Darstellung, die von Gerhard Dilcher intensiv betreut wurde und eingeleitet wird, will ein Panoptikum des städtischen Strafrechts in Deutschland bis 1300 bieten. Den größten Umfang nimmt der besondere zweite Teil ein, der aus allen herangezogenen Quellen eine nach Tatbeständen aufgelistete Zusammenstellung der Verbrechen liefert. Nach Tatbeständen sortiert kann der Leser hier also finden, welche Strafen in den Städten bei „Grundruhr“ oder Ungehorsam gegen die Obrigkeit angeordnet waren. Unklar bleibt dabei, nach welchen Kriterien die Verfasserin Stadtrechte ein- und ausgeschlossen hat. So wird auf Quellen bis Nowgorod verwiesen, aber niederrheinische werden nicht einbezogen. Was „deutsche Städte“ sind, bleibt ohne Erklärung; immerhin wird gelegentlich auf andere Länder verwiesen. Die Suche nach den Merkmalen der deutschen Stadtrechte lässt auch nicht deutlich werden, inwieweit man regional zwischen den verschiedenen Stadtrechtsfamilien differenzieren muss.

 

Demgegenüber stellt der erste Teil die allgemeinen Lehren aus den ausgewählten Quellen zusammen. Die Verfasserin fragt, ob es ein besonderes Strafrecht der mittelalterlichen Städte in Deutschland gab. Zu diesem Zweck werden die strafrechtlich relevanten Ordnungsvorstellungen und die entsprechenden Herrschaftslagen in den Städten untersucht. Insbesondere richtet sich das Augenmerk (1.) auf die Vermischung alter Gewohnheiten mit neuer Willkür, (2.) die Entstehung eines öffentlichen Strafanspruchs sowie (3.) die Ausrichtung des Strafrechts auf Individuen.

 

Zum ersten Fragenkomplex arbeitet die Verfasserin die besondere Bedeutung der pax für den städtischen Bereich heraus, womit die juristische Austragung von Streitigkeiten anstelle von Gewalt gemeint war. Der Gerechtigkeit wurde eine zentrale Bedeutung in dem Sinn zugemessen, dass den Angeklagten unabhängig von der sozialen Schicht die gleichen Chancen vor Gericht zukommen sollten. In diesem Bemühen waren sich die konkurrierenden Gerichtsbarkeiten von Stadtherr und Ratsgerichtsbarkeit einig, so dass dieses Element zunehmend entwickelt wurde. In Bezug auf die zweite Leitfrage stellt die Verfasserin vor allem auf das Hehlsühneverbot ab: Damit wurde den Parteien untersagt, sich während eines Prozesses auf eine Sühneleistung zu einigen. Hierin sieht die Verfasserin eine wichtige Manifestation eines öffentlichen Strafwillens, auch wenn private Bußleistungen noch lange parallel weiter bestehen sollten. Schließlich (zu 3.) macht die Verfasserin deutlich, dass die Stadtrechte zunehmend auf die Schicht des Täters und die Tatumstände abstellen, woraus die Verfasserin auf die Individualisierung schließt.

 

Dies wird eingebunden in eine gut lesbare, große Darstellung, welche die Quellen interpretiert und vergleicht. Die historische Literatur wird umfassend, die rechtshistorische nur selektiv herangezogen. Dies erklärt sich daraus, dass die Verfasserin an einer historischen Beschreibung, nicht jedoch an einer Dogmengeschichte interessiert ist. Die Einbeziehung der Kanonistik hätte gleichwohl noch mehr das Verständnis solcher Begriffe wie pax und iustitia in ihren Konnotationen bereichert.

 

Mit großer Kenntnis werden die verschiedenen Institutionen und Begriffe erklärt wie „Wandel“ (S. 156), „geltnus“ (S. 157) und „Rachtung“ (S. 237). So wirft die Arbeit zahlreiche Schlaglichter auf die Entwicklung des städtischen Strafrechts bis 1300. Wichtig ist die Beobachtung des Rückgangs der Ordale oder die verstärkte Bemühung, Schuldvermutungen durch die Überführung des Schuldigen zu ersetzen. Der Reichtum dieser Beobachtungen wäre mit einem Index allerdings besser zu erschließen.

 

Der Wert der Arbeit liegt dann vor allem darin, einen Überblick über die frühe Stadtrechtsentwicklung zu liefern. Wer Belege aus dieser Zeit sucht, wird im Kompendium des zweiten Teils fündig; wer an allgemeinen Tendenzen interessiert ist, wird durch den ersten Teil bereichert. Insofern ersetzt und präzisiert diese Schrift die alte große Darstellung von Rudolf His. Die methodenkritische Einleitung macht dabei bereits deutlich, dass die gebotene Distanz zu den älteren Theorien gewahrt bleibt.

 

Bonn                                                                                                  Mathias Schmoeckel