Mollnau, Karl A., Recht und Juristen im Spiegel der Beschlüsse des Politbüros und Sekretariats der SED (= Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften [1944-1989]. Einführung in die Rechtsentwicklung mit Quellendokumentation Bd. 5 Deutsche Demokratische Republik 1958-1989, Halbbd. 1 = Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 159). Klostermann, Frankfurt am Main 2003. XL, 768 S.

 

Mit diesem der DDR gewidmeten, in zwei Halbbände gegliederten fünften Band wird das vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte betreute Projekt „Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944-1989)“ abgeschlossen. Wie der erste Band des Projekts, der sich mit der sowjetischen Besatzungszone befaßt hat, hat ihn Herausgeber Heinz Mohnhaupt dem DDR-Rechtswissenschaftler Karl A. Mollnau anvertraut, der darin seine im ersten Band des Forschungsprojekts gegebene Beschlußchronik der KPD/SED-Führungszentralen in der SBZ für die Zeit von 1958 bis 1989 fortsetzt. Mollnau, den Herausgeber Mohnhaupt als „selbstkritischen Marxisten“ würdigt, wurde in der Bundesrepublik vornehmlich als Mit-Redakteur und Mit-Autor des Lehrbuchs „Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie“ bekannt. Wohl um den Rang des Verfassers, der Leiter des Bereichs Rechtstheorie an dem „Institut für Theorie des Staates und des Rechts“ an der DDR-Akademie der Wissenschaften war, zu unterstreichen, ist der umfangreichen Einleitung, die den ersten Teil der Publikation bildet, ein Auswahlverzeichnis seiner Schriften beigefügt, das nicht zuletzt zeigt, welche emsige, aber auch ergiebige schriftstellerische Tätigkeit der heute 70jährige auch nach dem Untergang der DDR entfaltet hat.

 

Darstellungen über das Rechtswesen der DDR leiden häufig darunter, daß sie Klischees verhaftet sind. Vielfach verfehlen sie aber auch deshalb ihr Ziel, weil sie der führenden Rolle der SED und deren Auswirkungen nicht hinreichend Rechnung tragen. Mollnau hat das Verdienst, durch die Auswertung der juristisch-zeitgeschichtlich relevanten Beschlüsse und Beratungen der obersten Leitungsgremien der SED, die verborgenen Seiten des realsozialistischen „Rechtsbetriebes“ und die diesem eigentümliche „parteiapparativ-staatliche Verfasstheit“ offengelegt zu haben.

 

Periodisiert wird die untersuchte Zeitspanne nach den Personen, die sie nacheinander dominiert haben: Ulbricht (1958-1971), Honecker (1971-1989), Krenz (Mitte Oktober bis Anfang Dezember 1989). Der durch die Stoffülle bedingte Zwang, die im internen Parteiarchiv aufbewahrten Materialien in Komprimaten mitzuteilen, soll durch einen Dokumentenband ausgeglichen werden, der im Erscheinen begriffen ist. Der Verfasser räumt ein, daß er als Rechtswissenschaftler der DDR seine wissenschaftliche Identität und Subjektivität nicht aus der Herstellung des Manuskripts heraushalten konnte. Man kann ihm jedoch bestätigen, daß es ihm an der „archivalischen Korrektivkraft“, die er sich wünschte, nicht gefehlt hat. Diskussionsbedürftig ist es allerdings, wenn er gegen Ende der Einleitung meint, es gelte die Einsicht in die „ursprüngliche Legitimität des sozialistischen Alternativexperiments zum Kapitalismus“ in der Zukunft wachzuhalten.

 

Auf jeden Fall ist ein Werk entstanden, das wichtige Aufschlüsse über das Anderssein der sozialistischen Rechtsordnung gibt, das den mit dieser nicht vertrauten Juristen oft Verständnisschwierigkeiten bereitet. Immer wieder wird das große Interesse Walter Ulbrichts an Fragen des Staates und des Rechts deutlich, nicht zuletzt seine wache Aufmerksamkeit gegenüber Abweichungen von der klassenkämpferischen Doktrin der Partei, die er mit äußerster Schärfe bekämpfte. Die Abteilung des zentralen Parteiapparates für Staats- und Rechtsfragen, die zunächst von Plenikowski, später von Sorgenicht geleitet wurde, hatte nicht nur Zuarbeit zu leisten, sie übte eine bedeutsame Scharnierfunktion aus. Konkret erkennbar wird die Eingriffspraxis in politische Strafverfahren. Das Politbüro bestimmte die Strafhöhe, kümmerte sich aber auch um die Auswahl der Zuschauer bei den Verhandlungen. Die Kaderpolitik hatten Politbüro und Sekretariat fest in der Hand. Sie entschieden über die Berufung und die Ablösung der Personen, die die in der Nomenklatur ausgewiesenen Funktionen bekleideten, und bestimmten die Zusammensetzung der Kommissionen und der Delegationen, die zu Tagungen reisten oder bei wichtigen Veranstaltungen auftreten sollten. Für die präzisen Angaben über den Werdegang dieser „Akteure des Rechtsbetriebs“ ist Mollnau besonders zu danken. Zu Recht stellt er auch heraus, daß Geheimhaltung und Wachsamkeit integraler Bestandteil der SED-Herrschaft waren und einen Zustand zur Folge hatten, der durch Mißtrauen und intensive Dauerkontrolle gekennzeichnet war.

 

An dieser bedeutsamen „Hintergrundgeschichte“ der realsozialistischen Rechtsordnung, wie Mollnau selbst das Ergebnis seiner Arbeit charakterisiert, kann niemand vorübergehen, dem an einem wirklichkeitsgerechten Bild des DDR-Rechtswesens gelegen ist.

 

Goslar                                                                                                            Rudolf Wassermann