Theisen, Frank, Mittelalterliches Stiftungsrecht. Eine Untersuchung zur Urkundenüberlieferung des Klosters Fulda im 12. Jahrhundert (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 26). Böhlau, Köln 2002. VII, 491 S., 3 Abb.

 

Neugierig nimmt man das neue Buch zur Hand, das seinem monumentalen Titel nach Grundlegendes verspricht und als die „seit Jahren (...) erste monographische Untersuchung zum mittelalterlichen Stiftungsrecht” annonciert wird. In der Tat haben sich in den letzten Jahrzehnten, wenigstens in Deutschland, vor allem Sozialhistoriker mit dem mittelalterlichen Stiftungswesen befaßt und neben Aufsätzen eine Reihe von Einzelschriften vorgelegt[1]; es ist denn auch das Anliegen von Frank Theisen, sich mit dieser neuen Richtung aus rechtshistorischer Sicht zu befassen. Schwer erschließt sich allerdings, daß dies mit der urkundlichen Überlieferung eines einzigen Klosters geschehen soll, der umfassende Anspruch des Titels also gleich wieder relativiert wird. Ob ausgerechnet Fulda mit seinen Fälschungskomplexen und seiner schwierigen Editionslage als Beispiel gut gewählt war, löst weitere Zweifel aus.

 

Theisen will zeigen, daß die Traditionen spätantiker Schenkungen an die Kirche mit ihren rechtlichen Voraussetzungen in Fulda weiterwirkten und daß hier (wie anderswo) unter dem Einfluß der juristischen Literatur in der Klosterbibliothek um die Mitte des 12. Jahrhunderts die selbständige Stiftung mit „quasi-juristischer Person” (S. 320 u. ö.) entstanden sei. Soweit seine Studien überhaupt zu greifbaren Ergebnissen geführt haben, tragen sie aber, wie gleich festgestellt werden muß, nirgends zur Veränderung oder Erneuerung des Forschungsstandes bei, und was der Verfasser gegen die sozialhistorische Forschung einwendet, beruht schlicht auf Mißverständnissen oder auf mangelnder Einsicht in die Fragestellungen der allgemeinen Historie.

 

