Schmidt, Julia, Konservative Staatsrechtslehre und Friedenspolitik. Leben und Werk Philipp Zorns (= Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 85). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2001. XV, 287 S.

 

Der Staats- und Kirchenrechtler Philipp Zorn (1850-1928) ist heute weitgehend vergessen, nicht dagegen der Völkerrechtler, der maßgebend an der Haager Friedenskonferenz von 1899 und der dort erreichten Konvention über eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit mitwirkte. In München erinnert man sich seiner als Mitglied des Corps „Isaria“, in Bonn weiß man, daß er und sein Kollege Ernst Zitelmann die Söhne Kaiser Wilhelms II. unterrichteten. Über die Tätigkeit dieses leidenschaftlichen Monarchisten und Borussisten in Königsberg gibt es seit dem fast vollständigen Verschwinden der Stadt keine lokale Überlieferung mehr. Es ist deshalb sehr verdienstvoll, daß diese von Peter Landau betreute Doktorandin es unternimmt, ein umfassendes Bild zu zeichnen. Sie tut es anfangs noch etwas zu detailverliebt und sie unterliegt gelegentlich dem Pastoralton Zorns selbst oder der Verfasser seiner Nachrufe. Doch kann sie im weiteren Verlauf gerade durch diese Genauigkeit ein sehr treffsicheres Bild mit vielen neuen Zügen liefern.

 

Die Arbeit folgt Schritt für Schritt dem Lebensweg Zorns, beleuchtet den Ausgangspunkt in einer reformierten Pfarrerfamilie (Bayreuth, Kaiserslautern, Ansbach), das Studium in München und Leipzig und die Anfänge der wissenschaftlichen Arbeit bei Konrad Maurer. Dort schrieb Zorn eine Studie zum langobardischen Recht, habilitierte sich mit „Staat und Kirche in Norwegen bis zum Schlusse des dreizehnten Jahrhunderts“, einem übrigens von Karl von Amira ziemlich überzeugend als unhistorisch angelegt kritisierten Buch. Ein Ruf nach Bern brachte Zorn in die staatskirchenrechtlichen Debatten des Kulturkampfs, den er als etatistisch denkender „Bismarckianer“ natürlich unterstützte, aber doch mit einer liberalen Variante entschiedener Trennung von Staat und Kirche versah. Als Reformierter plädierte er innerkirchlich für eine Synodalverfassung, als nationalistischer Protestant für eine umfassende „Reichskirche“.

 

In Königsberg entfaltete sich Zorn ab 1877 als Staatsrechtler und nahm an der Diskussion über die gängigen, seit der Reichsverfassung von 1871 aktuellen Fragen teil. Eine Parlamentarisierung lehnte er ebenso ab wie Grundrechte. Kern des Staates war für ihn selbstverständlich nicht die Volkssouveränität, sondern das monarchische Prinzip. Die Höhenlage von Laband, Hänel und Jellinek erreichte er dabei allerdings nicht, zumal er sein eigenes methodisches Postulat der Trennung von Recht und Politik nicht einhielt und sich mit Leidenschaft für die konservative Sache engagierte. Eben dieser politischen Einstellung, nicht etwa besonderen völkerrechtlichen Kenntnissen, verdankte er auch die kaiserliche Berufung zur Teilnahme an der Haager Friedenskonferenz von 1899. Zorn entdeckte für sich nun das Völkerrecht, entwickelte gewisse Sympathien für die Friedensbewegung – ohne Pazifist zu werden. Dieses völkerrechtshistorische Kapitel bringt ganz neue Gesichtspunkte, vor allem aber „aktenmäßig begründete“ Blicke auf den diplomatischen Hintergrund. Sowohl das Auswärtige Amt als auch der Kaiser selbst, aus dessen Privatbriefen zitiert wird, schneiden dabei schlecht ab. Beide erkannten nicht die in der Friedenskonferenz liegende politische Chance und beide fürchteten, in ihren Rüstungsanstrengungen gebremst zu werden. Am Ende stand Deutschland als der Verhinderer da, was die anderen Großmächte, die ihrerseits auch nicht an Abrüstung dachten, sehr zufrieden stimmte.

 

Die beiden Schlußkapitel der Arbeit widmen sich Zorns engen Beziehungen zu dem von ihm überschwenglich verehrten Haus Hohenzollern, dem, wie er schrieb, „ruhmvollsten aller Herrschergeschlechter der Erde“, den Bonner Jahren sowie der Zeit des Emeritus in Ansbach.

In Bonn unterrichtete er nicht nur die recht unterschiedlich begabten Söhne des Kaisers in Staats- und Völkerrecht, sondern bearbeitete auch das „Staatsrecht der Preußischen Monarchie“ Ludwig von Rönnes. Dabei stellte er den liberalen Rönne, einen überzeugten 1848er, nun gewissermaßen auf den monarchischen Kopf und schob das Parlament, die Grundrechte, das Staatsbürgerrecht sowie die Lehrfreiheit an den Universitäten beiseite oder jedenfalls in den Hintergrund. So borniert er staatsrechtlich wirkte, so aufgeschlossen war er im Völkerrecht. Dort hielt er zwar den souveränen Nationalstaat fest und deutete das Völkerrecht reduzierend als „Außenstaatsrecht“, aber er zeigte sich doch aufgeschlossen für internationale Vereinbarungen aller Art. Seine Schüler Paul Schoen und Friedrich Giese führten diese Linie fort. Warum Julia Schmidt in diesem Zusammenhang gar nichts über die wichtigen völkerrechtlichen Schüler Carl Sartorius, Max Wenzel und Heinrich Pohl sagt, die jene Begründung des Völkerrechts in differenzierter Weise fortentwickelten, bleibt offen. Aber, das muß man gerechterweise sagen, die Geschichte der Völkerrechtswissenschaft zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus ist noch nicht geschrieben. Für diese noch zu leistende Arbeit liefert das hier besprochene Buch wesentliches Material und das Porträt eines Hohenzollern- und Bismarck-Verehrers, Nationalisten und Kulturprotestanten, wie er für weite Kreise bis 1918 und darüber hinaus nicht untypisch war.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Michael Stolleis