Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der frühen Neuzeit, hg. v. Kaiser, Michael/Pečar, Andreas (= Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 32). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 362 S., Abb.

 

Der Band enthält die Beiträge zu einem Symposium, das im September 2001 stattfand und sich mit jener Phase in der Entwicklung moderner Staatlichkeit befaßte, in der die Konzentration von Einfluß oder regelrechter Regierungsmacht in der Hand eines dem Monarchen zur Seite stehenden „zweiten Mannes“ in verschiedenen Ländern Europas zu beobachten ist. In Frankreich ist es die Zeit der Kardinäle Richelieu und Mazarin, in der dieser Regierungsstil am auffälligsten in Erscheinung tritt. Geklärt werden sollte, ob vergleichbare Verhältnisse auch in den weltlichen und geistlichen Fürstenstaaten des Heiligen Römischen Reiches anzutreffen sind. Vier der Abhandlungen untersuchen Machtverhältnisse am Kaiserhof, je drei solche an den Höfen in Bayern und Brandenburg, je zwei betreffen Sachsen und Württemberg und je einer Mainz, Hessen-Kassel und Kurköln. Das Thema ist dabei sehr locker umrissen. Einerseits geht es um das Phänomen der Favoriten, deren Macht weniger auf einer bestimmten Amtsstellung oder auf einer Anhäufung von Ämtern beruhte als auf der Tatsache, daß sie persönliche Sympathie und Vertrauen des Fürsten und darum ungehinderten Zutritt zu ihm genossen. Behandelt werden aber auch Konstellationen, bei denen nicht persönliche Bindungen ausschlaggebend waren, sondern die besondere Fähigkeit einer - meist juristisch gebildeten - Person, den Fürsten zu entlasten und ihm die Verfolgung seiner politischen Ziele zu erleichtern. Die Auswahl der herangezogenen Beispiele verweist auf sehr unterschiedliche und darum auch nur begrenzt vergleichbare Verhältnisse. Ein die Biographien verbindendes Kriterium besteht darin, daß es sich um Personen handelt, die bei ihren Zeitgenossen und in der Historiographie umstritten und oft mit unversöhnlichem Haß verfolgt wurden - Personen, deren Aufstieg faszinierte und die, wenn sie stürzten, zu leidenschaftlichen Stellungnahmen Anlaß gaben.

 

Den biographisch behandelten Einzelfällen sind zwei Beiträge vorangestellt, die das Thema definieren und theoretisch erörtern. Die Herausgeber beschreiben im Einführungsaufsatz unterschiedliche politische Verhältnisse, in denen die Erscheinung des „zweiten Mannes“ hinter dem Fürsten zu beobachten ist, und gruppieren die behandelten Fälle nach Typenmerkmalen, die auch annähernd Stufen in der Entwicklung zum modernen Staat markieren (M. Kaiser/A. Pečar, Reichsfürsten und ihre Favoriten. Die Ausprägung eines europäischen Strukturphänomens unter den politischen Bedingungen des Alten Reiches). In dem Vorkommen von Herrschaft durch Günstlinge sehen sie allgemein ein Merkmal einer Übergangszeit, die gekennzeichnet ist durch fürstliches Bestreben nach Zurückdrängung der Mitwirkungsrechte von Ständen und kollegialen Ratsgremien, die aber noch nicht die Regierung durch ein Kabinett von Fachministern mit entsprechender Bürokratie kennt.

 

Im zweiten Aufsatz umschreibt R. Asch („Lumine solis“. Der Favorit und die politische Kultur des Hofes in Westeuropa) die besondere Stellung des Favoriten im Vergleich mit anderen leitenden Amtsträgern im Umkreis des Fürsten und wertet hierzu auch frühneuzeitliche Theoretiker der Staatslehre aus. Er gibt ferner einen wichtigen Überblick über die reiche Literatur an modernen spanisch-, englisch- und französischsprachigen Untersuchungen und stellt das Thema in den Zusammenhang der Geschichte der höfischen Welt, der sich wandelnden Beziehungen von Monarchie und Aristokratie und der allgemeinen Problematik von Patronage- und Klientelsystemen.

 