Eine Auseinandersetzung mit Theisens Buch ist schwierig, weil der Verfasser einen bestürzenden Mangel an gedanklicher Klarheit und sprachlichem Artikulationsvermögen offenbart. Insbesondere im ersten großen Kapitel, „Rechtsverhältnisse im Kloster Fulda von 1122-1165”, ist der Autor schlicht unfähig, einfache Sachverhalte darzulegen, das Referat von Bekanntem von der Darlegung seiner Argumentationsabsicht zu trennen und seinen Gedankengang durchsichtig zu machen. Der Text ist durchsetzt mit nachgeschobenen Sachverhalten und mäandert richtungslos vor sich hin; überaus viele Aussagen sind unvollendet oder gebrochen, unlogisch oder einfach unsinnig, grammatische und orthographische Fehler verstellen das Verständnis zusätzlich, das alles macht die Lektüre zur Qual. Man kann hier Zitate zum Beleg nicht unterdrücken: „Warum auf dem Michelsberg die Schule erhalten blieb, läßt sich vor allem mit dem geistigen Niveau des Klosters erklären, das schon vor Einführung der Reformmaßnahmen einen ansehnlichen Bestand an Büchern aufwies, über die der armarius des Klosters, Burchard, nichts zu berichten weiß [sic]. Die hervorragenden Arbeiten des Scriptoriums sind der Beleg dafür, daß die Schule eine wichtige Institution und noch im 12. Jahrhundert für das reformierte Kloster eine großer [!] Bedeutung besaß [!]” (S. 31). „In dem Kloster, das heißt im Vorrat der Brüder und des Abtes, habe sich nichts befunden, von dem das Kloster nur einen Tag hätte überleben konnte. Aus dieser Erwähnung wird zeigt sich [!] Trennung von Abts- und Konventsgut deutlich” (S. 58). „Eine innere Opposition gegenüber dem fremden Abt bestand nicht, weil sich der Konvent in der wirtschaftlich schlechten Lage keinen Streit leisten konnte. Daraus wird die rechtliche Stellung des Konventes klar [!], der keine eigene Rechtspersönlichkeit darstellte, sondern nur als ein Teil der Kirche, als Rechtssubjekt, angesehen wurde [!]” (S. 59). „Die vorhandene Rechtsliteratur, die Bamberger Herkunft des Marquard und das gemeinsame Interesse von Abt und Konvent, die wirtschaftliche und machtpolitische Bedeutung Fuldas wiederherzustellen, wird in dem Vorhandensein wichtiger zeitgenössischer Rechtsquellen ersichtlich [!]” (S. 122). „Marquard legte die Grundlagen für eine erfolgreiche Territorialpolitik, die in Teilen bereits zu spät kam, so daß nur noch Teilgebiete darunter eingeschlossen werden konnten [sic]” (S. 166). „Man traf sich auf den Reichs- und Hoftagen mit dem Ziel, politische Probleme zu lösen oder schlicht um präsent zu sein [sic]. Oft wurden hohe kirchliche Feste miteinander gefeiert, bei denen die Anwesenden den Pflichten im Reichsdienst nachkommen konnten [!]” (S. 194). „Damit kam es zur Begründung von quasi-selbständigen Stiftungen gegründet werden [!]” (S. 325f.). „Angeregt wird, in der Forschung den juristisch präziseren Begriff ,unselbständige Stiftung’ oder ,Schenkung unter Auflage’ benutzt werden sollte [!]” (S. 327). „Marquard besaß als Lokalpolitiker eine große Relevanz, konnte er doch Fulda vor dem Untergang retten, der das Kloster ebenso wie Lorsch früher oder später ereilt hätte [sic]. Das Wirken in Fulda war demnach für ihn von einer weitaus größeren Bedeutung wie [!] der Reichsdienst” (S. 330). Theisen beherrscht die lateinische Quellensprache nicht (z. B. S. 61: mensa fratrorum, 236 u. ö: muncipii, 247: venerabili domi, 249: venerabili loci, 284: „das ius hereditario bedeutet nicht”, dann auch bei Begriffen S. 93: „Konkruenz”, 95: „Ethymologien”, 110: „Televanz”, 125: „Intensionen”), so daß er auch fehlerhaft zitiert (z. B. S. 105, 169, 191, 259, 336-338, 425). Obwohl seine Abhandlung der urkundlichen Überlieferung gewidmet ist, weiß er Intitulatio von Arenga nicht zu unterscheiden (S. 99) oder identifiziert Privaturkunden als Diplome (S. 60 u. ö.). Bei der für seine Arbeit zentralen Schutzurkunde Friedrichs I. für das von Marquard gegründete Spital von ca. 1168/70 (D FI 505, vgl. D FI *1141; bei Theisen S. 423-425 Nr. 104) verkennt er (S. 114), daß nicht Marquard, sondern der Kaiser dem (künftigen) Abt die Bestellung des Spitalmeisters gewährt. Daß hier ein Dilettant am Werk war, zeigt auch, daß Theisen jede gut bekannte historische Figur, mit Kaiser Konstantin dem Großen angefangen, regelmäßig in den Anmerkungen mit opulenten Lebensdaten identifiziert und dazu die von ihm ausgewerteten Lexikonartikel als Beleg anführt. Hat denn niemand diesem offensichtlich überforderten Autor über die Schulter geschaut?

 

Der Anspruch, die rechtliche Praxis der Schenkungen und Stiftungen, soweit sie sich in den Urkunden Fuldas niedergeschlagen hat, mit der normativen oder theoretischen Rechtsliteratur der klösterlichen Bibliothek in Beziehung zu setzen, mußte schon an der fehlenden quellenkritischen Übung des Verfassers scheitern, hatte aber wohl auch Gründe in der Sache selbst. Theisen deutet das selbst einmal unter Bezug auf die (vermuteten) zwei Handschriften der Lex Salica in Fulda an, allerdings wiederum in unsinnigen Sätzen: „Dadurch offenbart sich, daß eine Rekonstruktion der juristischen Bestände, die auf jeden Fall in Fulda waren, durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Dies soll lediglich dazu dienen, Indizien dafür zu erbringen, daß das Kloster zur Zeit des Abtes Marquard durchaus die geistige Kapazität besaß, um sich mit Rechtsquellen intensiv auseinanderzusetzen” (S. 122).

