Edwards, John, Die spanische Inquisition, aus dem Englischen v. Ehrhardt, Harald. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2003. 203 S.

 

Die spanische Inquisition war jahrhundertelang der Inbegriff für eine reaktionäre, konservative Schreckensherrschaft der Kirche, die sich zur Durchsetzung von Glaubensinhalten maßloser Gewalt in Form unmenschlicher Folter und öffentlicher Massenverbrennungen bediente. Seit einigen Jahren ist sich die Geschichtswissenschaft bewußt geworden, daß ein großer Teil dieser Vorstellung auf einer „schwarzen Legende“ beruht, die sich das aufgeklärte, von Frankreich dominierte Europa vom iberischen Nachbarn machte. Für dieses Europa war die italienische Renaissance Inbegriff für Kultur und Fortschritt, Spanien fungierte als düsteres Gegenbild, in dem die Schrecken der Inquisition besonders unterstrichen und den Inquisitoren, allen voran dem berüchtigten Großinquisitor Tómas de Torquemada, zugleich eine materielle und eine perverse Motivation unterstellt wurden.[1] Noch das Werk von Henry Charles Lea vom Anfang des 20. Jahrhunderts ist in mancher Hinsicht von dieser „Legende“ geprägt.[2]

 

In jüngster Zeit bemühen sich zahlreiche Publikationen darum, die spanische Inquisition nicht anzuprangern, sondern sachlich zu analysieren und ihre Hintergründe begreifbar zu machen. Zu diesen Publikationen gehört auch das jetzt in deutscher Sprache erschienene Buch des in Oxford lehrenden Historikers John Edwards, das versucht, die Inquisition von den Ursprüngen bis zu den heutigen Nachfolgern als Gesamtphänomen zu begreifen. Dem Problem der Legendenbildung widmet Edwards allerdings nur am Schluß etwas Raum (S. 185ff), während er ansonsten den früheren Verzerrungen im Geschichtsbild durch einen sachlichen, auf Fakten konzentrierten Darstellungsstil zu begegnen weiß.

 

Edwards beginnt mit den Wurzeln der kirchlichen Inquisition im Allgemeinen, mit dem Begriff der Häresie (S. 13ff). Er zeigt, wie sich in Südfrankreich in Auseinandersetzung mit den Waldensern und Katharern der Begriff der Häresie von der Bedeutung einer „Wahlmeinung“ zur „Abweichung“ wandelte, die es kirchlich und weltlich zu bekämpfen galt. Mit dem IV. Laterankonzil wurde 1215 die Pflichtbeichte eingeführt, was in der Folge zur Herausbildung eines inquisitorischen Prozeßrechts für die Beichtpraxis führte, das sich im Gegensatz zum mittelalterlichen Anklageprozeß nicht mit der Gegenüberstellung von Leumundszeugen begnügte, sondern die Erforschung der Wahrheit in den Mittelpunkt stellte.

 

Im Gegensatz zur römischen Inquisition war die 1478 von den Katholischen Königen Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón eingesetzte spanische Inquisition, wie Edwards nachweist, eine von Anfang an von staatlichen Interessen geleitete Institution (S. 67ff). Am Ende der „Reconquista“, der Rückeroberung des iberischen Territoriums durch die christlichen Herrscher aus den Händen der Muslime, war die Inquisition in Spanien in erster Linie daran interessiert, dem Rückfall der zunächst missionarisch, später auch zwangsweise christianisierten Bevölkerung in das Judentum und das Heidentum zu begegnen. Zugleich sollte sie ein Zeichen der Identität für die Einheit Spaniens werden. Bei der Bevölkerung war die Inquisition beliebt; Kritik erwuchs ihr von Seiten der Conversos, aber auch von adligen Gruppen in Aragón, die ihre Privilegien gegen den vordringenden kastilischen Einfluß zu verteidigen suchten (S. 77ff).

 

Die Zwangstaufen hatten vielfach nicht zu einer Bekehrung geführt. Viele der getauften „Neuchristen“ unterhielten weiterhin Verbindungen zu ihren alten Religionsgenossen, so daß sich unter konservativen „Altchristen“ die Ansicht bildete, daß das Blut auf eine bestimmte Religion prädestiniere. Diese einflußreiche Gruppe sah letztlich nur in der Abstammung einen Garant für den „reinen Glauben“ und versuchte, die „Reinheit des Blutes“ (limpieza de sangre) mit Hilfe von Statuten zu sichern, die die öffentlichen Ämter den „Altchristen“ vorbehielten. Diese Ansicht, für die Edwards den Franziskaner Alonso de Espina nennt, wurde freilich von der Krone, die aus den Privilegien der Conversos erhebliche Einkünfte bezog, nicht geteilt. Dennoch bewirkten die Statuten, daß eine Vielzahl fähiger und loyaler Untertanen aus den öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurde, was später als Grund für den wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang Spaniens angeführt wurde (S. 160ff).

