Wilde, Manfred, Die Zauberei- und Hexereiprozesse in Kursachsen. Böhlau, Köln 2003. X, 734 S.

 

Die (Rechts-)Geschichte der großen neuzeitlichen Hexenverfolgung in Europa ist ein beliebtes Arbeitsfeld von Historikern und Juristen. Mittlerweile ist die Literatur sehr stark regional ausgerichtet. Heute lässt sich auf eine Vielzahl von klein- und großräumigeren Studien zur Hexenverfolgung in den einzelnen deutschen Territorien zurückgreifen. Dabei bestanden jedoch bisher innerhalb des Territoriums des Alten Reiches noch signifikante Unterschiede. Insbesondere für die größeren Flächenstaaten des mittel- und ostdeutschen Raumes fehlten sowohl eingehendere Untersuchungen der Archivalien als auch thematisch eingegrenztere Sekundärliteratur. Dies hat sich mit dem vorliegenden Werk - der Habilitationsschrift des Chemnitzer Historikers Manfred Wilde - jetzt mit einem Schlag geändert.

 

Wilde stellt hinsichtlich der Forschungslage einleitend lapidar fest, dass für die Schrift im Wesentlichen aus den Quellen heraus gearbeitet werden musste, weil der Forschungsstand für Kursachsen bislang nur als unzureichend bezeichnet werden konnte. Das Ergebnis dieser Quellenarbeit verwandelt Kursachsen von einem weißen Fleck der Hexenverfolgungskarte zu einem der best ausgeleuchteten Territorien des Alten Reiches. Das erkennt auf einen Blick, wer den Anhang aufschlägt. Auf 200 Seiten legt der Autor insgesamt 905 archivalisch belegte Einzelverfahren aus dem Zeitraum von 1400 bis 1799 vor. Diese Zusammenstellung berücksichtigt im genannten Zeitraum alle kursächsischen Ämter. Mit diesen 905 Verfahren dürfte der Grund des heute noch ermittelbaren Prozessgeschehens in Kursachsen erreicht sein, diese 905 Verfahren sind die breite Basis, auf der alle Erörterungen des Autors sicher und fest ruhen.

 

Für die Geschichte der Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen strebt Wilde methodisch eine Synthese von analytischer verfassungs-, rechts- und sozialhistorischer Forschung an, die den Untersuchungsgegenstand als geschichtlichen Entwicklungsprozess und nicht als Phänomen begreifen will. Jede dieser Disziplinen findet sich in den einzelnen Kapiteln der Arbeit wieder - die Rechtsgeschichte vor allem in den gesetzlichen Grundlagen und in der sächsischen Gerichtsverfassung (Kapitel 2; unter Berücksichtigung der Rechtsprechung für Gerichte außerhalb der Landesherrschaft, Kapitel 8 und der Besonderheiten in exemten, gemeinschaftlich verwalteten oder reichsunmittelbaren Territorien, an deren Verwaltung Kursachsen beteiligt war, Kapitel 9), die Verfassungsgeschichte in der Darstellung der unterschiedlichen, auf den verfassungsrechtlichen Besonderheiten des neuzeitlichen Kursachsen beruhenden Gerichtsherrschaften (Kapitel 4) und die Sozialgeschichte in den Ausgangsbedingungen für die Hexenverfolgung (Kapitel 3), den Schuldzuweisungen als soziales Problem (Kapitel 5), den Hexendeutungsmustern (Kapitel 6), dem sozialen Geflecht unter Amtsträgern, zwischen Amtsträgern und Beschuldigten und unter den Beschuldigten (Kapitel 7) und im abschließenden Kapitel über das Ende der Hexenprozesse (Kapitel 10).

 

Ihre stärksten Abschnitte hat die Arbeit dabei in den verfassungs- und den sozialgeschichtlichen Abteilungen. Wilde arbeitet hier vor allem heraus, dass Hexenprozesse in vielen Fällen als Konfliktlösungsmittel unter gleich Rechtsunterworfenen eingesetzt worden sind. Die Hexenverfolgung wird von Wilde dabei eben nicht als - wie er schreibt - Phänomen wahrgenommen, das es zu bewerten gilt. Vielmehr entsteht vor dem Hintergrund der wertungsfreien Quellenstudie ein in vielerlei Hinsicht differenzierbarer Gesamtbefund, wobei es besonderer Hervorhebung wert ist, dass Wilde sich auch angesichts des von ihm herausgearbeiteten Befundes sowohl der sozialgeschichtlichen, als auch der juristischen Wertung völlig enthält.