 

In den eigentlichen Studien an fuldischen Urkunden (S. 279-327) will Theisen sodann zeigen, daß bei Schenkungen an die Kirche unter Auflage von unselbständigen Stiftungen gesprochen werden müsse, während zuerst die Spitalgründung des Abtes Marquard von 1165 eine selbständige Stiftung gewesen sei. Unbegreiflicherweise will er den ersten Begriff auch der sozialhistorischen Forschung ans Herz legen; dabei waren es ausdrücklich so bezeichnete unselbständige Stiftungen, von denen die sozialhistorische Forschung bei ihren neuen Überlegungen ausgegangen war.[2] Es besteht auch nicht der geringste Dissens über die Feststellungen, daß es in Spätantike und (Früh-)Mittelalter keinen Begriff und keine rechtliche Theorie der Stiftung gegeben hat und daß die Vorstellung von der juristischen Persönlichkeit der Stiftung nicht einmal im hohen Mittelalter durchgesetzt wurde, sondern erst in der modernen Jurisprudenz des 19./20. Jahrhunderts (vgl. S. 250, 262). Einvernehmen herrscht auch darüber, daß die Dauer der Stiftung in der Vormoderne durch rechtliche Vorschriften nicht zu erzwingen war (vgl. S. 288).

 

Theisen glaubt dennoch die von ihm so genannten Sozialhistoriker belehren zu müssen, ohne die Variabilität von Forschungskonzepten überhaupt in Betracht zu ziehen. Vielleicht sind deshalb hier grundsätzliche Bemerkungen angebracht. Offenbar ziehen Rechts- und Sozialhistoriker unterschiedliche Folgerungen aus dem Befund der mittelalterlichen (besser: der vormodernen) Überlieferung. Schon die Anwendbarkeit des Stiftungsbegriffs scheint zwischen ihnen kontrovers zu sein. Der Rezensent macht geltend, daß die historischen Wissenschaften nie mit Quellenwörtern allein auskommen, sondern stets auch mit kontaminierten, also durch die eigene Zeitgenossenschaft oder eine längere Gebrauchsgeschichte belasteten Begriffen arbeiten müssen. Dies ist freilich nur zulässig, wenn der gemeinte Sachverhalt ebenso präzise bestimmt wird wie die angelagerten Schichten. Von Stiftung ist demnach aus allgemeinhistorischer Sicht idealtypisch immer dann zu reden, wenn eine Gabe einem dauernden, vom Stifter gesetzten Zweck gewidmet werden soll, und zwar so, daß die aufgewandten materiellen Güter selbst nicht verbraucht werden, sondern nur deren Erträge. In diesem Sinne gab es Stiftungen trotz des fehlenden Begriffs und der fehlenden Theorie nicht nur in der griechischen und römischen Antike oder im Mittelalter, sondern in vielen anderen Kulturen der Vormoderne. Der „Sozialhistoriker” fragt nicht nach der Rechtsfigur der Stiftung, sondern nach der sozialen Funktion des Stiftungsaktes. Er nimmt die Erkenntnis der Rechtshistoriker auf, daß es in der Vormoderne im Hinblick auf Stiftungen keine elaborierte Theorie der juristischen Persönlichkeit und für die Stifter auch keine rechtliche Möglichkeit gegeben hat, seine auf Dauer gestellten Absichten zu sichern. Als Sozialhistoriker kann er aber diesen Mangel ins Positive wenden. Da er weiß, daß alles historische Geschehen von der Interaktion von Menschen abhängt, kann er geltend machen, daß es eben natürliche Personen waren, auf die der Stifter seinen Willen zu übertragen suchte. Da das zentrale Anliegen der Stiftungen die dauernde Geltung des Stifterwillens war (und ist), sollte dieser auch postmortal wirken; der Stifter mußte und wollte also Vorkehrungen treffen, um sein Werk über seine Lebenszeit hinaus zu sichern.

 

In der Geschichte der unselbständigen Stiftungen hat sich zur Lösung dieses Problems zum Beispiel die Idee des Treuhänders ausgebildet. Der historischen Forschung eröffnet sich durch die Korrelation von Stifterwillen und (postmortal tätigen) Stiftungsorganen ein faszinierendes Arbeitsgebiet, weil sich hieran die soziale Wirklichkeit im ganzen exzellent studieren läßt. Gerade weil Stiftungsimpulse, ebenso wie jedes andere historische Phänomen, dem historischen Wandel unterworfen sind, bietet der Vergleich des ursprünglichen Stifterwillens mit der Stiftungswirklichkeit eine gerade in letzter Zeit ertragreich bearbeitete Aufgabe der Forschung.

