Montag, Martin, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden und Württemberg von 1945 bis 1960. Unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Verwaltungsgerichtshofes für Südwürttemberg-Hohenzollern (= Schriften zum öffentlichen Recht 845). Duncker & Humblot, Berlin 2001. 356 S.

 

Untersuchungen zum Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert haben in jüngster Zeit erheblich zugenommen und auch die europäische Perspektive eröffnet.[1] Zur Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus sind sogar seit den 1960er Jahren etliche General- und Detaildarstellungen publiziert worden, auch die in der frühen DDR schnell untergehende Verwaltungsgerichtsbarkeit hat bereits Aufmerksamkeit gefunden. Nur und erstaunlicherweise stand und steht die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den beiden deutschen Demokratien am Rande des Interesses: Zur Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Weimarer Zeit sind in neuerer Zeit nur wenige Arbeiten erschienen, und die bundesdeutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit befindet sich noch fast gänzlich außerhalb des Wahrnehmungshorizonts der rechtsgeschichtlichen Forschung. „Hic sunt leones“.[2]

 

Um die Metapher fortzuführen: Hat Montag gleich einen kapitalen Löwen erlegt und zubereitet? Der Autor geht sein Thema mit einem heutzutage eher seltenen Instrumentarium an, indem er im wesentlichen die rechtstatsächliche Entwicklung der Verwaltungsgerichte untersucht und sich dabei auf die Auswertung umfangreicher Aktenbestände stützt. Unter anderem hat Montag beeindruckenderweise und mit enormem Arbeitsaufwand nicht weniger als rund 17.000 Prozeßakten von zwei Verwaltungsgerichten von der Eröffnung nach 1945 bis 1958/60 ausgewertet. Räumlich beschränkt sich Montag auf das Gebiet des heutigen Baden-Württemberg; die einführenden politik-, institutionen- und wissenschaftsgeschichtlichen Ausführungen zum Beispiel zur Landesgeschichte und zu den normativen Grundlagen des Verwaltungsrechtsschutzes bleiben aber weitgehend referierend.

 

Hic suntdata“ – der bei weitem umfangreichste Abschnitt in Montags Darstellung (S. 75–262) ist nach seiner eigenen Angabe „nur [der] Gewinnung von Datenmaterial und Teilergebnissen“ gewidmet (S. 75). Die dort ausgebreiteten Zahlen, Daten und Graphiken bieten naturgemäß eine spröde Lektüre, doch ist zu berücksichtigen, daß „über die Verwaltungsgerichtsbarkeit insbesondere der ersten Jahre nach dem Kriege praktisch keine statistischen Erkenntnisse vorliegen“, wie Montag angibt (S. 75). Montag stellt u. a. die Anzahl der Streitsachen, die Verfahrensgegenstände, die Dauer der Verfahren, die Verfahrensarten und Gerichtskosten und Gegenstandswerte dar und präsentiert zudem unter verschiedenen Perspektiven Daten zu den Verwaltungsrichtern und der Verfahrensentwicklung in der Rechtsmittelinstanz. Vieles davon ist in dieser Detailfreude und Genauigkeit in der neueren Literatur jedenfalls zu verwaltungsrechtlichen Verfahren dieser Zeit noch nicht zusammengestellt worden und wird bei zukünftigen Arbeiten zu Vergleichszwecken gewinnbringend herangezogen werden können, wie bereits Gernot Sydow in seiner Rezension zutreffend festgestellt hat.[3]

 

In der rund achtzigseitigen „zusammenfassenden Wertung“ beginnt Montag dann aber nicht damit, das Datenmaterial seiner Überschrift gemäß zu analysieren, sondern einleitend führt er eine Debatte der frühen Bundesrepublik noch einmal. Es war vorgeschlagen worden, die Verwaltungskontrolle den Zivilgerichten zuzuweisen – nach Meinung Montags ein „Irrweg“ (S. 284), dessen Befürworter so heftig wie deren Argumente kritisiert werden. Schon methodisch ist das nochmalige Führen erledigter Diskussionen, zumal auf Seiten der „Sieger“, höchst problematisch, doch vor allem bleibt so das umfangreiche Datenmaterial weitgehend unbenutzt. Das gilt auch für die zweite Debatte, die Montag im Anschluß schildert („Ressortierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Innen- oder Justizministerium ?“), und erst recht kommt der folgende Abschnitt („Indizien für die Wertschätzung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Exekutive“) typischerweise ohne solche Fußnoten aus, die auch nur generell auf die mit großem Aufwand aufgehäuften Datenmengen verweisen. Lediglich in einem Abschnitt über die Verwaltungsgerichtsverfahren ist dies anders, doch kann auf den dafür verwendeten weniger als 20 Seiten die zuvor auf über 180 Seiten angehäufte Datenmenge natürlich nicht bewältigt werden. Daher bleibt auch das zweiseitige „zusammenfassende Ergebnis“ eher blaß und der Stellungnahme zu zeitgenössischen Diskussionen verhaftet. Aus den mit so großem Arbeitsaufwand zusammengetragenen Daten werden damit kaum Thesen abgeleitet. Viele, zu viele leones sind eingekreist und beschrieben, aber nicht erlegt.

 

Gab es einen Jagdaufseher ? Nur ein kleingedruckter Text auf der Rückseite des Titelblattes teilt mit, daß es sich bei Montags Schrift um eine Heidelberger Dissertation von 1998 handelt. Das Vorwort schweigt dazu; auch Betreuer der Arbeit oder die Gutachter werden dort nicht genannt. Stattdessen wird einem Jura-Repetitor (ohne Angabe dieser Funktion) für seine „überragende fachliche und didaktische Kompetenz“ gedankt. Ob die Promotionsordnung für die Juristische Fakultät der Universität Heidelberg eine Verpflichtung enthält, Gutachter oder Betreuer einer Dissertation zu nennen, scheint zweifelhaft;[4] gemäß einer juris-Recherche gibt es zu diesem Thema wohl noch keine veröffentlichte Rechtsprechung. Doch da sich der Autor für ein insoweit schweigendes Vorwort entschieden hat und der Duncker & Humblot-Verlag das Buch in dieser Form gedruckt hat, muß es damit genug sein.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Thomas Henne



[1] Dazu Thomas Henne, Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert: Von Lokalstudien zur europäischen Perspektive – zugleich ein Literaturbericht, Ius Commune – Zeitschrift für Euro­päische Rechtsge­schich­te, Jg. 28 (2001), S. 313ff.

[2] Michael Stolleis, Aufgaben der neueren Rechtsgeschichte oder: Hic sunt leones, Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 251ff.

[3] Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jg. 2001 (im Druck).

[4] „Die für druckreif erklärte Dissertation wird als Buch oder vervielfältigtes Manuskript veröffentlicht. Das Titelblatt, die Innenseite des Umschlags und die letzte Seite der Dissertation müssen einem Merkblatt der Fakultät entsprechen; davon kann der Dekan Befreiung erteilen, wenn die Dissertation als Buch erscheint.“ (§ 17 II Satz 1 + 2 der bis 1999 gültigen Promotionsordnung, veröffentlicht im Amtsblatt „Wissenschaft und Kunst“ v. 23.07.1982, S. 304).