Dilcher, Jochen, Die Zins-Wucher-Gesetzgebung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Faktoren (= Europäische Hochschulschriften 2, 3394). Lang, Frankfurt am Main 2002. XV, 373 S.

 

Geld ist durch die Jahrhunderte hindurch ein nur schwer einzuordnender Gegenstand geblieben. Zwar erkannte man schon recht früh seinen Nutzen als Wertmesser im Handel, um den schwierigen Tauschhandel zu vermeiden. Aber als eigenes Handelsobjekt bereitete es stets Probleme, zumal beide Eigenschaften – Wertmesser und Handelsobjekt – nur schwer miteinander in Einklang zu bringen waren. Als Wertmesser konnte es bei der Fixierung des iustum pretium dienen; als eigenständiges Handelsobjekt bedurfte es für die Fixierung dieses gerechten Preises eines Wertmessers, der aber nicht im Gelde liegen konnte, weil eine Bewertung an sich selbst an logischen Widersprüchen scheiterte. So konnte einerseits mit einiger Berechtigung dem Geld der Charakter als Handelsobjekt abgesprochen werden mit der Folge, dass für seine Hingabe (als Darlehen) keine Gegenleistung verlangt werden darf (so das kanonische Zinsverbot[1]. Wurde es andererseits als Handelsobjekt anerkannt, musste es in Preistaxen o. ä. eingeordnet werden, d. h. es musste ein außerhalb des Geldes liegender Wertmaßstab gefunden werden, um den staatlichen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen zu entsprechen. Der durch Geld ausgedrückte Wert der anderen Handelsgüter  wirkte seinerseits auf den Geldwert als Handelsobjekt zurück, ein logisch-ökonomischer Widerspruch in sich. Den  diesen Widerspruch auflösenden schwierigen Erkenntnispfad im 19. Jahrhundert verfolgt Dilcher in seinem Buch.

 

Er beginnt mit einem ausgreifenden Kapitel über „Wesen und Begriff des Wuchers“. Nun mag es zwar richtig sein, dass Warenverknappungen zu Wucher führen können. Das gilt aber nur, wenn man den Preis außerhalb der konkreten Marktsituation als Vergleichsmaßstab heranzieht. Denn anderenfalls stellt der „wucherische“ Preis das marktgerechte Äquivalent für die knappe Ware dar. Richtig daran ist allerdings, dass diese Verknappung nicht künstlich herbeigeführt werden darf, sondern auf produktkonformen Ursachen beruhen muss. Nur hilft weder die eine noch die andere Einordnung bei Zinswucher sehr viel weiter: eine Verknappung des Geldes – sei sie künstlich herbeigeführt oder produktkonform verursacht – ist bei Geld nur unter besonderen Umständen, die aber ihrerseits wiederum marktbedingt sind, denkbar. Dennoch bleibt von der gesamten Wucherproblematik nur die Zinsfrage übrig, nicht weil sie ökonomisch prägend für den Wucher war, sondern weil die Erfahrungen des praktischen Lebens nur noch dieses Problem kannten. Und auf eine Darstellung dieser praktischen Erfahrungen legt der Verfasser großen Wert. Hierbei wird deutlich, dass vor allem die sog. Unterschicht, und zwar weiter spezifiziert auf die Kleinlandwirtschaft, vom Zinswucher besonders betroffen war. Gründe hierfür waren aber marktimmanent: die sog. Bauernbefreiung löste die Bauern zwar aus der Untertänigkeit, befreite sie aber zugleich von deren gutsherrlichen Sicherheit mit der Folge einer Entlassung in die wirtschaftliche Selbständigkeit, auf die sie nicht vorbereitet waren. Das mit den Agrarreformen einhergehende Kapitalbedürfnis konnten die „Befreiten“ nicht aus eigener Kraft bedienen. Der allgemeine Kapitalmarkt war ihnen versperrt infolge Fehlens ausreichender Kreditsicherheiten; die ihnen überlassenen Höfe taugten hierfür nicht. Diese mangelnde Sicherheit wurde von den „Wucherern“ durch eine entsprechende Zins- oder Vertragsgestaltung aufgefangen, wobei plakativ herausgestellte extreme Ausbeutungssituationen entstanden. Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch geltenden Zinsmaxima verhinderten diese Auswüchse nicht. Starre Regeln lassen stets scheinlegale Umgehungen zu, denen angesichts gerade der Starrheit der Regel nicht mit rechtlichen Mitteln begegnet werden kann.

 

Die zweite Epoche war geprägt vom Kampf um die Zinsfreigabe. Natürlich bietet sich hier als Ansatzpunkt die liberale Wirtschaftsauffassung an, die auf den Warenaspekt des Geldes abstellt und es für widersprüchlich ansieht, den sonstigen Warenverkehr freizugeben, nicht aber den Geldverkehr[2]. So vordergründig liberalistisch es war, auf den „Warencharakter“ des Geldes abzustellen ohne dessen „Warenwert“ näher definieren zu können – Angebot und Nachfrage halfen hier offensichtlich nicht weiter -, so durchschlagend konnte jedoch auf die Nutzlosigkeit der Zinshöhebeschränkungen hingewiesen werden. Letztlich wurde der Zins seiner Höhe nach freigegeben.