 

Es sei ergänzt, daß auch die große Mehrzahl der spanischen Theologen und Kanonisten des 16. Jahrhunderts gegen die Lehre vom „verdorbenen Blut“ Stellung bezog, unter ihnen auch der franziskanische Theologe Alfonso de Castro.[3] Die Nachkommen von Schwerstverbrechern wurden zwar von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, konnten aber durch Nachweis der Rechtgläubigkeit einen Dispens erwirken. Die Lehre vom „verdorbenen Blut“, die eine Mission der Juden konsequenterweise für zwecklos hätte halten müssen, widersprach im Grunde dem Selbstverständnis der Inquisition.

 

Die staatlich geförderte Inquisition richtete sich in der Anfangsphase vornehmlich gegen „judaisierende“ Gruppen von „Neuchristen“. Edwards sieht freilich selbst, daß die Inquisition diesem angeblichen „Kernbereich“ in späterer Zeit nur noch zehn Prozent ihrer Aufmerksamkeit widmete (S. 167). Als die Judenchristen und Morisken vertrieben waren, entwickelte die spanische Inquisition eine Eigendynamik und suchte nach weiteren Betätigungsfeldern, um ihre Existenz zu rechtfertigen. So gerieten bald auch die „Altchristen“ ins Visier der Inquisitoren, erst die Lutheraner, später Skeptiker und Atheisten und schließlich jede aufklärerische Philosophie schlechthin (S. 104ff).

 

Ein bisher wenig beachtetes Kapitel sind die Ausläufer der spanischen Inquisition in den Besitzungen der spanischen Krone in Italien, den Niederlanden und in der Neuen Welt. Edwards widmet diesem Thema ein eigenes Kapitel, das zeigt, wie der Ruf der speziell spanischen Inquisitoren allerorten für Schrecken sorgte und oft schon das Gerücht einer Einführung dieser Inquisition zum Aufruhr führte und die Separatisten auf den Plan rief (S. 128ff). Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit dem Niedergang und dem verwirrenden Todeskampf der spanischen Inquisition (S. 163ff).

 

Die Stärke des vorliegenden Buches liegt in der knappen, übersichtlichen Form der Darstellung, die dennoch nicht scheut, die Entwicklungslinien bis in die Antike nachzuzeichnen und auch auf Daten der allgemeinen Geschichte zum Teil sehr ausführlich einzugehen. Edwards liefert eine gelungene Gesamtdarstellung, die die spanische Inquisition als Teil der spanischen und jüdischen Geschichte begreift. Das Hauptaugenmerk des Autors liegt freilich unübersehbar auf der Verfolgung der Juden bzw. „Judenchristen“, in der Edwards den „Kernbereich“ der Tätigkeit des „Heiligen Offiziums“ erblickt.

 

Für den Rechtshistoriker ist die spanische Inquisition vor allem deshalb interessant, weil hier die Brücke zwischen dem inquisitorischen Beichtverfahren, das seit 1215 für jeden gläubigen Katholiken obligatorisch war, und dem kirchlich-weltlichen Strafprozeß im „modernen“ Territorialstaat geschlagen wurde. Im Spanien des 16. Jahrhunderts wurde aber nicht nur der für jahrhunderte gültige Inquisitionsprozeß eingeschliffen, sondern auch der „moderne“ Begriff der Strafe geprägt, der einen sittlichen Vorwurf an den Straftäter beinhaltet. Dieser Begriff kündigt sich bereits in den südfranzösischen Häresieprozessen des 13. Jahrhunderts an,[4] er wird aber erst von der spanischen Thomas-Renaissance im 16. Jahrhundert, von franziskanischen, dominikanischen und jesuitischen Theologen, die häufig im Rahmen der Inquisition tätig waren, systematisch erfaßt.[5] Diese systematische Leistung der spanischen Inquisitoren kommt in Edwards‘ Grundriß leider nicht zur Geltung.

 

Basel                                                                                                             Harald Maihold



[1] Robert Lemm, Die Spanische Inquisition. Geschichte und Legende, Deutsch von Walter Kumpmann, München 1996; Henry Kamen, The Spanish Inquisition. An historical revision, London 1997.

[2] Henry Charles Lea, Geschichte der spanischen Inquisition im Mittelalter, 3 Bände, 1905-1913, Nachdruck Aalen 1980.

[3] Dazu Harald Maihold, Systematiker der Häresien - Erinnerung an Alphonso de Castro (1492-1558), in: ZRG Kan. Abt. 118 (2001), S. 523-530; Ders., Strafe für fremde Schuld? Die Systematisierung des Strafbegriffs in der Spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre, Dissertation Hamburg 2003.

[4] Viktor Achter, Die Geburt der Strafe, Frankfurt am Main 1951.

[5] Siehe dazu die Nachweise in Fußnote 3.