Buxbaum, Carmen, Anlegerschutz zwischen Bankbedingungen und Rechtsnormen. Eine Untersuchung zu dem Depotgesetz von 1896 (= Schriften zur Rechtsgeschichte 92). Duncker & Humblot, Berlin 2002. 442 S.

 

1. Es war Hans-Peter Benöhr, der als einer der ersten in den siebziger Jahren den Blick dafür geöffnet hat, dass man mit der bis heute noch herrschenden Sicht, das ausgehende 19. Jahrhundert sei von einer liberalen Privatrechtsordnung geprägt gewesen und habe nicht adäquat auf die soziale Frage reagiert, den Zugang zum Problem eher verstellt, als zur Klärung beizutragen. Die Antwort der Rechtsordnung auf die soziale Frage kann nur dann erarbeitet werden, wenn die gesamte Rechtsordnung des Kaiserreichs am Ende des 19. Jahrhunderts auch berücksichtigt wird. Zwar hat auch das Bürgerliche Gesetzbuch, das im Zentrum der üblichen, dadurch aber noch nicht richtigen, Kritik steht, erheblich mehr zur Lösung der sozialen Probleme beigetragen, als vom „spätgeborenen Kind des klassischen Liberalismus“ (Wieacker) erwartet werden konnte. Aber der Horizont ist viel weiter: Gewerbeordnung, Aktienrechtsnovelle, Wuchergesetz, Börsengesetz und Abzahlungsgesetz müssten mit ihren privatrechtsbezogenen Teilen Beachtung finden. Es war eine ganz bewusste Entscheidung bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, besonders brisante Materien sondergesetzlicher Regelung zu überlassen. Außer Werner Schubert gehört auch Joachim Rückert in die Reihe derer, die für eine breitere  und letztlich richtigere Sicht der Dinge plädierten. – Daher überrascht es nicht, dass Benöhr und Rückert an der Entstehung der Frankfurter Dissertation von 1996 (neuere Literatur ist für die Drucklegung 2002 nicht mehr eingearbeitet worden) beteiligt waren. Der Anlegerschutz durch das Depotgesetz von 1896 (Entwurf und Gesetzestext sind mitabgedruckt, S. 410-417) ist ein Mosaikstein im Bild der Privatrechtsordnung des späten 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig bietet die Arbeit einen Beitrag zur spezielleren Geschichte des deutschen Kapitalmarktrechts.

 

Die Fragestellung zielt nicht nur auf die Gesetzgebungsgeschichte und die damit zusammenhängenden politischen Interessen (Teil 1, S. 16-305), sondern auch – und das ist besonders reizvoll - auf die Anwendung, die Normdurchsetzung (Teil 2, S. 306-409). Dabei wird nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die Praxis der Banken selbst einbezogen. Das war schon deshalb notwendig, weil die Praxis in weitem Umfang durch allgemeine Geschäftsbedingungen geprägt war, die sich mehr oder weniger weit vom dispositiven Recht entfernt haben.

 

2. Buxbaum beginnt mit der Bankenkrise (16ff.), die im November 1891 zum Bankrott mehrerer Berliner Bankhäuser geführt hatte. Es wurden „Depotveruntreuungen“ bekannt. Ob der Tatbestand der Untreue jedoch erfüllt sei, war streitig, weil regelmäßig durch allgemeine Geschäftsbedingungen nur ein depositum irregulare vereinbart wurde, bei dem der Verwahrer nicht zur Rückgabe der in Verwahrung gegebenen Sachen (Wertpapiere) verpflichtet war, sondern nur zur Leistung von Wertpapieren der gleichen Gattung (in genere) (34). Hinzu trat eine restriktive Auslegung des Straftatbestands durch das Reichsgericht (41ff.). Die Geschäftsbedingungen brachten nur unvollkommen zum Ausdruck, ob das Eigentum an den Wertpapieren beim Verwahrer bleiben sollte. Vielmehr beschränkten sie sich regelmäßig auf eine Umschreibung der Wirkungen wie „Aufnahme in die eigenen Effektenbestände“ oder „frei Verfügungsbefugnis“ oder „Ermächtigung zur Weiterlombardierung“. Vor der Gefahr eines unfreiwilligen Eigentumsverlustes wollte das Depotgesetz von 1896 schützen (38). Dabei ging es nicht – so ist zu ergänzen – um die Verhinderung unkluger Geschäfte, sondern um die Sicherung privatautonomer Entscheidung. Das Problem war die Unfreiwilligkeit des Eigentumsverlustes. Es blieb jedoch nicht bei diesem Risiko für die Anleger. Hinzu trat vielmehr die Anlockung von Kunden mit kleineren Vermögen beim Effektenhandel mittels niedriger Einschussforderungen. Nachträgliche Forderungen konnten dann oftmals nicht mehr ausgeglichen werden, der Kunde verlor sein angezahltes Geld ohne in den Genuss der Gegenleistung zu kommen (38-40). Die entsprechenden allgemeinen Geschäftsbedingungen waren in der Regel unbestimmt und für den Kunden nachteilig. Auf Änderungen der allgemeinen Geschäftsbedingungen ließen sich die Banken auch schon damals nicht ein.

