Wentker, Hermann, Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 51). Oldenbourg, München 2001. XI, 647 S.

 

Nach dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik und der Öffnung der Akten hat sich die allgemeine Geschichtsforschung in einem unerwarteten Maß der Justiz der DDR zugewendet, die von der westdeutschen DDR-Rechts-Forschung bereits vorher intensiv beobachtet worden war. Das Institut für Zeitgeschichte in München mit seiner Außenstelle in Berlin hat sein diesbezügliches Forschungsprojekt unter das Thema „Die Errichtung der Klassenjustiz nach 1945 in der SBZ/DDR in diktaturvergleichender Perspektive“ gestellt. Nach Regionalstudien über Sachsen und Brandenburg behandelt der vorliegend Bande die zentralen Institutionen, nämlich die Deutsche Zentralverwaltung für Justiz und - nach der Gründung der DDR - das Ministerium der Justiz. Wentker will über den bekannten Verlauf der Entwicklung dieser Institutionen und ihrer Tätigkeit hinaus vor allem die Entscheidungsprozesse und ihre politischen Hintergründe sichtbar machen. Dieses Vorhaben führt zu einer sehr viel detaillierteren Darstellung als in den bisher vorliegenden Werken. Wentker schildert zunächst die Rahmenbedingungen und die innere Struktur der Zentralverwaltung für Justiz, dann den Streit um die Kompetenzen mit den Justizverwaltungen der Länder, die Entnazifizierung des Justizpersonals, die Rekrutierung von Nachwuchskräften, insbesondere die Ausbildung der „Volksrichter“, die Funktion der Justizverwaltung bei sowjetischen Eingriffen in das deutsche Normensystem und die Versuche zur Reform des Strafvollzugs. Die zweite Phase läßt er nicht erst mit der Schaffung des Ministeriums der Justiz der DDR beginnen, sondern mit dem von der Zentralverwaltung für Justiz herausgegebenen Sammelband „Beiträge zur Demokratisierung der Justiz“ von 1948. Damit habe die SED öffentlich ihren Führungsanspruch bei der Transformation des Justizwesens deutlich gemacht. Anschließend schildert er den organisatorischen und personellen Umbau der Zentralverwaltung, die Zentralisierung der Justizverwaltung, den Wandel der Juristenausbildung, die Übertragung des Strafvollzugs auf das Innenministerium, den SMAD-Befehl 201 mit der Übertragung der Aburteilung von nationalsozialistischen Gewalttaten auf deutsche Gerichte, die Schaffung des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft der DDR und die Einrichtung der „Justizsteuerung“. Den Abschluß bilden der Neue Kurs, der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und die Übernahme des Justizministeriums durch Hilde Benjamin.

 

Statt des in dem Forschungsvorhaben vorgesehenen Begriffs der „Errichtung der Klassenjustiz“ bevorzugt Wentker den neutraleren Begriff der „Transformation“. In der ersten Zeit sei vom Transformationswillen der Besatzungsmacht im Justizwesen nur wenig zu spüren gewesen; damals sei es noch primär um die Wiederaufnahme der Justiztätigkeit gegangen. Auch der Befehl Nr. 160 der Sowjetischen Militäradministration für Deutschland mit seinen brutalen Strafdrohungen gegen „Diversion“ und „Sabotage“ sei angesichts der strengen Bestrafung von Wirtschaftsstraftaten auch in den Westzonen nicht Ausdruck einer spezifisch sowjetischen Transformationstendenz. Diese These erscheint allerdings fragwürdig, zumal Wentker zugibt, daß der Befehl Nr. 160 deutlich die Tendenz zur Einführung sowjetischer Rechtsbegriffe und Justizpraktiken erkennen lasse. Auch sonst führt die Breite der Darstellung dazu, daß die Thesen und Ergebnisse etwas verschwimmen. So betont Wentker mehrfach, daß sich die SMAD „eher zurückgehalten“ habe; andererseits betont er die Abhängigkeit der Zentralen Justizverwaltung von der SMAD; sie sei der maßgebliche justizpolitische Akteur gewesen.

 

Abschließend unternimmt Wentker entsprechend den Vorgaben des Projekts „diktaturvergleichende Überlegungen“. Unterschiede gegenüber der nationalsozialistischen Justiz sieht er vor allem in deren großer struktureller und personeller Kontinuität über das Jahr 1933 hinaus gegenüber dem radikalen Umbruch in der sowjetischen Besatzungszone. Die „Verweich­lichung“ der Justiz 1934 sei nicht soweit gegangen wie die Zentralisierung der Justiz in der SBZ/DDR. Auch die Justizsteuerung sei unter dem Nationalsozialismus - wenigstens bis zum Beginn des Krieges 1939 - sehr viel weniger intensiv gewesen als in der DDR. Einen wesentlichen Unterschied sieht Wentker darin, daß die SBZ/DDR den Unrechtscharakter ihrer Gesetze und Gerichtsurteile verschleiern mußte, während das „Dritte Reich“ nicht habe befürchten müssen, durch offene Eingriffe in die Gesetzgebung und die Justiz die Zustimmung der Bevölkerung zu verlieren. Diese These, die übrigens einen verdeckten Hieb gegen die vorige Generation enthält, erscheint angesichts der geschickten Begründung und Terminierung der nationalsozialistischen Terrorgesetze und der zahlreichen Geheimbefehle einerseits, der offenen Brutalität der politischen Verfolgung in der SBZ/DDR andererseits völlig verfehlt.

 

Regensburg                                                                                         Friedrich-Christian Schroeder