 

Mit den Auswirkungen dieser Freigabe und den gesetzgeberischen Reaktionen darauf wird die dritte Epoche in der Zinsgesetzgebung beschrieben. Die Hoffnungen auf eine marktkonforme Beseitigung des Zinswuchers trogen; sie konnten sich auch nicht erfüllen, weil sich die Marktbedingungen, unter denen der „Wucherzins“ gefordert wurde, nicht geändert hatten. Die ökonomische Situation der „Bewucherten“ war die gleiche geblieben und sie mussten weiterhin den hohen Zinssatz mit den sich daraus ergebenden Weiterungen des Zugriffs auf das gesamte Vermögen ertragen. Daran wurde deutlich, dass Geld eben keine Ware wie jede andere war und sich sein Preis nach anderen Kriterien richtete als dem von Angebot und Nachfrage. Wesentlich für die Preisbestimmung erschien der Risikofaktor[3] und Sicherheiten konnte die besonders betroffene „Unterschicht“ nicht bieten, mit oder ohne Zinsfreigabe. Das Hilfe versprechende Genossenschaftswesen steckte noch in den Kinderschuhen. Wiederum sah sich der Gesetzgeber auf Grund vielfacher und vom Verfasser eingehend dokumentierter Klagen zu einem Eingreifen veranlasst.

 

Eine Rückkehr zum Zinsmaximum schied – trotz entsprechender Anregungen seitens des politischen Zentrums – aus. Der Gesetzgeber entschied sich – zunächst nur im strafrechtlichen Bereich, letztendlich aber dann doch zivilrechtlich im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuchs – für einen offenen Wuchertatbestand (allerdings 1880 nur den Kreditwucher betreffend). Damit einher ging ein gewisser Wechsel in der Verantwortung: war früher bei der Festlegung eines Zinsmaximum der Gesetzgeber genötigt, diese starre Grenze zu rechtfertigen, wurde es mit dem offenen Tatbestand nunmehr dem Richter überlassen, eine Bewertung im Einzelfall vorzunehmen. Auf diesen Aspekt der richterlichen Auslegungsfreiheit (notabene im Strafrecht!) wurde bei der Ausarbeitung des neuen Wuchergesetzes ausdrücklich hingewiesen. Dabei übersah man aber zweierlei: erstens die nicht sehr ausgebildete Fähigkeit der Richterschaft, wirtschaftliche Zusammenhänge zu bewerten; zum anderen deren positivistische Einstellung mit der sich daraus ergebenden buchstabengetreuen Auslegung des Gesetzes. Die Folge davon war, dass es wiederum der Findigkeit und Gestaltungsfreude des Wucherers überlassen blieb, ob er unter das Gesetz fiel oder nicht. Dem sollte erst mit einem Gesetz von 1893 und letztlich dem § 138 Abs. 2 BGB von 1900 abgeholfen werden, wodurch Kredit- und Sachwucher erfasst wurden. Zwar blieb die Auslegung wiederum dem Richter überlassen; jedoch wurde gerade im Zusammenhang mit § 138 Abs. 2 BGB betont, dass dem Richter „mit einer klaren Umschreibung des materiellen Wucherbegriffs eine eindeutige Anweisung“ (S. 316) erteilt werde, so dass die früheren Auslegungsschwierigkeiten vermieden würden.

 

Die mit dem § 138 Abs. 2 BGB verbundenen Hoffnungen haben sich nur bedingt erfüllt; der Verschleierung des wahren Zinssatzes durch Aufspaltung der Gegenleistung in Teilleistungen, die die unterschiedlichsten Bezeichnungen trugen, nur nicht den eines Zinses, konnte erst mit dem Verbraucherkreditgesetz und seinen Vorläufern sowie der Preisangabeverordnung Einhalt geboten werden. Darin wird letztendlich deutlich, dass die Bemühungen des Gesetzgebers um Regulierung eines rein wirtschaftlichen Tatbestandes, entweder direkt durch starre Preisregelungen oder indirekt durch vorgegebene Wertungsmaßstäbe, an dessen stets fließenden und unscharfen Grenzen scheitern mussten. Im Endergebnis haben sich die „liberalen“ Stimmen durchgesetzt, die bereits im Vorfeld des BGB-Wucherparagraphen auf eine Verbesserung der ökonomischen und Bildungsfaktoren bei den Kreditsuchenden hinwirken wollten.

 

Dilcher gelingt es in seinem Buch, anhand einer Fülle verarbeiteten Materials die verschiedenen Phasen der Wucherbekämpfung plastisch darzustellen. Besonders hervorzuheben ist die Einbeziehung der wirtschaftlichen Realitäten, wie sie sich nicht nur in Kommissionsberichten, sondern auch in Zeitungsartikeln niedergeschlagen haben. Daraus wird deutlich, dass die Wucherproblematik nicht nur ein technisch-rechtliches und/oder lehrsatzmäßig ökonomisches Problem darstellt, sondern zuvörderst ein zutiefst menschliches. Unter diesem Gesichtspunkt erschien es als Pflicht jedes Staates, unabhängig von der verfolgten Wirtschaftstheorie, allein unter dem Gesichtspunkt der Staatsaufgabe „Wohlfahrt der Untertanen“, hier regulierend einzugreifen. Dass diese Eingriffe – im Nachhinein betrachtet-, selten zum Erfolg geführt haben, darf nicht als Vorwurf oder als Rechtfertigung für Nichtstun gewertet werden, sondern nur als Ansporn, den schädlichen Folgen „freien Wirtschaftens“ Einhalt zu gebieten. Diese stufenweise Entwicklung und stückweise Verbesserung des rechtlichen Eingriffsinstrumentariums werden von Dilcher hervorragend dargestellt.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Siegbert Lammel


 



[1] Pesch, Lehrbuch der Nationalökonomie V, S. 720-722.

[2] von Mohl, Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, III2 (1845), § 37 (S. 352ff.); der zusätzlich etwas ironisch auf Staatsanleihen mit höheren Zinsen hinweist.

[3] Rau, Lehrbuch der politischen Oekonomie, Band I Volkswirthschaftslehre5 (1847) §§ 225 bis 228.