 

Die zivilrechtliche Situation war alles andere als eindeutig. Schon über den Begriff des Depotgeschäfts herrschte keine Einigkeit. Er konnte ebenso gut die Verpfändung von Wertpapieren, ihre Hinterlegung oder auch ihre Verwahrung bedeuten (46-50). Auch über die Fragen, wann und wie bei einer Einkaufskommission das Eigentum übertragen wurde, wurde nicht einheitlich geurteilt. Hatte der Kommittent einen Anspruch auf gerade die vom Kommissionär erworbenen Stücke? Durfte der Kommissionär die für den Kommittenten erworbenen Stücke zwischenzeitlich (gewinnbringend) veräußern und den Gewinn behalten, obgleich er den Gewinn wenigstens zum Teil mit dem Geld des Kommittenten erwirtschaftet hatte? Für die Rechtsprechung war die Lage ambivalent, weil auf beiden Seiten die Geschäfte stark spekulativen Charakter hatten und die Schutzwürdigkeit einer Seite gar nicht unbedingt auf der Hand lag (56, vgl auch die Äußerungen in der Literatur S. 82f. mit Fn. 58). Das Reichsoberhandelsgericht verneinte mehrfach einen Anspruch auf die konkreten Stücke (55-59), das Reichsgericht bejahte ihn hingegen in der Weise, dass der Kommissionär die Effekten nur auswechseln dürfe (61ff.) (Das Urteil des Reichsgerichts von 1880 hat auch deshalb besondere Bedeutung, weil es eine ausführliche Erläuterung der Motive des Reichsgerichts aus der Hand des Berichterstatters gibt, vgl. S. 67). An den spekulativen Effektengeschäften, die auf eine Realisierung von Kursgewinnen ausgerichtet waren, beteiligten sich nach Auffassung der Börsenenquete-Kommission (1892/93) auch kapitalschwache Personen, die das Geld zum Teil im Kreditwege besorgten, Personen „in unselbständiger oder in untergeordneter, dürftiger wirthschaftlicher Lage bis herunter zur vollen Vermögenslosigkeit“ (59). Für dieses Publikum entstanden letztlich ähnliche Abhängigkeiten wie beim Abzahlungsgeschäft. Entscheidend wurde daher, ob der Kommissionär zur realen Vorhaltung bestimmter Stücke verpflichtet sein solle, woran eine Bank dann kein Interesse hatte, wenn sie mit Hilfe des Kapitals des Kunden eigene Spekulation betreiben wollte (60f.).

 

Die zweite BGB-Kommission hatte die Aufnahme einer Vorschrift ins Auftragsrecht abgelehnt, nach der der Kommissionär für den Kommittenten das Eigentum erwerbe, da man eine Vermischung von direkter und indirekter Stellvertretung vermeiden wollte (69). Das ist ein Beleg mehr für die Strategie, trotz aller Aufgeschlossenheit für die soziale Aufgabe des Privatrechts die Kodifikation nicht mit sozialpolitisch brisanten Fragen zu belasten, die in Sondergesetzen geklärt werden könnten.

 

Erste Anträge zu einer gesetzlichen Lösung der Probleme wurden im Reichstag im November 1891 gestellt. Sie zielten auf eine Nichtigkeits- und Klagloserklärung von Differenzgeschäften, einerseits um Preis- und Kursmanipulationen auszuschalten, andererseits um finanzschwache Börsenspekulanten abzuhalten (72-76). Die anschließende öffentliche Debatte brachte fast alle denkbaren Standpunkte ans Licht (76-97). Einigkeit herrschte darüber, dass das ungeeignete, finanzschwache Publikum von der Börsenspekulation fernzuhalten sei. Welcher Weg dorthin führe, blieb strittig.

