Arnswaldt, Wolf Christian von, Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzrevision (1842-1848) (= Juristische Zeitgeschichte 7). Nomos, Baden-Baden 2003. XIII, 330 S.

 

Stölzel bezeichnete in: „Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung“ (Bd. 1, 1888) Savigny als einen „Fabius Cunctator im Reiche der Gesetzgebung“, der „mit seinem Gelehrtenstabe ,Grundzüge’ und abermals ,Grundzüge’, ,Denkschriften’ und abermals ,Denkschriften’“ darüber liefere, welchen Weg die von ihm ins Auge gefasste Gesetzgebung einzuschlagen beabsichtige, und sprach ihm „insgesamt jene Fähigkeiten ab, die als Voraussetzungen für die Leitung eines Ministeriums notwendig seien“ (Arnswaldt, S. 106). Diese Charakterisierung Savignys als eines unfähigen Gesetzrevisionsministers hat die Literatur, ungeachtet einiger wenig beachteter Korrekturen in zwei Dissertationen[1], nahezu unangefochten ein ganzes Jahrhundert beherrscht. Erst neuere Forschungen von Rückert, von van Hall, Jürgen Regge und des Rezensenten haben dieses Bild in Frage gestellt. Von Arnswaldt geht in dem Werk „Savigny als Strafrechtspraktiker“ erstmals monographisch anhand aller einschlägigen archivalischen Quellen der Frage nach, inwieweit das Urteil Stölzels zutreffend ist. Hierbei beschränkt sich der Verfasser auf das materielle und auf einen wichtigen Teil des formellen Strafrechts, beides Rechtsmaterien, die nach Savigny zum „politischen Recht“ zählen und von einem Gesetzrevisionsminister ein besonderes Fingerspitzengefühl im Umgang mit der öffentlichen Meinung verlangten. In den einleitenden Teilen gibt der Verfasser zunächst einen Überblick über die Geschichte der Strafrechtsrevision, über Savignys Lebenslauf, Orden, Ämter und Funktionen sowie über die bisherige Literatur zur Person Savignys und über die Kritik am „Praktiker“ hinsichtlich seiner Befähigung zum „Staatsmann“ und zum „Strafrecht“ (S. 60ff.). Den Untersuchungsrahmen umschreibt der Verfasser wie folgt (S. 104f.): Es sei Savignys tatsächliche Amtsführung zu untersuchen, wie er als Leiter seines Ministeriums „die praktische Durchführung der Revision organisiert und umgesetzt hat“. Ferner untersucht der Verfasser das ministerielle Verhalten und Handeln Savignys gegenüber seiner Umgebung, insbesondere seine „Durchsetzungskraft und Akzeptanz“. Endlich ging es dem Verfasser um den Umgang Savignys mit der Öffentlichkeit und um die Berücksichtigung öffentlich erhobener Forderungen bezüglich der Revisionsarbeit sowie allgemein um die Ausrichtung der Gesetzesarbeit, vor allem, ob Savigny sich an „ideologischen Maximalforderungen für seine Revisionsarbeit orientiert oder an der politischen Durchsetzbarkeit von Neuerungen“.

Zunächst geht der Verfasser den Fragestellungen hinsichtlich der Reform des materiellen Strafrechts nach, zu dem am Ende der Ministerzeit 1847/48 ein nahezu verabschiedungsreifer Entwurf vorlag. Untersucht werden folgende Arbeitsbereiche: Savignys Planung und seine Vorschläge für die Revision der Strafgesetze; Umsetzung des Reformprogramms; Gründlichkeit und Beschleunigung bei der Revisionsarbeit; Arbeits- und Vorgehensweise bei der Strafrechtsrevision. Nach v. Arnswaldt spiegeln die überlieferten Akten einen Revisionsminister wieder, „der tatkräftig, engagiert, pragmatisch und zielorientiert die Aufgaben der Strafrechtsrevision angeht“ (S. 216). Sein Vorgehen wirke „überlegt und der jeweiligen Situation angemessen“. Insgesamt habe Savigny eine „praktisch orientierte und erfolgsorientierte Arbeitsweise“ verfolgt. In diesem Zusammenhang ist auf dessen Vorschläge zu einer zweckmäßigen Einrichtung der Gesetzrevision vom 9. 1. 1842 hinzuweisen, die zu Savignys Ministerprogramm wurden. Bahnbrechend war auch die Art und Weise, wie er mit der Kritik der Öffentlichkeit und der Provinziallandtage an dem 1843 veröffentlichten StGB-Entwurf umging[2]. Endlich gelang es ihm Ende 1847, den König zu einer Beschneidung der Staatsratskompetenz und damit zu einer Beschleunigung von Gesetzgebungsverfahren zu veranlassen. – In einem weiteren Abschnitt (S. 254-315) behandelt der Verfasser den Anteil Savignys am Zustandekommen des Gesetzes vom 17. 7. 1846 über das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Untersuchungen. Bekanntlich ist der maßgebende Gesetzentwurf im Justizverwaltungsministerium unter Uhden durch Friedberg, dem späteren preußischen Justizminister, ausgearbeitet worden, ohne dass Savigny als mit zuständiger Minister, auf dessen Kosten sich Uhden profilieren wollte, von Anfang an hinzugezogen wurde[3]. Stölzel hat zwar die Vorgehensweise Uhdens zutreffend geschildert, dabei aber die dominierenden Einflüsse Savignys auch auf die inhaltliche Seite des Gesetzes insbesondere in den Beratungen im Mai und Juni 1846 unterschlagen.