 

Bei den der Hexenverfolgung zugrundeliegenden und von Wilde in Einzelbeispielen nachgewiesenen Konflikten spielten Witterungsunbilden, Vagantentum, Drogengebrauch, Volksheilkunde und das Sozialverhalten im nachbarlichen Nahbereich oftmals die entscheidende Rolle. Die Mehrzahl der verurteilten Personen waren verheiratete, nicht mehr gebärfähige Frauen, wobei die verheiratete Frau mit gutem Sozialstatus der Verurteilung ehestens entging. Todesurteile trafen öfter Witwen auf niederem Sozialniveau, wobei es wohl entscheidend auf das vorhandene oder fehlende soziale Netz eines familiären Hintergrundes ankam (S. 455). So wie die moderne Kriminologie den typischen Straftäter eher als jung, männlich und urban beschreibt, so waren Hexen eher alt, weiblich, arm und ländlich.

 

Einzelheiten auszubreiten ist hier nicht der Ort, hinweisen möchte ich aber an einem Beispiel auf den Erkenntniswert solch akribischer Arbeit, wie sie von Wilde geleistet wurde. Nur bei der Arbeit aus den Quellen heraus lassen sich Feststellungen wie diese treffen: „Eine häufige Form des Nachbarschaftsstreites bildeten Auseinandersetzungen, die dann entstehen konnten, wenn ein Haus oder Bauerngut in fremde Hände verkauft worden sind und der Verkäufer als Auszügler weiter im Haus lebte“ (S. 208). Die Reibereien der jungen Käufer mit der „bösen“ alten Witwe eskalierten mehrmals in der Denunziation mit anschließendem Hexenprozess. Gleiches gilt für innerfamiliäre Generationenkonflikte (Beispiel auf S. 225). Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen durch zahlreiche Verweise, insbesondere in die Kapitel 5, 6 und 7.

 

Eindrucksvoll weist Wilde die Verteilung der Verfolgung innerhalb Kursachsens in Kapitel 4 („Gerichtsherrschaft und Quantität“) nach. Herausgefunden wurde eine deutliche Häufung von Hexenprozessen in sogenannten herrschaftsfernen Territorien, insbesondere in einigen Ämtern der nach 1657 eingerichteten sächsischen Sekundogenituren. In diesen Fällen gelingt Wilde die Zuschreibung von Verantwortung an einzelne konkrete Amtsträger. Insgesamt findet Wilde das übliche gesamteuropäische Bild der „Verfolgungswellen“: Verfolgungsspitzen für die Zeiträume 1540 bis 1550, 1570 bis 1630 (wobei die Intensität hier lange und kontinuierlich ansteigt) und 1655 bis 1670, wobei die einzelnen Verfolgungsspitzen nicht ganz mit dem süd- und westdeutschen Befund zusammenfallen (S. 158). Insbesondere die erste Welle liegt um etwa 20 Jahre „zu früh“. Von den 905 Einzelverfahren endeten 284 mit dem Todesurteil. Wilde konstatiert zu Recht, dass Kursachsen damit zu den verfolgungsärmeren Territorien des Alten Reiches zu rechnen sei (S. 175). Seine gründliche Archivarbeit berechtigt ihn auch zu dem vorsichtigen Schluss, dass für den erbländischen Teil Kursachsens die Hinrichtungen wegen Hexerei bzw. Zauberei etwa 5% aller Hinrichtungen ausmachten (S. 175). Dies wieder mit Ausnahme der (herrschaftsfernen, s. o.) Territorien der früheren Grafschaft Henneberg, in der es eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Hexenprozessen und Hinrichtungen gegeben hat (die kleinen Ämter Benshausen, Kühndorf, Schleusingen und Suhl brachten es allein auf 249 Prozesse).

 

Es lässt sich mithin festhalten, dass es in Kursachsen nicht zu einer flächendeckend nachweisbaren Verfolgung von Zauberei und Hexerei kam. Die Verfolgung war vielmehr abhängig vom Denunziationsverhalten von unten aus dem Kreis der ländlichen Nachbarschaft, von Besagungsmustern und vor allem von einzelnen identifizierbaren Amtsträgern. Eine von der Landesherrschaft ausgehende Verfolgungspolitik lässt sich nicht belegen, im Gegenteil: je enger die herrschaftliche Kontrolle gesichert war, desto geringer waren die Verfolgungsaktivitäten. Wo die Kontrolle eingeschränkt oder geteilt war, konnte es zu starken Verfolgungen kommen, die von lokalen Kräften bestimmt wurden (S. 164). Fiskalische Motive der Obrigkeiten (traurige Berühmtheit hat in dieser Hinsicht ja Vaduz erlangt) ließen sich für Kursachsen nicht nachweisen, eben so wenig wie eine Instrumentalisierung des Hexenprozesses zur Durchsetzung der neuen Glaubenslehre.

 

Dass sich Wilde als Historiker mit der Rechtsgeschichte schwerer tut, schmälert den Wert und Genuss des Werkes am Anfang, da das Kapitel 2 als das juristische Fundament für das Prozessgeschehen konzipiert ist. Leider fallen dort einige Unsicherheiten auf, die den methodischen Anspruch der Synthese verschiedener wissenschaftlicher Teildisziplinen in den Augen des Rezensenten etwas überhöht erscheinen lässt. Aber das ist ein Grundproblem der Rechtsgeschichte: der Jurist dilettiert historisch, der Historiker juristisch.