 

Die Vorbereitungen für einen Gesetzentwurf fanden seit 1891 im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe unter der Führung v. Berlepschs statt (97ff.). Parallel gab es Vorarbeiten im Finanzministerium unter Miquel. Vom Reichsamt des Inneren wurde außerdem eine Börsenenquete durchgeführt. Unabhängig davon arbeitete allerdings das preußische Handelsministerium eine erste Entwurfsfassung aus, die dem Schutzbedürfnis des Publikums insbesondere dadurch Rechnung trug, dass das „Depot“ als Verwahrung fremden Eigentums definiert wurde, was eigenmächtige Verfügungen der Bank ausschließen sollte. Buxbaum schildert dann ausführlich die einzelnen Beratungsgegenstände und Positionen der Kommission, die den Gesetzesentwurf auszuarbeiten hatte (115-144), die anschließende Anhörung der Sachverständigen (144-174) und die Schlussredaktion des gegenüber der ersten Fassung entschärften, 1892 fertiggestellten preußischen Entwurfs (174-248). Die parallel arbeitende Börsenenquete-Kommission hatte sich nicht nur um die Fragen der Einkaufskommission und insbesondere die Vorhaltungspflicht des Kommissionärs bemüht, sondern auch behandelt, wie es sichergestellt werde, dass der Kommissionär Aufträge auch wirklich ausführt. Eigentliche Reformvorschläge kamen jedoch aus der Enquete-Kommission nicht, weil man sich, wie Gamp diagnostizierte, nicht dazu entscheiden konnte, „alles der absoluten Vertragsfreiheit“ zu überlassen (256).

 

Der Bundesrat hatte gegenüber dem preußischen Entwurf den Anlegerschutz verstärkt: Auf die Initiative Sachsens wurde für die Einkaufskommission einheitlich festgelegt, dass das Eigentum mit der Absendung des Stückeverzeichnisses auf den Kommittenten übergeht (269).

 

Die Reichstagsverhandlungen (erste Lesung 9.-11. Januar 1896) werden von Buxbaum in den notwendigen allgemein-politischen Zusammenhang gerückt. Kennt man die Vorgeschichte des Gesetzesentwurfs, so ist es interessant zu sehen, wie v. Berlepsch bei der Verteidigung des Entwurfs etwa bemäntelte, dass wesentliche Forderungen der Sachverständigen nicht berücksichtigt worden waren usw. (280).

 

Für alle Phasen der Entstehung des Gesetzes werden die Einzelfragen in großer Genauigkeit behandelt, insbesondere der zentrale Punkt einer Einführung von Stückverzeichnissen bei der Einkaufskommission, (147-153, 162-166, 176-196, 205, 251 f., 289f.).

 

Im zweiten und kürzeren Teil (306-403) wechselt die Perspektive. Es geht nun um die Anwendung des Gesetzes. Die Banken bemühten sich in der besonders spannenden Anfangsphase darum, den Gesetzeszweck möglichst getreu umzusetzen und so vertrauensbildend zu wirken, soweit es die eigenen Interessen gestatteten. Als Beispiel dafür kann die Praxis der Fremdanzeige gelten, mit der im Verkehr zwischen Banken klargestellt wurde, dass der Lokalbankier für fremde Rechnung handelte (321ff.). Bemerkenswert ist eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 17. März 1908, die eine Lücke im Rechtsschutz des Anlegers, die § 8 DepotG enthielt, schloss. Der – trotz Fremdanzeige wegen anderweitiger Ermächtigung denkbare - gutgläubige Pfandrechtserwerb durch den Zentralbankier (gemäß §§ 366 HGB, 932, 1293, 1207 BGB) wurde jetzt praktisch durch eine Verkehrung der Beweislast abgeschnitten (323-325). Der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis des Lokalbankiers müsse, so entschied das Reichsgericht, bewiesen werden. Trotz heftiger Kritik hielt das Reichsgericht mit Urteil vom 23. November 1915 an dieser Rechtsprechung fest (328f.). Nicht einmal die vorformulierte Versicherung der Verfügungsbefugnis durch die erstbeauftragte Bank sollte genügen (S. 335). Die Rechtsprechung belegt einmal mehr die seit kurzem (vgl. Falk/Mohnhaupt, Das BGB und seine Richter, 2000; Zimmermann, Einleitung zum Historisch-Kritischen Kommentar zum BGB, 2003) beobachtete Souveränität des Obergerichts im Umgang mit dem Gesetz, da es für diesen Fall doch die Beweislastverteilung des § 932 BGB schlicht ignorierte. Die Novelle des Depotgesetzes von 1937 ersetzte die Fremdanzeige dann durch eine gesetzliche Fremdvermutung (337-339).

