Judicial tribunals in England and Europe, 1200-1700. The trial in history. Bd. 1, hg. v. Mulholland, Maureen/Pullan, Brian. Manchester University Press, Manchester 2003. XII, 186 S.

 

Der erste Teil des auf zwei Bände angelegten Überblicks über das Gerichtswesen in Europa (zeitgleich erschienen ist Bd. 2: Domestic and International Trials, 1700-2000 hg. von R. A. Melikan) gibt Einblicke in die Arbeitsweise verschiedener Gerichte (königliche Gerichte; manorial courts; städtische und geistliche Gerichte) und zwar nicht nur aus rechtshistorischer Sicht (u. a. Zusammensetzung der Gerichte, Zulässigkeit von Anwälten, Beweisverfahren etc.), wie der lesenswerten Einleitung von Maureen Mulholland (S. 1-17) zu entnehmen ist, die weit mehr bietet als eine reine Zusammenfassung der nachfolgenden 9 Beiträge. Gerichtsprotokolle werden vielmehr auch im Hinblick auf ihre Verwertbarkeit für die Sozial- und Politikgeschichte analysiert. Doch zunächst einmal ist zu definieren, was ein Verfahren auszeichnet. Joseph Jaconelli (What is a trial?, S. 18-36) hebt drei Grundelemente hervor: ein Gerichtsverfahren hat rational, öffentlich und unabhängig zu sein, wobei der Zweck neben der Ermittlung der Schuld/Unschuld auch in der Unterweisung sowie in der Abschreckung liegt. Die folgenden Beiträge gehen dann ins Detail. Gegen die seiner Ansicht nach künstliche Trennung von zentraler (königlicher) und lokaler Jurisdiktion und die Differenzierung der Richter in gelehrte Berufsrichter (Zentralgerichte) und ungelehrte Laienrichter (lokale Gerichte) wendet sich Anthony Musson (The role of amateur and professional judges in the royal courts of late medieval England, S. 37-57). Er bescheinigt auch den auf lokaler Ebene in der Rechtsprechung Tätigen Rechtskenntnisse und hält die Bezeichnung „men of law“ für gerechtfertigt. Zudem gab es keine strikte Personaltrennung zwischen Zentral- und Lokalgerichten. Die Mitglieder der Zentralgerichte beteiligten sich vielmehr aktiv an der lokalen Rechtsprechung, etwa innerhalb einer oyer et terminer-Kommission oder als Justices of the Peace. Als Folge des Statute of Fines 1299 wurden lokale Rechtskundige ferner den Assize Justices bei Gaol Deliveries zugeordnet, und im 14. und 15. Jh. sind lokale Rechtskundige verstärkt in peace commissions eingesetzt. Nachdem die zunehmende Laisierung der Richterschaft angesprochen worden ist, geht Musson auf die Rolle der Richter im Verfahren ein und schildert, wie sie ihr Wissen erwarben. Mit der Rolle der Jury, unzweifelhaft eine wichtige Säule des angloamerikanischen Rechts, beschäftigt sich dagegen Daniel Klerman, der die sich selbst gestellte Frage (Was the jury ever self informing? S. 58-80) für das 13. Jh. erneut bejaht, dabei allerdings auch betont, dass die Geschworenen durchaus Zeugenaussagen hören durften. Maureen Mulholland untersucht „Trials in manorial courts in late medieval England“ (S. 81-101). Sie gibt einen guten Überblick über die verschiedenen Kategorien (seignoral courts, franchisal jurisdiction), über die Verfahrensprozedur von der Vorladung bis zum Urteil sowie über das Gerichtspersonal und geht auf Öffentlichkeit und Unparteilichkeit ein, zwei der drei von Jaconelli genannten Grundelemente eines Gerichtsverfahrens. Mit „Judges und trials in the English ecclesiastical courts“ beschäftigt sich Richard H. Helmholz, ein ausgewiesener Kenner der Materie (S. 102-116). Der Hauptaugenmerk seines Beitrags liegt auf der Rolle, die die Richter im Verfahren spielten, wobei kontrastierend das Verfahren im Common Law und auf dem Kontinent erwähnt werden. Mit einem nicht stattgefundenen Gerichtsverfahren befasst sich dagegen der Beitrag von Jeffrey Denton (The attempted trial of Boniface VIII for heresy, S. 117-128). Die Vorwürfe, denen sich Bonifaz im März und Juni 1303 ausgesetzt sah, werden einer genauen Analyse unterzogen. Aus ihnen ergeben sich, so Denton, allerdings nicht die Gründe, die zu den Auseinandersetzungen um Bonifaz führten. Diese findet man eher in den 12 Artikeln Bonifaz’ von 1302 und den Antworten des französischen Königs vom Februar 1303, auf die allerdings nicht näher eingegangen wird. Mit den in der Zeit von 1555-1665 vorgebrachten Verteidigungen in verschiedenen Sodomie-Verfahren (etwa sexuelle Übergriffe auf Kinder und Tiere, gleichgeschlechtliche Liebe) in Genua beschäftigt sich William G. Naphy (Reasonable doubt: defences advanced in early modern sodomy trial in Geneva, S. 129-146). Erkennbar ist, dass die Beschuldigten geneigt waren, einige sexuelle Verfehlungen zuzugeben, den eigentlichen, schwerwiegenden Vorwurf aber zu bestreiten. Den Versuch, die sich aus einem Gerichtsprotokoll ergebenden Informationen persönlicher und sozialhistorischer Art zu ermitteln, unternimmt Mary Laven (Testifying to the self: nuns’ narratives in early modern Venice, S. 147-158) anhand des Prozesses, der im Sommer 1614 in einem venezianischen Konvent (San Zaccaria) gegen eine Nonne (Laura Querini), der wiederholter Geschlechtsverkehr mit einem Aristokraten vorgeworfen wurde. Diese Nonne benutzte das Verfahren nach Ansicht von Laven zur Selbstdarstellung. „At a time when reformers aspired to block every channel of communication, drastically curtailing nuns’ scope for self-expression, female religious developed new strategies for making themselves heard. The space of the trial provided nuns with an opportunity to speak to the outside world“ (S. 154), einer Einschätzung, der man folgen könnte, wenn man wüsste, welche Informationen aus den Protokollen tatsächlich an die Öffentlichkeit gelangten, insbesondere da die Befragung der Nonne innerhalb der Mauern des Konvents stattfand (S. 154). Der Mitherausgeber Brian Pullan ist Autor des letzten Beitrags über „The trial of Giorgio Moreto before the Inquisition in Venice, 1580“ (S. 159-181), dem als Anhang eine englische Übersetzung der von Pier Cesare Ioly Zorattini edierten Prozessakten beigefügt wurde. Der Band wird durch ein Register erschlossen (S. 183-186).

 

Fürth                                                                                                                         Susanne Jenks