 

Dem Resümee des Verfassers, dass Savigny als Revisionsminister die Organisation und Planung sowohl für sein Ministerium als auch für die Strafrechtsrevision fest in die Hand genommen und das Tempo, die inhaltlichen Anforderungen und die Richtung der Revision bestimmt habe, ohne sich dabei ins Detail zu verstricken (S. 317), ist nur wenig hinzuzufügen. Was v. Arnswaldt für die Strafrechtsrevision herausgearbeitet hat, dürfte in gleichem Maße auch für die im Ministerium von Savigny bearbeiteten zivilrechtlichen und zivilprozessualen Reformarbeiten zutreffen[4], auf die der Verfasser leider nicht näher eingeht. Der geringe Ertrag der vielfältigen Projekte ist nicht auf mangelnde Effektivität seiner Ministerarbeit zurückzuführen, sondern war vor allem begründet in dem führungslosen Kollegialsystem der preußischen Regierungsverfassung und in den „Ungereimtheiten hinsichtlich der Kompetenzbereiche der einzelnen Minister“ (S. 88), aber auch in der schwankenden Persönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. Die lähmenden Einflüsse wurden noch verstärkt durch die Existenz zweier Justizministerien, die immer wieder zu „Überschneidungen der Tätigkeitsfelder, Missverständnissen hinsichtlich der eigenen Kompetenzen und wechselseitigen Abhängigkeiten der Ministerien voneinander“ führte (S. 89). Dieses Dickicht des Kompetenzwirrwarrs war auch für Savigny nicht überwindbar. Gleichwohl war Savigny nach Carmer, dem Preußen das Allgemeine Landrecht und die Allgemeine Gerichtsordnung verdankt, und vor Leonhardt, dem Vater der Reichsjustizgesetze, einer der drei großen preußischen Justizminister. Auch wenn seine äußeren Erfolge im Vergleich zu den beiden anderen Ministern nicht groß waren, so hat er doch in einem immer noch wenig erforschten Maße wichtige Grundlagen für die spätere Gesetzgebung und mittelbar auch des Deutschen Reichs gelegt. Nach dem allerdings etwas sehr breit angelegten Werk v. Arnswaldts ist nun der Weg frei für weitere Arbeiten über die inhaltliche Seite der Gesetzrevisionsarbeiten Savignys und deren Wirkungsgeschichte.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert



[1] Wilhelm Claß, Der Einfluss des Ministeriums von Savigny auf das Preußische Strafgesetzbuch von 1851, Diss. iur. Göttingen 1926; und Eberhardt Lorenz, Fr. C. von Savigny und die preußische Strafgesetzgebung, Diss. iur. Münster 1958.

 

[2] Diese Kritik wurde im StGB-Entwurf 1845 berücksichtigt (hierzu die Materialien in der Edition von W. Schubert/J. Regge, Gesetzesrevision (1825-1848); Abt. I, Bde. 5 und 6, Vaduz 1994 und 1996).

 

[3] Der König hatte Savigny nur aus Versehen, nicht mit Absicht übergangen (hierzu bereits Schubert in Bd. 6, S. XXX, der in Fn. 2 genannten Edition).

 

[4] Hierzu insbesondere Schubert, in: Schubert/Regge, (Fn. 2), Abt. II, Bd. 11, 1991; für das Familienrecht Bd. 6, 1987; zum Unehelichenrechtsentwurf von 1844/45 Thomas Heinrich, Das preußische Nichtehelichenrecht. Von der Aufklärung zur Reaktion, Frankfurt a.M. 1993, S. 164 ff. Hinzu kommt noch die Beteiligung Savignys an der Bergrechtsreform (Bd. 8 der Edition zur Gesetzrevision, 1988).