Weber, Petra, Justiz und Diktatur. Justizverwaltung und politische Strafjustiz in Thüringen 1945-1961 (= Quellen und Daqrstellungen zur Zeitgeschichte 46). Oldenbourg, München 2000. XI, 574 S.

 

Pohl, Dieter, Justiz in Brandenburg 1945-1955. Gleichschaltung und Anpassung (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 50). Oldenbourg, München 2001. X, 414 S.

 

In der sowjetischen Besatzungszone bzw. der Deutschen Demokratischen Republik spielte die Justiz eine nur marginale, untergeordnete Rolle. Der Terror, mit dem dort die Bevölkerung unterdrückt und die kommunistische Diktatur errichtet und gefestigt wurde, bediente sich vorzugsweise anderer Mittel. Man kann angesichts der Unkenntnis selbst hoher und höchster Personen im demokratischen Deutschland und westlichen Ausland gar nicht oft genug sagen, daß die Justiz im kommunistischen Herrschaftsbereich kein eigenständiges Staatsorgan, geschweige denn eine unabhängige Staatsgewalt war, sondern ein schlichter Teil des Repressionsapparats, dessen Hauptträger die SED, die Staatssicherheit und jener Teil des Staatsapparats waren, der hierzulande Verwaltung genannt wird. Nicht zufällig legte die SED - entsprechend der Maxime, es müsse alles demokratisch aussehen, aber die Partei müsse das Heft in der Hand behalten - Wert darauf, in den 1945 gebildeten Provinzial- und Landesverwaltungen die Innenminister zu stellen, während sie die Justizministerien wegen ihrer geringen Bedeutung bereitwillig den bürgerlichen Blockparteien überließ.

 

Um so mehr fällt auf, daß seit dem Untergang der DDR kaum ein Teil des Staatsapparats - von der Staatssicherheit abgesehen - soviel wissenschaftliches Interesse gefunden hat wie die Justiz. Das Niveau der Arbeiten, die sich mit der Justiz in SBZ/DDR befassen, ist dabei durchaus unterschiedlich. Dem Forschungsprojekt „Die Errichtung der Klassenjustiz nach 1945 in der SBZ/DDR in diktaturvergleichender Perspektive“, das das Institut für Zeitgeschichte 1995 in Angriff genommen hat, kann nach den bisher vorliegenden Arbeiten von Petra Weber und Dieter Pohl bescheinigt werden, daß es sich durch Solidität und Gründlichkeit auszeichnet. Nicht nur durch ihren Materialreichtum heben sich beide Veröffentlichungen vorteilhaft von anderen Publikationen ab. Sie begnügen sich nicht mit der Darstellung der Institutionen und Normen, sondern bemühen sich, die Rechtswirklichkeit zu erfassen und untersuchen konkret, auf welche Weise und durch welche Personen die „sozialistische Rechtspflege“ aus bescheidenen Anfängen aufgebaut wurde und wie sie bis 1955 bzw. 1961 funktionierte. Daß die Autoren dabei die Entwicklung in zwei der 1945 in der SBZ gebildeten territorialen Einheiten (Thüringen und Brandenburg) in den Blick nehmen, erweist sich als fruchtbarer Ansatz und hebt beide Veröffentlichungen weit über die bisherigen Publikationen zum Thema heraus.

 

Petra Weber, die sich der thüringischen Justiz widmet, ist bekannt durch ihre vorzügliche Biographie über Carlo Schmid (vgl. die Besprechung RuP 1998, 152). Auch ihre neue Arbeit über die Justiz in Thüringen erfreut den Sachkenner. Das Thema ist schon deshalb ergiebig, weil die Entwicklung in Thüringen zahlreiche Besonderheiten zu den Vorgängen in den anderen Ländern und Provinzen der SBZ aufwies. In der Einleitung setzt sich die Autorin u. a. mit der Totalitarismus-Theorie auseinander und widerlegt die verbreitete Ansicht, in den Jahren 1945/46 sei eine rechtsstaatliche Justiz aufgebaut worden und Thüringen gar eine „Oase der Rechtsstaatlichkeit im roten Meer“ gewesen. Tatsächlich ging es auch in Thüringen wie überall in der SBZ um Klassenkampf und Kaderpolitik, und dies auch in der Periode der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“, als sich bürgerliche und teilweise auch aus der Sozialdemokratie hervorgegangene Politiker noch Illusionen über die kommunistischen Machthaber machten. Die spätere Entwicklung läßt sich ohnehin adäquat nur erfassen, wenn man die marxistisch-leninistische Lehre von der Rolle des Rechts im Prozeß der gesellschaftlichen Entwicklung heranzieht.