 

Einige Hinweise werden erlaubt sein. Im Abschnitt „Sachsenspiegel und die Rezeption des römischen Rechts“ wird bei einer kurzen Vorstellung der Entstehung des Sachsenspiegels der Eindruck erweckt, als decke sich das Sachsenspiegelrecht mit dem sogenannten Magdeburger Recht (S. 17). Das trifft indessen nicht zu. Es handelt sich sowohl vom Entstehungsansatz her als auch inhaltlich voneinander abweichende Rechtsmaterien, die sich gleichwohl wechselseitig beeinflusst haben.

 

Das Verhältnis zwischen Sachsenspiegelrecht, Magdeburger Recht und einzelnen Stadtrechten einerseits und den ersten Landesordnungen andererseits wird nicht eingehend geklärt. Selbstverständlich konnten die Landesordnungen unter Umständen eine Handhabe für den erstarkenden Territorialstaat bieten, regulierend und vereinheitlichend sowohl in das Privatrecht als auch das Strafrecht eingreifen zu können. Viel deutlicher werden muss aber, dass die Landesordnungen einem anderen Regelungsbedürfnis entspringen. Eingehende Privat- oder Strafrechtskodifikationen waren von dieser Rechtsmaterie im 15. Jahrhundert nicht zu erwarten. Deutlich wird das für Sachsen ja auch in den Kursächsischen Konstitutionen von 1572, die eben nicht als Landesordnung ergingen. Im Abschnitt „Das Inquisitionsverfahren und sein Verlauf“ wird nicht zwischen dem normalen Inquisitionsverfahren und dem Hexenprozess getrennt. Genau das wäre aber angebracht gewesen, denn der Hexenprozess ist nicht der Inquisitionsprozess. Er ist womöglich noch nicht einmal ein Musterbeispiel für den Inquisitionsprozess. Auch später, z. B. S. 291, ist nicht immer ganz klar, ob Wilde mit „Inquisitionsprozess“ nicht eigentlich den Hexenprozess meint. Sodann schreibt Wilde auf S. 36, dass um die Mitte des 15. Jahrhunderts die Schriftlichkeit in die sächsische Rechtspraxis eingezogen sei. In engem Zusammenhang damit habe sich die Rechtsprechungspraxis der Schöffenstühle und Juristenfakultäten entwickelt. Schließlich sei so das Verfahren der Aktenversendung entstanden. Wenn es auch richtig sein mag, dass es sich etwa um 1520 als rechtsverbindlich durchgesetzt hat, dass in peinlichen Sachen ein Urteil von einer mit gelehrten Juristen besetzten Behörde einzuholen war, so sind doch das tatsächlich zugrundeliegende Rechtsinstitut und auch die Schriftlichkeit älter. Schriftlichkeit beginnt in Sachsen spätestens mit dem Anlegen der Hallischen Schöffenbücher im Jahre 1266 und schriftliche Rechtssprüche sandte der Magdeburger Schöffenstuhl nachweislich seit den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts in alle Geltungsgebiete des - Magdeburger - sächsischen Rechts. Zwar finden sich in dieser Zeit kaum Sprüche mit strafrechtlichen Verurteilungen. Die Aktenversendung als solche ist aber trotzdem eine Facette des Oberhofzuges, die entstand, als das anfragende Gericht nicht mehr höchstselbst zur Mutterschöffenbank zog und eine mündliche Rechtsweisung einholte, sondern seine Anfrage eben schriftlich stellte. Im 16. Jahrhundert wurde dieses eingespielte Institut mit neuem Inhalt gefüllt, als die Landesherrschaft dazu überging, den Oberhofzug nach eigenem Gutdünken zu lenken. Nicht zufällig emanzipiert sich in dieser Zeit auch das Strafrecht. Bei der Behandlung der Rechtsgrundlagen der Folter verweist Wilde auf S. 45 auf Ssp. III 3 S. 2, wonach man über Toren und Unsinnige nicht richten solle. Nun hat aber das Richten mit dem Foltern nichts zu tun - die Sachsenspiegelvorschrift als Foltergrenze zu zitieren, dürfte wohl auch in historischer Beziehung fehlgehen.

Insgesamt ist die Schrift aber abgesehen von diesen juristischen Unsicherheiten und manchen sprachlichen Unschönheiten (hat ein letzter Korrekturgang gefehlt?) ein großes Verdienst. Jede künftige Forschungsarbeit über die neuzeitliche Hexenverfolgung wird sich mit Wildes Einzelergebnissen auseinandersetzen müssen. Die üblichen ausführlichen Verzeichnisse und Register runden das von Böhlau ansprechend ausgestattete Werk zufriedenstellend ab, die Zusammenfassung ist präzise und erschöpfend.

 

Leipzig                                                                                   Adrian Schmidt-Recla