Die biographischen Artikel behandeln Persönlichkeiten aus der Zeit vom Ende des 16. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Über die Einzelschicksale hinaus untersuchen die Autoren, wieweit die dargestellten Fälle sich in den Rahmen einer Typologie der Herrschaft durch Günstlinge einfügen lassen. Überzeugend wird dargelegt, daß auch Mätressen in der Rolle fürstlicher Favoriten gesehen werden können. Zwei Beiträge, die Fälle aus Sachsen und aus Württemberg behandeln (F. Göse, Vom Aufstieg und Fall einer Favoritin: Die Gräfin Cosel; S. Oßwald-Bargende, Sonderfall Mätresse? Beobachtungen zum Typus des Favoriten aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive am Beispiel der Christina Wilhelmina von Grävenitz), befassen sich mit dieser besonderen Form von Machtteilhabe und untersuchen vor allem die Ursachen, warum zeitweilig so mächtige Frauen nicht verhindern konnten gestürzt zu werden. Es zeigt sich, daß die ausschließlich auf dem engen Vertrauensverhältnis zum Fürsten beruhende Stellung sie nicht nur in besonderem Maß der Gefahr der Diffamierung aussetzte, sondern daß es ihnen nicht leicht gelang, ein solides soziales Netzwerk zu schaffen und dauerhaft an sich zu binden, wie es andere Angehörige des Hofes oder der politischen Führung verband und schützte. Damit ähnelt ihr Schicksal dem von Politikern ganz anderer Art, die daran scheiterten, daß ihnen im Krisenfall der Rückhalt fehlte, den Zugehörigkeit zur überkommenen Herrschaftselite hätte bieten können (H. T. Gräf, Der Generalaudienzierer Wolfgang Günther und Landgraf Moritz von Hessen-Kassel; P. H. Wilson, Der Favorit als Sündenbock. Joseph Süß Oppenheimer; M. Kaiser, Der unhöfische Favorit. Eberhard von Danckelman, Oberpräsident in Brandenburg unter Kurfürst Friedrich III.). Als erfolgreiches Gegenbeispiel wird die Vorzugsstellung des brandenburgischen Oberpräsidenten von Schwerin angeführt, die abgesichert war durch eine planvoll herangezogene Klientel (M. Rohrschneider, Zur Stellung Ottos von Schwerin im Regierungssystem des Großen Kurfürsten). Sicherheit vor plötzlichem Entzug fürstlicher Gunst war freilich auch dann nicht gegeben, wenn ein solches Netzwerk bestand. Daß ein Versagen unter den Mitgliedern der eigenen Klientel zur Ursache des Sturzes werden konnte, erweist der Fall Plettenberg (M. Leifeld, Ferdinand Graf von Plettenberg und Wittem als kurkölnischer „premier ministre et favori de l’électeur“).

 

Häufig brachten Thronwechsel die Ausschaltung eines fürstlichen Günstlings mit sich. Es kann nicht überraschen, daß zu verschiedenen Zeiten und in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen ehemalige Gegner und neue Herrscher den plötzlich Machtlosen Machtmißbrauch vorwarfen und Prozesse anstrengten, die in den Fällen Günther und Jud Süß mit Hinrichtungen endeten. Konsequent war es freilich auch, daß eine Untersuchung, wie sie gegen den langjährigen sächsischen Minister Graf Brühl stattfand, eine andere Wendung nahm und bald aufgegeben wurde, denn es war nicht zu übersehen, daß sie dem Ansehen der verstorbenen Könige abträglich geworden wäre (J. Luh, Vom Pagen zum Premierminister. Graf Heinrich von Brühl (1700-1763) und die Gunst der sächsisch-polnischen Kurfürsten und Könige August II. und August III.).

 

Weniger gefährdet als die eigentlichen Favoriten waren jene zu überragender Macht gelangten Personen, die wie der bayerische Jurist Jocher ihre hohe Stellung neben dem fürstlichen Vertrauen ihrer erwiesenen Tüchtigkeit in der Bewältigung von Regierungsaufgaben verdankten (M. Lanzinner, IUD Wilhelm Jocher 1565-1636: Geheimer Rat und „Kronjurist“ Kurfürst Maximilians I. von Bayern). Dennoch war eine Laufbahn wie die des Juristen Kreittmayr, dessen Kompetenz und unermüdlicher Arbeitseifer vier bayerischen Kurfürsten unentbehrlich war, ein Ausnahmefall (A. Schmid, Franz Xaver Wiguläus Kreittmayr. Der zweite Mann in Kur- bzw. Pfalzbayern unter Max III. Joseph und Karl Theodor). Selbst eine so glänzende Karriere wie die des zeitweilig unangreifbaren Leitenden Ministers Montgelas nahm ein jähes Ende, als politische Gegner und Thronfolger eine gemeinsame Front bildeten (W. Demel, Der zweite Mann im Staat: Maximilian von Montgelas). Daß auch Uneinigkeit über die weiterzuverfolgende politische Linie zu Favoritenstürzen führte, wird daneben an den Fällen Danckelman und Lobkowitz verdeutlicht (S. Sienell, Die Ersten Minister Kaiser Leopolds I.: Johann Ferdinand von Portia und Wenzel Eusebius von Lobkowitz).