 

Bei der Darstellung der Verhältnisse in der Provinz Brandenburg hebt Dieter Pohl dankenswerterweise die wichtige, aber nur wenig bekannte Rolle hervor, die Walther Hoeniger, der in der NS-Zeit Senatspräsident am Kammergericht gewesen war, im brandenburgischen Justizministerium spielte. Die Entwicklung bei den Gerichten wird gleichsam minutiös aufgezeichnet, die Etablierung und Mitarbeit der Volksrichter sowie die Personalfluktuation durch häufige „Säuberungen“ eingeschlossen. Schief ist es allerdings, wenn Pohl von einem „Angriff auf die Justiz“ spricht. Die SED hatte die Rechtspflege auch in der Periode der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ im Griff. Als Melsheimer im Januar 1948 erklärte, die SED müsse die Justiz in die Hand bekommen, entwarf er eine Art Feindbild, das durchsichtigen Zwecken diente. Es ging um jene Radikalisierung, die sich überall im Zusammenhang mit der „Stalinisierung“ der SED (Umwandlung zu einer „Partei neuen Typs“) und der rigorosen Anpassung an das Vorbild UdSSR vollzog. Erfreulich sorgfältig behandelt Pohl die Instrumentalisierung des Wirtschaftsstrafrechts beim Klassenkampf gegen die Bauern (vor allem wegen Nichterfüllung des Ablieferungssolls) und gegen den gewerblichen Mittelstand. Eingehend erörtert werden auch die Prozesse aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 201.

 

Zum unverhüllten Instrument der SED-Politik wurde die Justiz, als die Partei den „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ proklamierte, was auf die Enteignung der privaten Handelsunternehmen und die Kollektivierung des landwirtschaftlichen Besitzes hinauslief. Zu Recht wertet Pohl den „Neuen Kurs“, der 1953 auch für die Justiz verkündet wurde, als bloßes Intermezzo, während er das Ende der Landesjustiz zwischen 1952 und 1956 ausführlich schildert.

 

Nicht unproblematisch ist allerdings die Begrifflichkeit, mit der Pohl arbeitet. Der aus der NS-Zeit stammende Begriff „Gleichschaltung“, den Pohl als Schlüsselbegriff verwendet, setzt die Existenz funktionierender Institutionen oder Organisationen voraus, die die neuen Machthaber vorfinden und nach ihren Prinzipien ausrichten. Die Vorstellung, nach dem Untergang des NS-Regimes habe die alte Justiz weiterexistiert, geht jedoch an der Realität vorbei, ebenso die Ansicht, es habe nach 1945 in der SBZ noch eine traditionelle Justizelite oder ein entsprechendes Milieu gegeben, was die kommunistischen Machthaber hätten umformen und nach ihren Prinzipien gleichschalten müssen. Die Richter und Staatsanwälte, die vor 1945 amtiert hatten, flohen nach dem Westen oder wurden in Lager der sowjetischen Besatzungsmacht gesteckt. Die wenigen Richter aus der NS-Zeit, die von der Haft verschont wurden, waren - wie z. B. Melsheimer - gefügige Handlanger des Regimes. Auch die reaktivierten Richter der Weimarer Republik, die vereinzelt eingestellt wurden, lebten in steter Angst vor Säuberungen, denen sie bei mangelnder Linientreue dann auch zum Opfer fielen. Von einer traditionellen Elite oder einem solchen Milieu konnte bei ihnen keineswegs die Rede sein. Es gab nichts, was man hätte gleichschalten können. Das erkennt übrigens Pohl selbst an, wenn er feststellt, die Nazis hätten auf ein gefestigtes Rechtssystem mit einem stablien Juristenmilieu getroffen, während nach 1945 die Justiz materiell und moralisch zerschlagen gewesen sei (S. 308). Warum aber dann der Begriff „Gleichschaltung“?

 

Gleichsam in Parenthese sei an dieser Stelle angefügt, daß die Neigung, kommunistische Wirklichkeiten mit Begriffen, die auf die NS-Zeit Bezug nehmen, zu erfassen, weit verbreitet ist. Gern werden z. B. Thesen aus Ernst Fraenkels „Dual State“ oder Franz L. Neumanns „Behemoth“ übernommen, die, in der Emigration geschrieben, auf die NS-Zeit gemünzt sind. Dabei wird verkannt, daß die kommunistischen Regime ein Aliud nicht nur gegenüber liberalen Systemen, sondern auch gegenüber der NS-Herrschaft darstellen. Die Etablierung der sozialistischen Rechtspflege, um beim Thema zu bleiben, wurde anders gestaltet und gesteuert als die allmähliche Durchdringung der überkommenen, bürgerlichen Justiz durch die NS-Doktrin, die sich nach dem Kriegsausbruch beschleunigte und ihren Zenit in den letzten Kriegsjahren erreichte.

 

Im Schlußteil beschäftigt sich Pohl mit dem „Leitbild Sowjetjustiz“ und der Entwicklung der sozialistischen Rechtspflege in Polen. Weniger überzeugend sind seine Ausführungen, soweit sie Vergleiche mit Westdeutschland und der Bundesrepublik ziehen. Hier wäre ein tieferes Eindringen in die Materie sachdienlich gewesen. Dieser Mangel sollte indessen die Verdienste nicht schmälern, die Pohl sich mit der Darstellung der Verhältnisse im brandenburgischen Justizwesen nach 1945 erworben hat, wie denn auch Petra Webers Darstellung der Entwicklung in Thüringen Lob verdient.

 

Man ist gespannt auf die weiteren Arbeiten des Instituts für Zeitgeschichte im Rahmen des Forschungsvorhabens.

 

Goslar                                                                                                           Rudolf Wassermann