Allgemeinhistoriker erkennen in Stiftungen totale soziale Phänomene im Sinne des Ethnologen Marcel Mauss[3]; die rechtliche Dimension ist für sie nur eine neben der wirtschaftlichen, kulturellen, sozialkaritativen, politischen und religiösen. Theisen, der sich für diese Aspekte nicht interessiert, hat den Historikern im Hinblick auf die religionsgeschichtliche Interpretation des Stiftungsgeschehens vorgeworfen, sie wollten „die rechtlichen Grundbedingungen für ein solches Geschäft [sc. der Stiftung] durch mystifizierende Jenseitsvorstellungen” ersetzen (S. 251, vgl. S. 4, 332). Offenbar ist damit gemeint, daß Historiker im Stiftungsgeschehen die Denkform von der „Gegenwart der Toten” wiedererkennen, die ursprünglich von der germanistischen Rechtsgeschichte (Hans Schreuer, Heinrich Brunner u. a.) entdeckt worden war und dann durch Otto Gerhard Oexle so genannt und auf breitere Quellengrundlage gestellt worden ist. Inzwischen hat sich vielfach bestätigt, vor allem auch in anderen Kulturen, daß die Toten als Rechtssubjekte aufgefaßt worden sind.[4] Wer aber gegen diese Einsichten polemisiert, setzt sich dem Verdacht aus, die mittelalterliche Mentalität als Grundlage allen Rechtshandelns schlicht nicht wahrhaben zu wollen. Weiß Theisen denn nichts davon, daß sich die Kirche selbst als Gemeinschaft der Lebenden und Toten verstand und daß in der Mitte ihres Kultes, in der Eucharistie der Messe, diese communio Tag für Tag erneuert wurde? Vielleicht nicht im Sinne der Rechtshistoriker, zweifellos aber im Alltagsverständnis war übrigens das Gründonnerstagsgeschehen die mittelalterliche Stiftung schlechthin.

 

Die sozialhistorische Stiftungsforschung, die ihren Ausgangspunkt bei den Erkenntnissen der Rechtshistoriker genommen hat, konnte mit ihrem Instrumentarium inzwischen die Stiftungen anderer, nichtlateinischer und sogar nichtchristlicher Kulturen deuten.[5] Sie hat sich zur interkulturellen Forschung befähigt erwiesen, die heute mehr denn je ein Gebot der Stunde ist. Es wäre schön, wenn sich Kanonisten oder germanistische Rechtshistoriker in der Lage sähen, an diesem Dialog der Kulturen und wissenschaftlichen Disziplinen teilzunehmen.

 

Berlin                                                                                                             Michael Borgolte



[1] Vgl. zuletzt mit bibliographischen Anhängen: Michael Borgolte, Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen, in: Hans Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts. 2. Aufl. hg. v. Axel von Campenhausen und Christoph Mecking, Tübingen 2002, S. 13*-69*, hier S. 64*-69*; Ders. (Hg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Stiftungsgeschichten, Bd. 1.) Berlin 2000, hier S. 323-328.

[2] Vgl. Michael Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht, in: ZRG 105, Kan. 74 (1988), S. 71-94., hier bes. S. 79.

 

[3] Michael Borgolte, „Totale Geschichte” des Mittelalters? Das Beispiel der Stiftungen. (Öffentliche Vorlesungen der Humboldt-Universität, Heft 4.) Berlin 1993.

[4] Vgl. Maria Macuch, Die sasanidische Stiftung „für die Seele” – Vorbild für den islamischen wacf?, in: Petr Vavroušek (Hg.), Iranian and Indo-European Studies. Memorial Volume of Otakar Klíma, Prag 1994, S. 163-180 (ohne Bezug auf die lateineuropäische Stiftungsforschung); Johannes Pahlitzsch, The Concern for Spiritual Salvation and Memoria in Islamic Public Endowments in Jerusalem (XII-XVI C.) as Compared to the Concepts of Christendom, in: U. Vermeulen /J. van Steenbergen (Hg.), Egypt and Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk East, Vol. III, Leuven u. a. 2001, S. 329-344.

[5] Vgl. Borgolte, Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen (wie Anm. 1); vgl. Anm. 4.