 

Weniger erfolgreich war die gesetzliche Verpflichtung zur Übersendung eines Stückeverzeichnisses, weil die Banken oftmals dazu übergingen, sich davon formularmäßig zu befreien (339-366). Das vom preußischen Ministerium beabsichtigte Erziehungsmittel für das Publikum erwies sich insoweit als ungeeignet. In der Inflationskrise 1923 wurde das Anrecht auf eine Stückeverzeichnis kurzer Hand per Notverordnung gänzlich abgeschafft. Dem Kunden wurde im Gegenzug ein Aussonderungsrecht im Konkurs zugestanden. Erst 1937 wurde die Verpflichtung zur Übersendung des Stückeverzeichnisses wieder eingeführt.

 

Die vorübergehende Abschaffung des Stückeverzeichnisses öffnete den Spielraum für eine „Rechtsschöpfung durch die Wirtschaft“: den Effektengiroverkehr mit der Sammelverwahrung im Unterschied zum Streifbanddepot (367-403). Das Sammeldepot fand eine gesetzliche Regelung auch erst in der Novelle von 1937.

 

3. Neben den inhaltlichen Berichten spricht Buxbaum in schöner Weise immer wieder auch übergeordnete Fragen an. Hierher gehört beispielsweise die Beobachtung der Argumentation des Leiters der Gesetzgebungskommission im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe Paul Hermann Ullmann, der die Abkehr vom geltenden Recht hinsichtlich des Eigentumserwerbs bei der Einkaufskommission mit der Natur der Sache begründete – und weniger mit den sozialpolitischen Absichten, die die Politik des Ministeriums leiteten. Ullmann machte sich so ein Argument zu eigen, das in der historischen Schule eher gegen den Gesetzgeber gewendet worden war (119). – Zu erwähnen sind auch die Überlegungen zu den lenkungspolitischen Absichten, wie sie sich etwa an der Frage einer Ausnahmeregelung für öffentlich-rechtliche Banken zeigt (227ff., 246). Im preußischen Ministerium war man der Meinung, es solle das Publikum daran gewöhnt werden, „auf eine strenge Befolgung der Bestimmungen durch die Banken zu achten“. Es war also keineswegs eine Bevormundung gewollt, sondern das Publikum sollte zur selbstbestimmten Entscheidung befähigt werden.

 

Zu bemängeln sind nur Kleinigkeiten, die den guten Gesamteindruck der Arbeit nicht schmälern. Hierhin gehört beispielsweise, dass Buxbaum die inzwischen doch überholte Sicht Wieackers fortschreibt, die Pandektenwissenschaft sei infolge eines logischen Formalismus zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Neutralität verpflichtet gewesen (197 und 199). Diese Einschätzung lässt sich nach den Forschungen insbesondere von Falk und Rückert für die Pandektistik nicht mehr aufrecht erhalten. Erst recht trifft sie nicht für die zweite BGB-Kommission zu.

 

Weiterführend drängt sich die Frage nach dem Verhältnis der sozialpolitischen Vorstellungen, die im Depotgesetz verwirklicht worden sind, zu den Vorstellungen in der Privatrechtskodifikation, die freilich differenziert zu bewerten sind, auf. Dass sie in der hier besprochenen Arbeit nicht aufgegriffen worden ist, ist nicht zu kritisieren. Dass die Lektüre die Frage aufwirft, belegt den anregenden Wert der Untersuchung. Es scheint so, als habe das preußische Ministerium unter v. Berlepsch ganz bewusst eine Form von Anlegerschutz gesucht, die die Privatautonomie der beteiligten Parteien möglichst wenig angetastet hat. Das entspricht einer im Bürgerlichen Gesetzbuch an manchen Stellen ebenfalls anzutreffenden Vorstellung von sozialer Freiheit mehr als einem Konzept des Schutzes des Schwächeren durch eher bevormundende Grenzziehungen. Die äußerst verdienstvolle Verfolgung der Geschichte des Depotgesetzes im 20. Jahrhundert bis 1937 durch Buxbaum zeigt aber auch in aller Deutlichkeit die Kehrseite dieser Medaille: die erhalten gebliebene Vertragsfreiheit nutzten die Banken durch ihre Geschäftsbedingungen in vielfältiger Weise so aus, dass die Zielsetzungen des Depotgesetzes wenigstens zum Teil unterlaufen wurden, wie man an der Praxis der Nummernaufgabe erkennen kann. Als Gegenmittel bot sich eine schärfere Inhaltskontrolle der Geschäftsbedingungen an, die von der Rechtsprechung aber nicht vorgenommen worden ist oder eine gesetzlich zwingende Regelung. – Alles in allem eine sehr gelungene Untersuchung, die unsere Kenntnis von der Privatrechtsordnung am Ende des 19. Jahrhunderts um einen wichtigen Mosaikstein bereichert und die manchen Stoff für weiterführende Überlegungen bietet.

 

Hamburg                                                                                                        Tilman Repgen