 

An mehr als einem Beispiel erweist sich, daß es der historische Befund nicht rechtfertigt, Personen, die einmal als Favoriten oder zweiter Mann im Staate galten, stets unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Deutlich wird dies am frühesten der behandelten Fälle, der sich mit dem Regierungssystem in Mainz im späten 16. Jahrhundert befaßt (A. Jendorff, Der Mainzer Hofmeister Hartmut XIII. von Kronberg, 1517-1591. Kurfürstlicher Favorit oder Kreatur des erzstiftischen Politiksystems?). Der Autor zeigt schlüssig, daß die hier in einer Hand vereinigte Machtfülle dem Ausgleich der Interessen verschiedener politischer und sozialer Machteliten diente. Für die Position eines Favoriten bot das komplizierte und zugleich stabile politische System des Mainzer Kurfürstentums zu dieser Zeit kein Wirkungsfeld. Schlecht fügt sich aber auch die Figur Kreittmayr in die Reihe der machtausübenden fürstlichen Günstlinge ein. Er bestimmte nie die politische Linie und hatte zumindest zum letzten seiner Fürsten ein sehr distanziertes persönliches Verhältnis. Dem Hofleben stand er ganz fern. Sonderfälle waren ferner Graf Althann, der unzweifelhafter Favorit seines Herrschers war, dabei aber keine politischen Ambitionen verfolgte (A. Pečar, Favorit ohne Geschäftsbereich. Johann Michael Graf von Althann am Kaiserhof Karls VI.), Joseph Süß Oppenheimer, dem, wie P. H. Wilson darlegt, politische Gegner des verstorbenen Herrschers zu Unrecht die führende Rolle in dessen verhaßter Regierung zuschrieben, und Wallenstein, der konsequent nach Selbständigkeit gegenüber dem Kaiserhof gestrebt hatte (C. Kampmann, Zweiter Mann im Staat oder Staat im Staat? Zur Stellung Wallensteins in der Administration Kaiser Ferdinands II.). Seine Einbeziehung ist freilich begründet, denn gebildete Pamphletisten hatten ihn gern mit dem Prototyp des fürstlichen Günstlings, dem Prätorianerführers Sejan aus der Zeit des Tiberius, verglichen. Sein Fall ist auch darum ungewöhnlich, weil er den „zweiten Mann“ nicht in der Rolle dessen zeigt, der Begünstigungen entgegennimmt: Wallenstein verdankte seine Macht dem Umstand, daß er anders als der Kaiser die Mittel zur Finanzierung eines Heeres aufbringen konnte. Er war in dieser Hinsicht mit seinem Zeitgenossen Schwarzenberg vergleichbar, der in Brandenburg ebenfalls des Kurfürsten Gläubiger war (U. Kober, Der Favorit als „Factotum“. Graf Adam von Schwarzenberg als Oberkämmerer und Direktor des Geheimen Rates unter Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg). Schließlich nimmt auch der österreichische Staatskanzler Graf Kaunitz eine Sonderstellung ein. Er gehörte nicht nur schon durch Herkunft und Ausbildung zur politischen Führungselite; sein Regierungsstil und die von ihm initiierten Verwaltungsreformen zielen bereits auf die Einrichtung professioneller Fachministerien ab (F. A. J. Szabo, Favorit, Premierminister oder „drittes Staatsoberhaupt“? Der Fall des Staatskanzlers Wenzel Anton Kaunitz).

 

Der Überblick über die untersuchten Biographien ergibt ein allgemeines Ergebnis, das die Situation in Ländern des Reichs von der in anderen Staaten unterscheidet: Besitz im Reich bzw. Beziehungen zur Reichsspitze minderten die Abhängigkeit der fürstlichen Günstlinge und konnten Gestürzte auffangen. In Einzelfällen war es möglich, den Schutz des Reichs in Anspruch zu nehmen oder in den Reichsdienst überzuwechseln. Es kommt auch vor, daß die Favoritenrolle in einem Territorium Vorstufe zur Standeserhöhung im Reich ist. Im übrigen aber ist festzuhalten, daß das dargebotene Material wenig generalisierende Schlußfolgerungen zuläßt. Dies liegt nicht so sehr daran, daß nur ein Teil des Reichsgebiets berücksichtigt ist und bemerkenswerte Fälle wie z. B. die Beziehungen zwischen Kaiser Matthias und Kardinal Klesl oder Ferdinand II. und Eggenberg fehlen, sondern vor allem an der Verschiedenheit der in den Reichsständen anzutreffenden staatlichen Strukturen, die entsprechend unterschiedliche Ausformungen des Favoritentypus und des Typus des „zweiten Mannes“ bedingen. Als Verdienst der vorliegenden Sammlung ist es darum zu werten, daß diese Formenvielfalt der frühmodernen Staatsentwicklung innerhalb des Reiches vor Augen geführt wird. Es fällt dabei neues Licht auf den Regierungsstil in Ländern wie Württemberg und Bayern während klar begrenzter Perioden. Darüber hinaus vermitteln die Beiträge detailreiche Erkenntnisse zum sozialen Umfeld, zu Vorbildung, Aufstieg, Arbeitsstil zeitweilig mächtiger Politiker und zur Art der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Herrschern und ihrem „zweiten Mann“.

 

Ein Versehen sei vermerkt: Der 1592 für die Deutschlandpolitik zuständige Sekretär des päpstlichen Staatssekretariats ist Cinzio Passeri Aldobrandini (nicht „Kardinal Aldobarini“, S. 39f.).

 

Regensburg                                                                                                    Rotraud Becker