Fiedler, Britta Carla, Der rheinbayerische Kassationsgerichtshof von seiner Errichtung bis zur Verlegung an das Oberappellationsgericht München (= Europäische Hochschulschriften II, 3833). Lang, Frankfurt am Main 2004. X, 244 S.

 

Wenn auch der rheinbayerische Kassationsgerichtshof in der deutschen Rechtsgeschichte weniger bekannt ist als der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin (hierzu kürzlich Gudrun Seynsche, der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin [1819-1852], Berlin 2003), so war er doch für die bayerische Rechtsgeschichte nicht ohne und für die Rheinpfalz von nicht zu unterschätzender Bedeutung, die Fiedler in ihrem Werk nunmehr detailliert aufzeigt. Nachdem die bayerische Regierung 1816 eine Garantie für die rheinisch-französischen Institutionen abgegeben hatte, wurde im August 1816 die für den Rheinkreis bestimmte Kassations- und Revisionsinstanz am Appellationsgericht Zweibrücken (nach Zwischenstationen in Trier und Kaiserslautern) errichtet, deren Besetzung sich nach einer Verordnung vom 22. 9. 1820 richtete. Wie das preußische Kassationsgericht konnte auch der Saarbrücker Gerichtshof in Abänderung des französischen Kassationsrechts, das die Verfasserin S. 100ff. etwas knapp dargestellt hat, in der Sache selbst entscheiden. Auch die Zweiteilung des Verfahrens (Zulassung der Kassation und materielle Entscheidung über diese) hatte der bayerische wie auch der preußische Gesetzgeber nicht übernommen. Der Zweibrücker Kassationshof bestand seit 1820 aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und den Richtern des Appellationsgerichts sowie aus den Präsidenten der vier Bezirksgerichte (als Ergänzungsrichter) und entschied in der Besetzung von sieben Richtern. Im Zuge der noch von Montgelas bestimmten liberalen Rechtspolitik der bayerischen Regierung war 1815/16 das gesamte, bereits unter der französischen Herrschaft tätig gewesene Justizpersonal übernommen worden, darunter so profilierte Persönlichkeiten wie Andreas Georg Friedrich von Rebmann (bis 1824 Präsident des Zweibrücker Appellationsgerichts) und Johann von Birnbaum (von 1824-1832 Nachfolger Rebmanns), denen die Verfasserin mit Recht ausführlichere Biographien widmet (S. 72ff.) Die Beibehaltung des französischen Rechts und die Übernahme der früheren Richterschaft hatten zum Ziel, den Anschluss Rheinbayerns an das Königreich möglichst rasch und reibungslos zu gewährleisten. Die liberale Justizpolitik Bayerns änderte sich nach der französischen Julirevolution 1830 und dem Hambacher Fest im Mai 1832. Fast die Hälfte der Richter (sechs von dreizehn) schied aus dem pfälzischen Oberappellationsgericht aus (darunter Birnbaum); alle neuen Richter, die in der Handhabung des französischen Prozesses völlig unerfahren waren, kamen aus Altbayern. Darüber hinaus wurde zum 1. 12. 1832 der Kassationshof nach München verlegt und an das dortige Oberappellationsgericht angebunden, eine Maßnahme, die man allerdings schon seit 1819 immer wieder in Betracht gezogen hatte, um die Unabhängigkeit der letzten rheinischen Instanz zu sichern, die durch die Verknüpfung von Appellations- und Kassationsinstanz nicht ungefährdet war.

 

Das Münchner Gericht erhielt 1833 eine erst 1848 veröffentlichte Geschäftsordnung, die von dem nach München versetzten Zweibrücker Appellationsgerichtsrat Franz Xaver Molitor ausgearbeitet worden war (S. 188, 190ff.). Von Molitor (seit 1838 Generalstaatsprokurator für den Kassationshof) stammt auch der dem französischen Zivilprozess verpflichtete „Entwurf einer Process-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“, der leider noch immer unveröffentlicht ist. Der Entwurf hat vor allem die bayerische Civilprozessordnung von 1869 erheblich beeinflusst (hierzu W. Schubert, Entwurf der Process-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern von 1825. Mit einer Einführung in die Geschichte des bayr. Zivilprozesses im 19. Jahrhundert, Goldbach 1993, S. XXVIVff.). Da die Prozessakten des Kassationshofs nicht überliefert sind, war die Verfasserin auf die Urteilssammlungen zum rheinischen Recht angewiesen, die allerdings die Rheinpfalz nur am Rande berücksichtigen. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die zivilrechtlichen Kassationsgesuche im Jahr durchschnittlich unter zehn, für die Frühzeit unter fünf Zivilsachen betrafen, für das Strafrecht lagen die Zahlen etwas höher. Die Verfasserin bespricht für die Zeit bis 1832 fünf Zivilrechtsentscheidungen (S. 120ff.), die zeigen, dass sich die Richter an der französischen Judikatur orientierten und einer teleologischen Auslegungsmethode den Vorzug gaben. Wie weit sie sich von der französischen Rechtsfindungsmethode entfernten, lässt sich nicht sicher feststellen. Für die Münchener Zeit, welche die Verfasserin entsprechend der von ihr vorgenommenen Stoffbegrenzung nicht mehr detailliert behandelt, weist sie auf zwei Urteile von 1847 hin (S. 158ff.). Zu erwähnen sind noch die Gerichtsreden und Gutachten der Zweibrückener Gerichtspräsidenten und die Geschäftsberichte des Generalprokurators, die dieser jeweils zu Beginn einer neuen Session vorlegte, als wichtige rechtshistorische Quelle über die Wertschätzung des französischen Rechts im Rheinkreis.

 

Insgesamt hat Fiedler trotz der relativen Quellenarmut mit ihrer Monographie einen sorgfältig recherchierten Beitrag zur Justizgeschichte des rheinisch-französischen Rechts vorgelegt, der die bisher sehr verstreuten Forschungsergebnisse zusammenfasst und bisher unbeachtet gebliebene Quellen erschließt. Nützlich wäre ein Quellenanhang mit den verstreuten, für das rheinbayerische Kassationsrecht maßgebenden Verordnungen gewesen. Dieses Werk Fiedlers bildet einen guten Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zur bayerischen Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts insbesondere darüber, wie weit das französische Recht für Bayern Modellfunktion gehabt hat. Dies setzt allerdings eine umfassende Analyse der bayerischen Judikatur und, unter Einbeziehung der von den rheinisch-bayerischen Abgeordneten ausgehenden Initiativen, eine „eingehende Beschäftigung“ (S. 207) mit den gesamtbayerischen Gesetzen und der Entwurf gebliebenen Projekte voraus (vgl. insbesondere das sog. Grundlagengesetz vom 4. 6. 1848, GBl. 1848, Sp. 137, das die Orientierung der Prozessgesetzgebung am rheinisch-französischen Recht vorschrieb).

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert