Buchenroth, Axel C., Die Heimatzuflucht nach § 30 Absatz 3 Reichserbhofgesetz (REG) als Beispiel des anerbenrechtlichen Versorgungsprinzips in Geschichte und Gegenwart (= Schriften zur Rechtsgeschichte 110).. Duncker & Humblot, Berlin 2004. 375 S.

 

Das nationalsozialistische Erbhofrecht (Preußisches Bäuerliches Erbhofrecht vom 15. 5. 1933 und Reichserbhofgesetz vom 29. 9. 1933) gewährte unverschuldet notleidenden Abkömmlingen das Recht, auf dem elterlichen (großelterlichen) Hof gegen angemessene Arbeitsleistung „Zuflucht zu suchen“. Die hier zu besprechende Arbeit – eine von Jürgen Weitzel betreute Würzburger Dissertation – unterzieht dieses Rechtsinstitut erstmals einer eingehenden Untersuchung.

 

Der Verfasser geht zunächst der Frage nach, ob es Vorläufer gegeben hat. Eine Herkunft des Rechtsinstituts aus germanischem Recht ist, wie er mit Recht feststellt, nicht belegbar (S. 33-36). Ich halte aber auch seine Vermutung, das Institut verdanke seine Entstehung mittelalterlich-kirchlichem Einfluß, nämlich der Anerkennung der Testierfreiheit und eines von der Unterwerfung unter die Hausgewalt unabhängigen Unterhaltsanspruchs (S. 36 – 49), für unbegründet. Die ersten Belege sind (früh-)neuzeitlich: 16. Jahrhundert (Tirol) und 18. Jahrhundert (Calenberg), was den vom Verfasser nicht erwogenen Gedanken nahe legt, dass die Entlastung der öffentlichen Armenpflege leitendes Motiv gewesen sein könnte. In der Anerbengesetzgebung des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts finden sich dann vielfach, wenn auch nicht durchgängig, Regelungen über die Versorgung in Not geratener weichender Erben auf dem Hof (S. 47f.). Diese Gesetzgebung war eine Reaktion auf die Bodenbefreiung, die die Höfe dem allgemeinen Erbrecht mit all ihren Komponenten (Testierfreiheit, Pflichtteilsrecht und egalitäres gesetzliches Erbrecht der Stämme und Linien) unterworfen hatte. Unterhaltsgewährung auf dem Hof war also letztlich ein Stück Pflichtteilsrecht. Das wird umso deutlicher, als sie durchweg nicht neben einer Abfindung aus dem Hof, sondern nur an deren Stelle verlangt werden konnte (S. 48f.). Einem bereits zur Erlangung einer wirtschaftlich selbständigen Lebensstellung oder zur Eheschließung ausgestatteten Kind wurde nirgends das Recht gewährt, in späteren Notlagen auf den elterlichen Hof zurückzukehren (S. 49-51), auch nicht im Recht anderer „germanischer“ Länder, auf das sich die nationalsozialistische Propaganda zur Legitimation des Zufluchtsrechts später berufen sollte (S. 81).

 

Die Arbeit behandelt sodann das Preußische Bäuerliche Erbhofrecht, den partikularrechtlichen Vorgänger des Reichserbhofgesetzes. Es war durch eine Gruppe nationalsozialistischer Ministerialbeamter, darunter Kerrl und Freisler, an Hugenberg als dem eigentlich zuständigen Minister vorbei, erarbeitet worden (S. 67-70). Es änderte das Verhältnis von Abfindung und Versorgung dahin, dass letztere nicht mehr Alternative zur Abfindung, sondern einzige gesetzliche Nachlassbeteiligung der den Hof nicht erbenden Abkömmlinge sein sollte (S. 71). Diese radikale Reduzierung der Rechte der weichenden Erben (und Pflichtteilsberechtigten) entsprang der Vorstellung Walter Darrés, der mit seiner „Blut-und-Boden“-Ideologie das agrarpolitische Programm der NSDAP seit 1930 geprägt hatte, die Abfindungsansprüche seien wesentliche Ursache für die Beschränkung der Kinderzahl in bäuerlichen Familien und daher im Interesse des Wachstums der „nordischen Rasse“ zu beseitigen (S. 65f.).

 

Während das preußische Gesetz wegen Art. 64 Absatz 2 EGBGB nur die gesetzliche Erbfolge regeln konnte und abweichende Verfügungen von Todes wegen hinnehmen musste, bereitete das auf Betreiben Darrés, inzwischen Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, und des Reichsjustizministers Gürtner gegen vielfältige Bedenken (von Kerrl, Popitz, v. Papen und Seldte) vom Reichskabinett beschlossene Reichserbhofsgesetz (zur Entstehung S. 100-105) der Testierfreiheit im bäuerlichen Erbrecht ein vorläufiges Ende (S. 100). Abfindungsansprüchen weichender Erben und Pflichtteilsansprüchen wurde damit generell der Boden entzogen. Sie fielen dem propagandistisch groß herausgestellten „Versorgungsprinzip“ zum Opfer.

 

Um die Rechtsnatur des als Bestandteil der Versorgungsansprüche zugebilligten Rechts auf Heimatzuflucht entspann sich eine rege Diskussion (S. 110-120), die allerdings zu nichts führte und aus heutiger Sicht nur als Beweis für die (unabhängig von der politischen Einstellung bestehende) Befangenheit einer früheren Juristengeneration in begriffsjuristischem Denken interessieren kann; leider gelingt es dem Verfasser nicht klarzustellen, ob der Theorienstreit überhaupt eine Praxisrelevanz besaß. In der Folge zeichnet er minuziös alle Einzelheiten der Regelung des Zufluchtsrechts und alle sich darauf beziehenden Kontroversen in Literatur und Rechtsprechung nach (S. 120-269). Darauf näher einzugehen, ist hier nicht der Ort. Die Ausführlichkeit der Darlegungen wäre wohl besser zugunsten einer Reflexion über Erfolg oder Misserfolg des Rechtsinstituts und über unbeabsichtigte Nebenwirkungen beschränkt worden. Nicht nur das Reichserbhofgesetz insgesamt, das sich in ökonomischer Hinsicht als Fehlschlag erwiesen hatte, sondern auch speziell das „Versorgungsprinzip“ waren nach Kriegsende Gegenstand vielfältiger Kritik. Die Reduzierung der Nachlassbeteiligung der weichenden Erben und Pflichtteilsberechtigten auf Versorgung in unverschuldeten Notlagen wurde für ein Desinteresse der nicht zur Hofnachfolge gelangenden Abkömmlinge am Florieren des Betriebs verantwortlich gemacht und für daraus folgende Landflucht und Mangel an ländlichen Arbeitskräften. Über diese Kritik informiert jetzt eingehend die Arbeit Tim Kannewurfs, Die Höfeordnung vom 24. April 1947 (Rechtshistorische Reihe Band 296, Frankfurt 2004). Die Ausführungen des Verfassers (S. 270-275) erfüllen hingegen die durch die Kapitelüberschrift „Das Versorgungsprinzip als Entstehungsgrund des KRG Nr. 45“ geweckten Erwartungen nicht.

 

Der Verfasser wendet sich dann der Fortgeltung des Zufluchtrechts nach Aufhebung des Reichserbhofgesetzes durch das Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 20. 2. 1947 zu. Für die bei dessen Inkrafttreten am 24. 4. 1947 bereits „geregelten Nachlässe“ – ein nur aus dem angloamerikanischen Recht zu erklärender Begriff (S. 279-285) – blieben die Versorgungsansprüche des Reichserbhofgesetzes und damit auch das Zufluchtrecht bestehen. Die in den vier Besatzungszonen unterschiedlich verlaufende Entwicklung des Landwirtschaftsrechts führte zwangsläufig zu Unterschieden in der Handhabung des Zufluchtrechts, die der Verfasser im einzelnen aufzeigt (S. 288-304: britische Zone, S. 304-326: amerikanische und französische Zone; S. 334-342: Sowjetzone). Gerichtsentscheidungen über den Anspruch auf Heimatzuflucht waren in den Jahren um 1950 noch an der Tagesordnung; später findet man sie nur noch vereinzelt (S. 330-333, 338); die jüngste vom Verfasser zitierte und wohl auch letzte veröffentlichte Entscheidung ist ein Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. 5. 1981. Anspruchsberechtigte kann es auch heute noch geben; über tatsächliche Inanspruchnahme des Rechts im gegenwärtigen Zeitpunkt scheint aber nichts bekannt zu sein. In jedem Fall wäre das Verhältnis des Zufluchtrechts zu familienrechtlichen und sozialrechtlichen Ansprüchen zu bedenken (ausgeführt S. 347-350). Die vom Verfasser angesprochene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Rechts (S. 343-346) ist hingegen ein Scheinproblem. Die Geltung unter dem Grundgesetz für Erbfälle, die am 24. 4. 1947 bereits geregelt waren, beruht auf dem Kontrollratsgesetz Nr. 45, so dass Überlegungen zur Gesetzgebungskompetenz auf Grund des Ermächtigungsgesetzes nicht angezeigt waren, und für Zweifel an seiner materiellen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz findet der Verfasser selbst keinen rechten Ansatzpunkt, zumal seine Ausführungen zeigen, dass er einen „Verstoß gegen fundamentale Prinzipien der Gerechtigkeit“ (BVerfGE 15, 337, 342) nicht in der Gewährung des Zufluchtrechts, sondern allenfalls in der Beschränkung der Ansprüche der nicht zur Hofnachfolge gelangenden Abkömmlingen auf dieses Recht sehen würde.

 

Die Arbeit macht mit einem angesichts der gegenwärtigen Diskussion über das Pflichtteilsrecht nicht nur historisch, sondern auch rechtspolitisch interessanten Thema bekannt. Sie enthält eine Fülle von zeitgeschichtlich aufschlussreichem Material. Eine präzisere Darstellung und die Beseitigung der vielen störenden sprachlichen (grammatischen wie stilistischen) Mängel hätten ihr aber gut getan.

 

Bielefeld                                                                                                                    Gerhard Otte